"Ich will mich nicht gewöhnen!"

Ein Lesekurs zum 5. Todestag von Dorothee Sölle

Datum:
Termin: Dienstag, 09.12.08 - 14:30 - Donnerstag, 11.12.08 - 13:00
Art bzw. Nummer:
K 08-30
Ort:
Kloster Jakobsberg
Missionsbenediktiner von St. Ottilien
55437 Ockenheim
Dorothee Sölle (*30.09.1929 † 27.04.2003) ist die meistgelesene zeitgenössische theologische Schriftstellerin. Sie war Mitbegründerin des so genannten Politischen Nachtgebets von 1968–1972 in Köln.

Eine Professur blieb ihr aufgrund der heftigen Auseinandersetzung um ihr Konzept einer „Theologie nach dem Tode Gottes“ in Deutschland verwehrt. Erst 1994 erhielt sie eine Ehrenprofessur an der Universität Hamburg. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie zunächst als Lehrerin, später vermehrt als Schriftstellerin und Journalistin. In den Jahren 1975–1987 lehrte sie systematische Theologie am Union Theological Seminary in New York.

Geprägt von dem Bewusstsein nach Auschwitz zu leben und inspiriert von der Befreiungstheologie sowie der feministischen und ökologischen Bewegung entwickelte sie eine Theologie radikaler Diesseitigkeit: „Gott braucht uns, und wir brauchen Gott.“
Faszinierend bleiben einerseits ihre theologische Konsequenz in der Gotteslehre und gleichzeitig die Poesie und mystische Dichte mancher Texte.

Wir laden Sie ein zu einem Lesekurs. Langsam und miteinander im Gespräch werden wir Ausschnitte aus ihrem theologischen Werk auf ihre aktuelle Relevanz prüfen und dabei nicht vergessen, dass der Advent unser zeitlicher Kontext ist. So wird es genügend Raum geben, um auch die spirituelle Tiefe ihrer poetischen Texte im gemeinsamen Lesen zu erleben.

Literaturempfehlung:
Dorothee Sölle, Gewöhnen will ich mich nicht, Herder Spektrum 2005.

Leseproben:

„In gewissem Sinne verhalten wir uns zu den Geschichten von Weihnachten wie Voyeure, wie Leute, die einem Liebesakt zusehen und sich von ihm erregen lassen, ohne eine aktive partnerbezogene eigene Spontaneität zu entwickeln. … Was es bedeutet, dass Gott Mensch wird, das sei hier in zwei Richtungen entfaltet, die erste heißt: Gott wird immer wieder Mensch, und die zweite: Gott wird immer mehr Mensch. Man muss es in der Gegenwart denken, dass Gott Mensch wird, weil sonst die perfekte, vergangene Aussage, dass Gott einmal Mensch geworden ist, zu einem religiös verdinglichten Faktum wird, einer Art Götzenbild, das keinen Schritt über die anderen Religionen hinausführt und das wie ein Stein gegen andere benutzt werden kann. … Gott wird immer wieder Mensch, … weil wir in jedem Menschen Gott, wenn nicht erkennen, so doch glauben.“
(aus: Gott wird Mensch, in: Das Recht ein anderer zu werden)

„Ich glaube, dass die Übersetzung unseres Bibelverses “Selig sind die Friedfertigen”, wie wir sie von Luther kennen, eine Gefahr in sich trägt, nämlich die des friedlichen Dabeisitzens, die des berühmten Schneiders aus Sachsen, der über seinem Geschäft den Spruch anbrachte, der auf seinen Landesfürsten gemünzt war: “Unter deinen Flügeln kann ich ruhig bügeln.” Wenn das der Sinn von “Selig sind die Friedfertigen” ist, und in weiten Kreisen des deutschen Protestantismus ist das der Sinn von “Selig sind die Friedfertigen”, dann ist das eine Verfälschung dessen, was Jesus gemeint hat, dann ist diese Übersetzung nicht richtig, dann müssen wir eine andere Übersetzung lernen, die mit “Frieden machen”, wie es im Urtext heißt, “Frieden stiften”, “am Frieden arbeiten” zu tun hat. Und das ist: sich einmischen. Wie wird man denn einer, der Frieden macht? Ich glaube, sich einmischen hat einmal damit zu tun mit dem Ich, das jemand nicht mehr versteckt und anonym hält.
(aus einer Predigt vom 6.09.1980)

Wenn ich mit anderen zusammen im Gottesdienst wiederhole: Ich glaube an Gott den Schöpfer, so ist das nicht eine Erklärung, oder gar eine Analyse der Welt, es bedeutet eher eine Liebeserklärung und das ist etwas ganz anderes. Eine Liebeserklärung, die sich auf diesen Rhythmus dieses Lebens bezieht. Wir können ihn spüren, wir können ihn erleiden, wir können ihn sogar loben. Wir brauchen eine neue Spiritualität, die den Rhythmus des Lebens kennt und akzeptiert, wir brauchen dieses Lob. Wir sollten uns selber unterbrechen, um diesen Rhythmus des Lebens wahrzunehmen und uns in ihn einzustimmen. Er ist vor uns da und nach uns da. “Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag.” so Berthold Brecht. Diese Hoffnung kann nur überleben, wenn wir lernen in den Rhythmus einzuwilligen.

Ich hab mir in den letzten Jahren angewöhnt meine Vorträge diskursiver Art zu unterbrechen - durch theopoetische oder durch spirituelle Reflexionen. Das Gefühl, dass die Sprache des wissenschaftlichen Diskurses nicht ausreicht, um das, was wir eigentlich miteinander mitteilen sollten, wirklich mitzuteilen, ist immer mehr gewachsen. Wir brauchen noch eine andere Sprache außer der der Theologie. Darauf hat mich vor Jahren Martin Buber aufmerksam gemacht, den ich 1960 besucht habe. Es war ein Urerlebnis für mich und ich hatte mich - eine ganz junge Religionslehrerin die ich war - ich hatte mich als Theologin vorgestellt und nach einem langen Schweigen, das mir entsetzlich peinlich war, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, sagte er plötzlich “Theologie, wie machen Sie das eigentlich? Es gibt doch keinen Logos von Gott, es gibt natürlich Dentologie, Zahnheilkunde, Zoologie, Tierkunde und viele andere Logien - Wissenschaften. Aber in derselben Weise kann man nicht von Gott reden. Da ist doch irgendetwas krank.” Es war ein ungeheurer jüdischer Einwand und der hat mich richtig zum Nachdenken gebracht und eine meiner Antworten darauf lautete: wir müssen vielleicht Geschichten erzählen von Gott, wir müssen vielleicht Lieder zu singen versuchen und Theopoesie lernen. (3. Dezember 2001, Vortrag zu Gen 2,15)