Die Veröffentlichung des juristischen Gutachtens zu sexuellem Missbrauch Minderjähriger und Schutzbefohlener durch Kirchenbedienstete im Erzbistum München-Freising vor zwei Wochen hat in der kirchlichen und weltlichen Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen. Vielfältig wurde angesichts der Ergebnisse des Gutachtens von Personen des öffentlichen Lebens Fassungslosigkeit, Wut und Empörung, innerkirchlich auch Trauer und Scham für die Vergehen und das Verhalten von Repräsentanten der eigenen Kirche geäußert. Die Ergebnisse der Gutachter decken sich mit den Beobachtungen früher veröffentlichter Studien und Gutachten (u.a. Kölner Gutachten, MHG-Studie) im Hinblick auf den erschreckenden zahlenmäßigen Umfang der Taten, den fehlenden Blick für und oft kaltherzigen Umgang mit den Opfern, Verharmlosungstendenzen und Sorglosigkeit im Umgang mit den Tätern sowie die Bestrebungen zur Vertuschung seitens leitender Verantwortlicher. Wieder blicken wir in einen Abgrund des Versagens und der Schuld der Kirche und ihrer Vertreter. Schuldig geworden ist die Kirche gerade an den Kleinsten und Schwächsten, denen Jesu besondere Zuwendung und Liebe gilt!
Das Münchner Gutachten ist dabei ein Teil eines Prozesses zur Erfassung und Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in der Kirche, hier speziell in den einzelnen deutschen Bistümern. Die Bearbeitung der bekannt gewordenen Fälle von sexualisierter Gewalt in strafrechtlicher und kirchenrechtlicher Hinsicht sowie vor allem eine wirkliche Wahrnehmung und angemessene Entschädigung der Betroffenen sind unabdingbar. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Bischöfen und Generalvikaren bzw. Ordensoberen. Als Pfarrgemeinderat fordern wir diese nachdrücklich auf, jede mögliche – nicht nur, aber auch nicht zuletzt finanzielle - Anstrengung zu unternehmen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Aufarbeitung geht dabei weit über die Frage des Umgangs mit den Tätern der Vergangenheit und der Entschädigung der Opfer hinaus. Als eine Reaktion auf die Erkenntnisse zu sexualisierter Gewalt in der Kirche wurde der Gesprächsprozess des Synodalen Wegs begonnen, der vor allem darauf zielt, Wege zu einer Beseitigung der bekannten und mittlerweile weitgehend akzeptierten „systemischen“ Ursachen und Risikofaktoren für sexualisierte und spirituelle Gewalt zu suchen. Auf der dritten Vollversammlung der Synodalen in Frankfurt wurde am vergangenen Freitag (04.02.) die Bildung einer Gruppe auf den Weg gebracht, die ein Bekenntnis zu einer gemeinsamen Verantwortung erarbeiten soll. Möglicherweise wird es eine liturgische Form haben, vielleicht ergeben sich auch mehrere verschiedene Formen. Was wichtig ist: Es geht dabei nicht um ein Schuldbekenntnis von Tätern, sondern um ein Wahrnehmen einer Verantwortung der Kirche als Ganze. Die Vortragende auf der Synodalversammlung, Frau Esther Göbel (Pastoralreferentin, Greifswald), sagte: „Ich bin … keine Täterin und ich trage keine persönliche Schuld, die ich bekennen müsste. Aber ich sehe und spüre eine persönliche Verantwortung für das Thema Missbrauch in unserer Kirche. Es geht also nicht um eine Vergemeinschaftung von Schuld — die ist und bleibt allein bei den Tätern. Es geht auch nicht um eine verallgemeinerte Verantwortung für die Aufarbeitung — die liegt bei den Bischöfen und sie müssen sie tragen. Es geht um die Anerkenntnis, dass wir alle Teil haben an der systemischen Verstrickung, von der wir uns befreien und umkehren müssen. Wir wollen eine Reflexion über die je eigene Verantwortung für diese Umkehr und Erneuerung anstoßen. Dazu gehört der kritische Rückblick, wo ich selbst — um es mal ein bisschen fromm zu sagen, vielleicht „nichts Böses getan, aber Gutes unterlassen habe“; wo ich nicht wahrhaben wollte/ konnte; wann ich vielleicht Anzeichen übersehen und Stimmen überhört habe. Wir wollen die Auseinandersetzung und das persönliche Gespräch anregen und die Frage erörtern, wie wir alle, in Wort und Tat glaubhaft an der Seite der Betroffenen stehen können.“[i] Als Pfarrgemeinderat sehen auch wir uns in dieser besonderen Verantwortung und unterstützen sehr, dass nach passenden Ausdrucksformen hierfür gesucht wird.
