Frau Silvia Wenzel, die Koordinatorin unseres pastoralen Raums MainWeg, hat der Redaktion von Herz-Jesu aktuell in einem Interview Ihre Sicht auf unseren zukünftigen gemeinsamen Weg aufgezeigt Wir interpretieren das von Ihre gewünscht Begrüßungsfoto so, dass es ihr wichtig ist, zuzuhören. Aber lesen sie selbst.
Redaktion: Frau Wenzel, wie würden Sie sich selbst kurz skizzieren?
Frau Wenzel: Ich bin 55 Jahre alt, lebe zusammen mit meinem Mann in Mainz-Laubenheim und bin seit 30 Jahren im Dienst des Bistums Mainz. Meine beruflichen Erfahrungen als Gemeindereferentin möchte ich nun gerne noch gezielter dafür einsetzen, dass sich die Kirche weiterentwickelt und unterschiedlichen Menschen verschiedene Anknüpfungspunkte anbietet. So habe ich es selbst als Kind und Jugendliche ja auch erlebt. Damals wie heute gemeinsam mit anderen auf dem Weg zu sein, das macht mir einfach viel Freude.
Meine pastorale Haltung ist geprägt durch meine langjährige Mitarbeit im Projekt „Lebensraumorientierte Seelsorge im Dekanat Mainz Stadt“.
In Phase I des Pastoralen Wegs habe ich im Dekanatsprojektteam mitgearbeitet und war dort für das Teilprojektteam „Sozialraum-orientierung/Sozialpastoral“ verantwortlich. Das hat mir viel Freude bereitet und mich sehr motiviert. Außerdem habe ich eine vierjährige Weiterbildung zur Gestalttherapeutin absolviert.
Bei allen Herausforderungen hilft mir das Vertrauen darauf, dass ich Gott nicht zu den Menschen bringen muss: ER ist längst schon dort!
Redaktion: Wenn Sie nicht Gemeindereferentin geworden wären, welchen Beruf würden Sie dann heute ausüben?
Frau Wenzel: Die Entscheidung, mich beruflich in den Dienst der Kirche zu stellen, stand schon früh fest – aber ich könnte mir vorstellen, dass mich ein Musikstudium auch sehr gereizt hätte. Vielleicht wäre ich Musiklehrerin geworden? Wer weiß …
Wenn ich heute noch einmal studieren würde, wäre es klassische Archäologie – oder Kulturgeschichte, oder auch Palaeolithik …
Redaktion: Welcher Mensch hat Sie auf Ihrem Lebens- und Glaubensweg geprägt? Haben Sie ein Vorbild oder eine/n Lieblingsheilige/n?
Frau Wenzel: Auf die Frage nach einer/einem Lieblingsheiligen antworte ich am liebsten: „Allerheiligen“! – Als Christinnen und Christen sind wir alle berufen, „Heilige“ zu sein – jeder und jede auf seine/ihre Weise. Das ist Zuspruch, zugleich aber auch ein Anspruch an uns. Und so gab und gibt es viele Menschen, deren Leben und Zeugnis in der Welt mich beeindrucken und anspornen: etwa der Jugendreferent, Jugendliche in der Katholischen jungen Gemeinde, Kolleginnen und Kollegen, Ehrenamtliche – aber auch „offizielle“ Heilige der Kirche, vor allem Frauen, deren Biografien mich berühren, etwa wenn sie in ihrer jeweiligen Zeit „gegen den Strom geschwommen“ und sogar Mächtigen entgegengetreten sind.
Redaktion: Gibt es außerkirchliche Freizeitbeschäftigungen, die Ihnen wichtig sind - oder bleibt dafür gar keine Zeit?
Frau Wenzel: Na klar. So viel Zeit muss bleiben: Zusammen mit meinem Mann wandere ich gerne, oder wir gehen auf geschichtliche oder archäologische Entdeckungs- oder Erkundungstour. Musik spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben: Ich spiele seit meiner Kindheit Geige und singe sehr gern.
Redaktion: Haben Sie in der Vielfalt Ihrer Aufgaben ein persönliches Steckenpferd - was arbeiten Sie am liebsten?
Frau Wenzel: Mich interessieren besonders die Arbeitsbereiche, in denen ich nicht nur nach „Schema F“ arbeiten kann, sondern gefordert bin: In den letzten Jahren war ich z.B. Pastorale Begleiterin in einer Kindertagestätte. Ich finde, in einer solchen Arbeit liegt ein großes Potenzial, Kinder und ihre Familien in ihrem Alltag noch einmal ganz neu mit der Frohen Botschaft in Berührung zu bringen. Auch die Arbeit mit den Erzieherinnen fand ich bereichernd. Wenn ich in Arbeitsbereichen meine gestalttherapeutische Qualifikation einbringen kann, erfüllt mich das ebenfalls sehr.
Redaktion: Welches Lied aus dem Gotteslob singen Sie besonders gern?
