Graf Drogo war ein Enkel Karl Martells und ein Sohn Karlmanns. Mulinheim superior, das spätere Seligenstadt, war der Sitz einer von mehreren Pfalzen, von denen aus Karlmann als sogenannter Hausmeier nach einem 742 geschlossenen Vertrag den Ostteil des Frankenreiches regierte. Im Jahr 742 dankte Karlmann ab, und sein Nachfolger war sein Sohn Drogo im Alter von 17 Jahren. Karlmann ahnte, dass seinem Sohn einmal aus der eigenen Familie Schwierigkeiten entstehen würden. Deshalb empfahl er ihn dem besonderen Schutz seines Bruders Pippin, der noch kinderlos war. Jedoch wurde diesem am 2. April 748 der Sohn Karl geboren, der spätere Karl der Große.
Nach 748 hatte Pippin also einen leiblichen Nachfolger als König der Franken, der er mit päpstlicher Hilfe 751 wurde. Drogo war somit als Erbe der Königswürde ausgeschaltet. Pippin strebte dann auch zielbewusst die Entfernung aller Konkurrenten seines Sohnes Karls an. Drogo war ohnehin als Parteiführer angesehener Adelsfamilien, die sich gegen Pippin wandten, gefährlich geworden; ein Grund mehr, ihn zu beseitigen.
Karlmann starb 754. Als ernsthafter Konkurrent für die Nachfolge Pippins (gest. 768) blieb nur Drogo übrig. Pippin wollte sich nun so bald wie möglich des lästigen Neffen entledigen. Das wurde mit Hilfe des Papstes möglich, der ins Frankenreich kam und den mächtigen Adelsfamilien nachdrücklich empfahl, nur Erben Pippins zum König zu wählen. Da dürfte der Plan entstanden sein, Drogo zu töten und den Weg für Karl als Nachfolger des Königs der Franken frei zu machen.
Die auf Karl den Großen fixierte Geschichtsschreibung hat verständlicherweise fast nichts über diese Entwicklung berichtet. Auch Einhard hat kein Wort über die Gegner des Königs und ihren Anführer Drogo verloren. Erst in unserer Zeit wurde die Bedeutung Drogos aus den wenigen erhaltenen Quellen deutlicher erkannt.
Im Lorscher Codex wird berichtet, dass Einhard den Ort Mulinheim superior (Obermühlheim) als Geschenk erhielt. Dazu wird berichtet, dass der Ort einst im Besitz des Grafen Drogo gewesen ist. Der Ort hatte damals schon eine kleine Steinkirche, die mit Steinen eines früheren römischen Kastells erbaut war. Das sind Ergebnisse von Grabungen auf dem Seligenstädter Friedhof zwischen 1961 und 1995. Die Bestattungen, die hier 1995 im Chorbereich gefunden wurden, sind im 8. Jahrhundert entstanden. Das ist das Ergebnis von C14-Analysen und Untersuchungen von Anthropologen. Sie erlauben die Folgerung, dass es sich bei den Bestatteten um Angehörige des im Lorscher Codex genannten Grafen Drogo handelt.
Für Drogo selbst sprechen die 1995 ermittelten Befunde. Das Grab wurde unter der Mitte des Triumphbogens zwischen Saal und Chor, also an hervorragender Stelle gefunden. Der in ihm Bestattete war gewiss eine Persönlichkeit von hohem Rang. Das Grab muss um das Jahr 750 in der bereits vorhandenen Kirche (Eigenkirche des Grafen!) entstanden sein. Der hier Begrabene war nach Untersuchungen etwa 25 Jahre alt und gross gewachsen (173 cm). Der Tote war nicht eines natürlichen Todes gestorben. Er wurde mit vier Schwerthieben von einem Reiter erschlagen. Die C14-Analyse der Knochen erlaubt eine Datierung auf das Jahr 750. Die übrigen gefundenen Skelette waren Angehörige der Grafenfamilie. Diese alte Stadtkirche wurde Maria geweiht.
Das war der Grund, unsere heutige Kirche in Erinnerung an die alte Kirche St. Marien zu nennen. 1817 wurde die alte Kirche abgebrochen.