Schmuckband Kreuzgang

Für ein engagiertes und phantasievolles Mittun im Gottesdienst

Artikel in MUSICA SACRA vom 1. Oktober 2025

Gottwald Orgel - Prospekt (c) Markus Büchele
Datum:
Mi. 26. Nov. 2025
Von:
Kilian Gottwald

Gedanken des Erbauers zur neuen Orgel in der katholischen Kirche Mariae Himmelfahrt in Friedberg

Die Orgel darf das Privileg beanspruchen, in gewisser Weise das aktuellste klassische Instrument zu sein. Angesichts der Woche für Woche in unzähligen Gottesdiensten oftmals höchst kreativ improvisierten Musik ist das ebenso gerechtfertigt wie durch immer wieder neue klangliche und optische Entwürfe. Beeindruckend werden dabei heute Registerzahl und insbesondere technische Ausstattung in den Bereich des Superlativen geführt. Und für die Klangplanung stehen Daten in unüberschaubarer Fülle zur Verfügung, deren Anwendung durch moderne Messtechnik präzise zu fassen ist. Für die neue Orgel der katholischen Kirche Mariae Himmelfahrt in Friedberg/Hessen habe ich demgegenüber ganz bewusst eher konventionelle Wege beschritten, um schlichtweg folgendes zu erreichen: Der Prospekt soll eine Zierde für den Raum sein und der Klang soll die Menschen farbenreich und warm durch die Zeit begleiten.

Schlimbach und Breitmann

Die überlieferte Disposition der ersten Orgel dieser Kirche von Martin Schlimbach aus Würzburg (1896) lässt auf ein solides, zweckmäßiges Werk schließen, dessen 16 Register den nicht großen neugotischen Kirchenraum gut gefüllt haben dürften. Mechanische Kegelladen mit vier Kollektivtritten und fein differenzierte 8‘-Register entsprachen dem Stand des Orgelbaus dieser Jahre. 1979 hatte man offenbar keine Bedenken konservatorischer Art, dieses Instrument durch eine neue Orgel der Firma Breitmann, Nieder-Olm, zu ersetzen. Von ähnlicher Größe hielt dieses sich ganz und gar an die jetzt propagierten Klangregeln mit ihren inzwischen sattsam bekannten Grenzen. Ein angedeutetes, nach oben offenes Gehäuse vermochte das frei vor der Kirchenwand stehende Pfeifenwerk weder vor Sonneneinstrahlung noch vor Verschmutzung zu schützen. Die darüber hinaus unglückliche technische Anlage verstärkte später den Ruf nach einer neuen Lösung mit wesentlich erweiterten Möglichkeiten für die Liturgie und für konzertante Aufgaben. Das enorme jahrelange Engagement aus Gemeindekreisen ließ den Plan, eine neue Orgel zu bauen, schließlich wahr werden und voller Dankbarkeit durfte ich den Auftrag entgegennehmen.

 

Keine optische Verkleinerung des Raumes

Frei vom Zwang, hier etwas unerkennbar Neues, „Modernes“ schaffen zu müssen, konnte ich Hinweise für die Gehäuseform aus dem Raum und der Emporensituation herauslesen. Zugleich lassen sich gestalterische Verbindungen zu meinen vorausgehenden Prospekten, insbesondere in der evangelischen Kirche Elkerhausen, entdecken. Um den Lichteinfall durch die Fensterrosette weiterhin zuzulassen, bot sich die Teilung des Hauptwerkes in zwei in sich symmetrische Hälften mit eigenen, sehr schlanken Unterbauten an. Verbindung ist die Spielanlage in hellem Ahornholz, die wie ein geöffnetes Tor zum Musizieren einlädt. Schwellwerk und Pedal stehen dahinter, sodass auf der Empore Platz für einen Chor bleibt. Eine Besonderheit der Kirchenarchitektur, die unter dem Holzgewölbe freitragenden waagerechten Balken auf schlanken Eisensäulen, wird gestalterisch in den Obergehäusen aufgenommen. Dabei verdecken Freipfeifenfelder die Dächer. Insgesamt verkleinert dieser Orgelprospekt den Raum optisch nicht, sondern wirkt offen, fast ein wenig durchscheinend. Dazu möchte auch meine frohe rote Gehäusefassung beitragen, die mehrschichtig getupft und gewischt aufgetragen wurde. Sie schafft eine farbliche Beziehung zu den Altären im Chorraum.

