Katholische Seelsorge an der JVA Weiterstadt
Seit mittlerweile mehr als 10 Jahren bin ich nun als katholischer Seelsorger an der JVA Weiterstadt. Eine Aufgabe, die ich immer noch mit großer Freude und Hingabe erfülle, auch oder gerade weil es ein Arbeitsbereich von Kirche ist, der so ganz anders ist, als man es erwartet.
Einige von Ihnen haben die Geschichte der Anstalt hautnah miterlebt, von den ersten Bauanfragen an die Stadt, über den Beginn des Baues, den Anschlag der RAF am 27. März 1993, die darauffolgenden Wiederaufbauarbeiten bis hin zur Eröffnung der JVA Weiterstadt am 2. Mai 1997.
Diese zunächst als Untersuchungshaftanstalt für das Rhein-Main Gebiet geplante Anstalt verwirklichte in ihrer Architektur die Neuorientierung des Strafvollzuges, die vor allem den Erkenntnissen der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entspringt. Ein weitläufiges Gelände mit ca. 15 ha, helle Räume und eine klare Gebäudestruktur wollen dem Vollzugsleben einen Rahmen geben, der es, wie im §2 des Hessischen Strafvollzugsgesetzes betont wird, ermöglicht, Gefangene zu befähigen „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“
Mit der Eröffnung der neuen Untersuchungsanstalt Frankfurt am Main I, in Frankfurt Preungesheim am 15.08.2011, wurde die JVA Weiterstadt in eine Justizvollzugsanstalt der höchsten Sicherheitsstufe I für lange Haftstrafen umgewidmet, lediglich die Untersuchungshaft für den Landgerichtsbezirk Darmstadt (Darmstadt, Offenbach, Groß Gerau) blieb in Weiterstadt.
In der Planung der Anstalt konzipierte das beauftragte Darmstädter Architekturbüro Dierks Blume & Partner ein in der Bundesrepublik Deutschland einmaliges Kirchenzentrum, ein Bereich innerhalb des Gefängnisses der „dem seelischen Befinden der Betroffenen“ Raum geben kann. Gerade hier soll „aus dem Alltag der Einsperrung heraus durch kritische Einkehr und die Gesetze des Glaubens gemeinsam Brücken der Freiheit gebaut werden …“. Der Entwurf folgt eindeutig dem Gedanken einer Enklave mitten in der Anstalt, um ein „alternatives Alltagserlebnis“ zu ermöglichen, an dem zusätzlich „andere Gesetze (gelten), als die des Strafvollzugs“. Die Architekten sprechen hier von einem „Freiraum für Geist und Seele“
Die räumliche Großzügigkeit mit Kirchenvorplatz, Foyer, Gruppenraum, Büroräumen, Sakristei, Kirchenraum und Kirchengarten ist innerhalb der Anstalt sowohl baulich, als auch inhaltlich weitgehend autark – natürlich gelten hier die Vorschriften der Sicherheit und Ordnung auch hier.
In den vergangenen Jahren konnte– in Anlehnung an die ursprüngliche Konzeption – ein lebendiges Kirchenzentrum geschaffen werden, welches mitten in der Justizvollzugsanstalt zu einem Begegnungszentrum wurde. Hierfür war es notwendig eine Willkommenskultur über bestehende Grenzen hinweg zu etablieren und eine tragfähige Vernetzung innerhalb des Systems zu schaffen, um so Vertrauen in die Kirche vor Ort zu bilden. Wer die Tür zu unserem Kirchenzentrum durchschreitet, verlässt nicht das Gefängnis, er betritt vielmehr einen Ort innerhalb des Vollzuges, der zur Oase werden kann, an dem man geistlich und seelisch auftanken kann. In diesem Umfeld sind die Seelsorger*innen als Repräsentanten der Kirche einerseits, aber auch als Zeugen der christlichen Botschaft andererseits stets mittendrin und leben und erleben den Alltag in der JVA hautnah mit.
Die Kirche in der JVA Weiterstadt ist ein offener Ort innerhalb eines geschlossenen Systems, offen für alle, über Rollen- bzw. Konfessions- oder Religionsgrenzen hinweg – es ist ein wirklich ökumenisches Kirchenzentrum.
Ein Ort aber auch, an dem kirchliches Leben stattfindet, wo jeden Sonntag Gottesdienst und einmal im Monat die Hl. Messe gefeiert wird, an dem religiöse Gruppen stattfinden, aber auch Gespräche mit einzelnen geführt werden. Ein Ort der die Feier des Kirchenjahres der schleichenden Zeitlosigkeit einer Haftstrafe entgegenhält. Ein Ort, an dem nicht ein Richter das letzte Wort über eine Handlung hat, sondern wo Menschen sich von Gott bis ins Herz schauen lassen können.
Als Seelsorger*innen sind wir an diesem Ort aber auch herausgefordert, die liebende Zuwendung Gottes als Realität erfahrbar zu machen - nicht nur als frommen Anspruch, sondern in konkretem Respekt und Hochachtung vor dem Nächsten, auch wenn mir seine Straftat noch so widerstrebt. Dies bedeutet nicht, dass ich die Menschen mit ihren – bisweilen abstoßenden – Handlungen nicht auch in ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen ernst nehme. Doch angesichts der Aussage des Evangeliums „Ich war im Gefängnis und ihr sei zu mir gekommen“ muss – oder besser gesagt darf ich damit rechnen, dass ausgerechnet hier es möglich ist Christus im Nächsten zu begegnen.
Als Seelsorger+innen sind wir nicht nur in´s Gefängnis geschickt, wir leben hier mit – natürlich nicht in allen Dimensionen, übernachtet haben wir hier noch nicht - zu diesem Mit-Leben hat unser Papst treffend gesagt, dass wer zu den Schafen geht auch nach Stall riechen muss. Ich kann bestätigen: Wir müffeln ein wenig
Diakon Alexander Rudolf