In Literatur und Film findet eine künstlerische Auseinandersetzung über ethische Grenzfragen heute gern über Dystopien, fiktive Untergangsszenarien, statt. Nicht ganz zufällig. Alles was wir geben mussten von Kazuo Ishiguro zeigt eine Schule, in der Klone nur als Ersatzteillager für Organspenden heranwachsen. Bei blueprint sorgt eine Pianistin für die eigene Unsterblichkeit. In The Book of Eli geht es um ein geheimnisvolles Buch, das in einer nihilistischen Gesellschaft für zeitlos gültige Werte steht.
Was aber macht Werte zeitlos? Sind in einer Demokratie nicht alle Werte ebenso den Mehrheitsverhältnissen unterworfen wie ihre Politiker?
Unsere Referentinnen und Referenten werden aktuellen ethischen Dilemmata nachgehen, aus dem Blickwinkel der Bioethik, des kritischen Journalismus oder aus medizinisch-theologischer Sicht. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu § 217 StGB gibt Anlass, über Suizidhilfe, Selbstbestimmung und deren Grenzen nachzudenken: „Medizin- und Bioethik … verwandeln sich vor unseren Augen allmählich in Disziplinen, die den Tod im Gepäck haben, dessen vorzeitige Herbeiführung sie auch noch philosophisch zu rechtfertigen suchen“ schreibt der Medizinethiker Axel W. Bauer in seinem Buch Normative Entgrenzung, das einen ausgezeichneten Überblick über unser Semesterthema bietet.
Sprache spielt bei Grenzfragen der Ethik eine wichtige Rolle. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass legalisierte Menschenrechtsverletzungen oft mit einer Umdeutung von Worten, mit Euphemismen und verschleiernden Begriffen einhergehen. So ist ‚Eugenik‘ ein historisch negativ konnotierter Begriff, durch die modernen Techniken der Fortpflanzungsmedizin ist prädiktive Selektion de facto wieder gesellschaftsfähig geworden. Der Begriff ‚Organspende‘ impliziert bewusste Freiwilligkeit. Im Kontext der Fortpflanzungsmedizin spricht man von einer ‚donation of eggs‘ und betont damit den Akt des Schenkens, der in der Realität oft eine Verdienstquelle in prekären Lebensumständen ist.
Hatte C. S. Lewis recht mit seiner Behauptung: „Die Macht des Menschen, aus sich zu machen, was ihm beliebt, bedeutet, die Macht einiger weniger, aus anderen zu machen, was ihnen beliebt“? Oder bringen die veränderten gesetzlichen Grenzen tatsächlich ein größeres Maß an persönlicher Freiheit und ein vertieftes ethisches Bewusstsein?
Aus theologischer Sicht ist Gott Herr über Leben und Tod. Für Christen ist daher ethisches Handeln nicht von der Normativität des Faktischen bestimmt, nicht vom Konsens des Mainstreams. Sondern von der Frage nach der Wahrheit, die als prophetische Stimme auch nicht aus Ängstlichkeit oder falscher Rücksicht verstummen darf. „Die Verkündigung des Evangeliums ist die spezifisch christliche Aufgabe in atheistischer Umwelt“ (M. Delbrêl). Diese Überzeugung in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen erfordert eine kritische, respektvolle Auseinandersetzung mit den jeweils aktuellen Grenzfragen der Ethik.