 

Warm, innig und vornehm

Für einen warmen, innigen und vornehmen Orgelklang bietet die mitteldeutsch-romantische Orgelbautradition, in der ich mich bei aller Beschäftigung mit der französischen und süddeutschen Orgelkunst in gewisser Weise sehe, eine gute Basis. Von da aus war eine Brücke zu Schlimbach gegeben, ohne dass bei diesem Projekt rekonstruktive oder stilistisch-organologische Überlegungen der Klangphantasie Grenzen gesetzt hätten.

Der Prinzipalchor des Hauptwerkes orientiert sich an Schlimbach-Mensuren. Trotz symphonischer Intonationsweise lädt er jederzeit auch zu polyphonem Spiel ein und besitzt warmen Glanz mit Ausläufern im selbstbewussten Schwellwerk. Umgeben wird dieser Klangkern mit charakteristischen Farben von engelsgleich bis pompös. Quintatön 8‘ im Hauptwerk, eine eher seltene Stimme, ist mit ihrem lyrischen, melancholischen Klang ein Zitat aus der Schlimbach-Disposition. Mit der durchschlagenden Klarinette in Skinner-Bauweise besitzt die Friedberger Orgel übrigens das letzte Register dieser Art aus dem Hause Laukhuff. Wichtig ist mir stets eine reichliche Besetzung des Pedals, insbesondere für leise Begleitaufgaben. Dazu werden vier Grundreihen jeweils zweifach verwendet und durch den transmittierten Bordun des Hauptwerks ergänzt. Mit dessen Hilfe konnte auch leicht die Suboktavkoppel im Schwellwerk nach unten ausgebaut werden.

Eine eigene neue Temperierung („Gottwald IV“) wärmt die Haupttonarten unaufdringlich an und macht harmonische Spannungen ein wenig pikanter. Der Ausdruck „modifiziert gleichstufig“ passt hier genau.

 

Zum Nutzen für ein engagiertes Mittun in der Liturgie

Das Klangangebot der neuen Orgel fußt auf einer großzügigen Windanlage mit zwei Falten- und einem Schwimmerbalg. Für den Erhalt sind die geschlossenen Gehäuse des Hauptwerks unabdingbar, was hier auch akustisch günstig ist. Die Stimmgänge liegen jeweils in den Gehäusen, sodass alle Zungenregister ohne Tür-auf-Tür-zu-Effekt ausgesprochen bequem zu stimmen sind. Eine hängende Traktur in traditioneller Bauweise sorgt für ein angenehmes, authentisches Spielgefühl. Bei der elektrischen Registerbetätigung wurde mein Vorschlag angenommen, neben der obligatorischen Setzeranlage auch zwei Freikombinationen anzubieten. An freundlichen Hinweisen, dass man so etwas doch heute nicht mehr brauche, mangelte es nicht. Ich halte aber diese Art der schnellen, auch für Gäste völlig unkomplizierten und vor allem jederzeit selbst während des Spiels noch zu ändernden Vorauswahl nach wie vor für ungemein praktisch. Was immer man als Orgelbauer tun kann, um ein spontanes, engagiertes und phantasievolles Musizieren im Gottesdienst zu fördern, erscheint mir sinnvoll und gut. Umso besser werden die enormen Möglichkeiten dieses stets aktuellen, im Kern nach wie vor völlig analogen Instrumentes in Liturgie und Konzert über viele Jahrzehnte ausgeschöpft!

_____________________________________________________________________

Der Text ist ein Nachdruck des Artikels von Kilian Gottwald in der Zeitschrift "Musica Sacra" vom 01.10.2025.

 

Musica Sacra - Die Zeitschrift für katholische Kirchenmusik