Taten sexueller Gewalt gab es innerhalb und außerhalb der Kirche, und es wird sie leider auch weiterhin geben. Seit Jahren wird in den deutschen Bistümern daran gearbeitet, Strukturen der Prävention aufzubauen, um sexuelle Gewalt nach aller Möglichkeit zu verhindern, für Hinweise auf solche Taten zu sensibilisieren, sie wahr- und ernst zu nehmen und adäquat darauf zu reagieren. Auf diesem Weg sind die Diözesen unterschiedlich weit gekommen und viele Komponenten ihrer Arbeit müssen wohl zukünftig noch intensiviert und verbessert werden. Kompetente Ansprechpartner für eine niederschwellige Meldung von Fällen oder Verdachtsmomenten und für die Unterstützung und seelsorgliche Zuwendung für Betroffene wurden überall implementiert[ii]. Präventionsschulungen für ehren- und hauptamtlich in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen Tätige wurden verpflichtend gemacht und Präventionsbeauftragte benannt. Auch in unserer Pfarrgruppe fanden entsprechende Veranstaltungen statt bzw. wurden von den Mitarbeitenden auswärtige Schulungen besucht. Als Pfarrgemeinderat hoffen wir, dass in unserer Pfarrgruppe für den Themenkomplex bei allen Haupt- und Ehrenamtlichen eine ausreichende Sensibilität hierdurch geweckt wurde. Uns ist bewusst, dass es zukünftig Wiederholungen und Auffrischungsveranstaltungen brauchen wird, um diese wachzuhalten und zu verinnerlichen.
Trotz des gewachsenen innerkirchlichen Bewusstseins bleiben bislang systemische Gründe und Risikofaktoren bestehen. Die bislang vorliegenden Studien und Gutachten nennen hier mehrere Komponenten. Zu den systemischen Ursachen gehören u.a. der Klerikalismus mit einer Überhöhung des Priesters, die streng hierarchische Organisation und Machtverteilung in der Kirche sowie die traditionelle leibfeindliche und restriktive katholische Sexualmoral. An konkreten Maßnahmen schlägt beispielsweise das Münchner Gutachten eine „Stärkung der Rolle der Frau“ (S. 1197f), eine „Überprüfung der priesterlichen Ausbildung“ (S. 1192) und eine „Reflexion des priesterlichen Selbstverständnisses“ (S. 1193f) vor. Den genannten Themenkomplexe der „Priesterlichen Existenz heute“, der „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, der „Frau in Diensten und Ämtern der Kirche“ sowie der katholischen Sexualmoral („Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“) entsprechen die vier thematischen Foren des Synodalen Wegs. Hier werden in der Zusammenarbeit von Bischöfen und Laien, von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden Überlegungen zu notwendigen Veränderungen grundlegender Art entwickelt, die in der katholischen Kirche in Deutschland angestoßen und auch in die weltkirchliche Auseinandersetzung eingebracht werden müssen. Erste wichtige Dokumente[iii] wurden gerade auf der 3. Vollversammlung der Synodalen mit großer Mehrheit auch der beteiligten Bischöfe verabschiedet. Als Pfarrgemeinderat begrüßen wir den Gesprächs- und Arbeitsprozess des Synodalen Wegs. Wir erwarten von den Bischöfen, dass sie die in den entstehenden Dokumenten festgehaltenen Ergebnisse - soweit auf Ebene der Teilkirche möglich - in ihren jeweiligen Diözesen tatkräftig umsetzen und sie an jeder ihnen möglichen Stelle als wesentlichen Beitrag in den von Papst Franziskus angestoßenen weltkirchlichen synodalen Prozess einbringen.