Eine Kehrmaschine im Gottesdienst? Das war live zu erleben beim Gospelgottesdienst zum Schlossgrabenfest am Pfingstsonntag. Da ging es um Umkehr, und der Schauspieler Volkmar Hahn wirbelte im doppelten Sinn des Wortes jede Menge Staub auf. Rund 200 Gäste ließen sich in ein modernes Pfingstgeschehen mit hineinnehmen.
Unter der Regie von Volkmar Hahn und mit freundlicher Unterstützung von Richard Jansen von der Firma Ibel & Lotz luden die beiden Dekanate und Kirche & Co. herzlich zur Einkehr ein.
Das ist aber nun wirklich unpassend. Ausgerechnet während des Gottesdienstes nähert sich eine Kehrmaschine lautstark der Bühne, während dort gerade die biblische Pfingstgeschichte von Maren Dettmers und Heinz Lenhart vom Ökumenischen Kirchenladen Kirche & Co. gelesen wird. Einige Besucherinnen und Besucher empören sich, manche versuchen sogar, die Maschine zurückzudrängen. Doch das Fahrzeug samt Straßenfeger, dargestellt von Schauspieler Volkmar Hahn, der mit Besen unbekümmert vorausgeht, gehören an diesem Pfingstsonntag zur Gottesdienst-Inszenierung. Rund 200 Besucherinnen und Besucher ließen sich mit hineinnehmen.
Karsten Gollnow, Pfarrer für Stadtkirchenarbeit und Gemeindepfarrer an der Stadtkirche, lässt sich nicht beirren und beginnt seine Predigt. Humorvoll und kurzweilig nimmt er die Zuhörerinnen und Zuhörer mit in die Situation der ersten Gemeinde in Jerusalem, die frustriert war, dass Jesus immer noch nicht wiedergekommen ist. Von den Frauen dann aber mit einem Donnerwetter aufgerüttelt, gehen die Männer raus und rufen - vom heiligen Geist inspiriert – zur Umkehr, zur radikalen Kehrtwende und zu allgemeiner Bekehrung auf, während der Oberpriester seine Liturgie zum Passahfest zelebriert und der Psalmenchor weiter singt. Petrus ruft: „Leute von Jerusalem, hört meine Worte! Kehrt um!“
Und so tut es der Straßenkehrer, der nun auf die Bühne steigt und das Wort ergreift. „Es ist Zeit. Kehrt, kehrt! Kehrt um!“ ruft er den Menschen zu und „Wer nicht umkehrt, lebt verkehrt.“ Dann entspinnt sich ein munteres Wortspiel zwischen dem Straßenkehrer links und dem Pfarrer rechts auf der Bühne, dazwischen der Gospelchor. Da ist die Rede vom Unter-den-Teppich-Kehren, Vor-der-eigenen-Haustür-Kehren und Das-Unterste-nach-oben-Kehren, von der Verkehrs-Kehrtwende und von der Abkehr vom Kehrosin, von Vorkehrungen, Rückkehr, den himmlischen Kehrscharen. Der Chor steigt mit Kehrversen ein.
Pastoralreferent Tobias Sattler von der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) und die Ehrenamtliche Ellen Simon stehen im Publikum auf und rufen Sprüche und Sprichwörter, Bibelzitate und Weisheiten aus: „In sich kehren wirbelt viel alten Staub auf“, „Lieber ein paar verkehrte Worte als ein verkehrter Sinn“ von Lessing oder „Es ist so leicht, andere, und so schwer, sich selber zu bekehren“ von Oscar Wilde. Auch Maren Dettmers und Heinz Lenhart sind von der Bühne gekommen und reden mit Bibelzitaten auf das Publikum ein – ein wahrer Stimmenwirrwarr, wie an Pfingsten.
Der Gospelchor „Getogether“ aus Bensheim gestaltet den Gottesdienst unter der Leitung von Thorsten Mühlberger mit berührenden Liedern wie „Hear my Praises“ und „Follow all Your Ways“ mit. Die Sängerinnen und Sänger beeindrucken in dem Stimmengewirr, indem sie mehrere Gospelsongs gleichzeitig singen. Dann geht Pfarrer Karsten Gollnow von der Bühne, zieht seinen Talar aus und übergibt ihn an den predigenden Straßenkehrer. Gollnow steigt in die Kehrmaschine, Richard Jansen von der Kehrdienst-Firma Ibel und Lotz hupt dreimal, der Stimmenchor verstummt. Der Straßenkehrer wiederum wirft dem Stellvertretenden Dekan Sven Sabary, der bis dahin im Publikum sitzt, den Talar über die Schulter. Der streift ihn über, findet im Talar einen Zettel und liest ihn der Gemeinde vor: Dass die Zeiten gerade überfordernd seien, die bisherigen Gewissheiten erschüttert und dass es derzeit keinen gut funktionierenden Kompass für eine verlässliche Orientierung mehr zu geben scheine, sagt er und fragt: „Ist es nicht längst an der Zeit, den eigenen Lebensstil zu überdenken? Sind jetzt nicht mehr innere Stärke, mehr Mut, und mehr Widerstandsfähigkeit nötig? Mehr Demut und Bescheidenheit auf der dringenden Agenda?“
Anstatt, dass die Gemeinde am Ende des Gottesdienstes wie üblich um seine Anwesenheit bitte, sei es „hier und heute einmal umgekehrt“. Nun wird auch seine Rolle klar: Der Heilige Geist bittet die Gemeinde: „Öffnet Eure Herzen und euren Verstand! Ich würde gerne bei euch wieder viel öfter einkehren, gewissermaßen ein Stammgast bei euch, in euch sein.“ Und weiter: „Ich schenke Hoffnung und Zuversicht auf das, was ihr von einem erfüllten Leben erwartet, was ihr von einem begeisternden Schicksal erwartet! Und vor allem die Kraft und das Vertrauen darauf, die gelegentlich auch beschwerlichen Wege selig und gesegnet zu meistern! Ja, das könnt ihr glauben!“
Mit dem feierlichen „Großer Gott, wir loben Dich“ beschließt der Chor den turbulenten Gottesdienst, dessen Texte sämtlich aus der Feder von Volkmar Hahn stammten, der das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, die Inszenierung erdacht, mit dem Chor geprobt und Akteurinnen und Akteure des Gottesdienstes sowie den Fahrer der Kehrmaschine angeleitet hat. „Ein frommes Theater“, wie eine Besucherin den Gottesdienst wohlwollend bewertete, „die vielen Überraschungen hatten die Erwartungen durcheinandergerüttelt.“ In jedem Fall lieferte der Gottesdienst viel Gesprächsstoff, wie an den Grüppchen nachher zu sehen war. Der Schluss der Besucherin: „Ein bisschen verrückt war das Ganze schon, aber aus dem, was zuerst störend und verstörend wirkte, wurden Denkanstöße und Gespräche und ein anhaltendes Schmunzeln. Das ist schon einmal nicht verkehrt.“
(Quelle: Evangelisches Dekanat Darmstadt)