Frau Wenzel: „Kündet allen in der Not: Fasset Mut und habt Vertrauen!“ (GL 221)
Redaktion: Gibt es eine Bibelstelle, die Ihnen wichtig ist oder viel bedeutet?
Frau Wenzel: „Bemüht euch um das Wohl der Stadt ...“ (Jeremia 29,7) ist ein Leitspruch, der mich schon lange antreibt.
Redaktion: Welche Vision von Kirche verbinden Sie damit?
Frau Wenzel: Das Wahrnehmen und Einbeziehen gesellschaftlicher Realitäten kann uns helfen, die Frohe Botschaft von den Menschen her neu zu entdecken, zu verstehen und leben zu lernen – damit Kirche auch vor Ort als an der Seite der Menschen spürbar wird.
Maßgeblich für das Gelingen ist das Hinhören auf das, was die Menschen bewegt und was sie brauchen. Der ehemalige Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, hat dies einmal so ausgedrückt: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe.“ Auch dieser Satz begleitet mich schon lange.
Redaktion: Der aktuelle „Tanz auf zwei Hochzeiten“ ist bezüglich der Belastungen sicher anspruchsvoll. Bewegen Sie und „der Weg“ sich im Zeitrahmen oder gibt es Hindernisse?
Frau Wenzel: „Tanz auf zwei Hochzeiten“ finde ich ein passendes Bild: Wir bewegen uns kirchlich ja noch in den vertrauten Strukturen – tanzen quasi in einem kleinen, überschaubaren Tanzsaal – haben aber unsere Fußspitze definitiv schon durch die Tür zu einem neuen Saal gestreckt, der für uns aber noch in vielerlei Hinsicht unbekannt ist. Das finde ich wichtig zu sehen.
Denn wenn ich allein an das denke, was da in den letzten Jahren in den Dekanaten und in unserem Bistum bereits geleistet wurde, ist das sehr beachtlich! Da sind wir doch insgesamt auf einem guten und erfolgsversprechenden „Weg der Beteiligung“, wie ihn Bischof Kohlgraf vorschlägt – den weiteren Entwicklungen sehe ich daher positiv gespannt entgegen.
Redaktion: Wir denken, die Menschen in den Gemeinden zusammenzuführen, ist ein erster wichtiger Ansatz. Würden Sie dem zustimmen?
Frau Wenzel: Absolut! Gemeinsam sind wir doch auf der Suche nach dem, was Gottes Sehnsucht, sein Plan für uns in unseren konkreten Lebensumfeldern ist. Wenn unsere Pastoralräume „Räume der Gottes- und Nächstenliebe“ werden sollen, wie der Bischof es formuliert hat, dann gibt es viele Themen, die nicht nur in einer Gemeinde bedeutsam sind, sondern die uns miteinander verbinden und die einen gemeinsamen Auftrag darstellen. Die Bistumsleitung hat hier einige Themen „gesetzt“ – Gottesdienste, Katechese, Sozialpastoral, Vermögen, Verwaltung, Gebäude – aber möglicherweise gibt es ja noch anderes … Und nun geht es darum, sich entsprechend zu vernetzen, um Kräfte für diese wichtigen Themen zu bündeln und gemeinsam Wege als Christinnen und Christen zu gestalten.
Redaktion: Heißt das für Sie, ab jetzt muss in einem Pastoralraum alles zusammen gelegt und gemeinsam gemacht werden?
Frau Wenzel: Das befürchten viele Menschen. Ich gehe aber davon aus, dass sich Kooperation auf ganz verschiedenen Stufen bewegen kann: Diese reichen vom „sich gegenseitig informieren“ über „aufeinander verweisen“ und „sich miteinander abstimmen“ bis hin zu „gemeinsamen Aktivitäten“. Auf die Vielfalt dieser unterschiedlichen Möglichkeiten wird es nach meiner Überzeugung ankommen.
Redaktion: Mit Blick auf den pastoralen Raum: Welche Veranstaltungen sollten zukünftig Ihrer Meinung nach im pastoralen Raum gemeinsam stattfinden - welche sollten an den jeweiligen Kirchorten verbleiben?
Frau Wenzel: Da gilt es in der Tat gut abzuwägen, was sinnvollerweise vor Ort erhalten bleiben muss, und wo wir uns neu aufstellen können oder müssen, damit wir auch in Zukunft eine Kirche sind, die für alle Menschen da und an ihrer Seite ist. Ich kann da als noch Außenstehende aber keine konkreten Veranstaltungen benennen. Vielmehr gilt es genau das im Miteinander auszuloten und zu entwickeln.
Gemeinde bleibt dabei auf jeden Fall weiterhin Kirche vor Ort, in der Christinnen und Christen ihr Leben auf Jesus Christus hin ausrichten, ihren Glauben leben und sich in verschiedenster Weise dafür einsetzen was vor Ort nötig und gewünscht ist.
Redaktion: Viele verbinden mit den pastoralen Räumen, dass den Menschen etwas weggenommen wird. Wie möchten Sie diesen Bedenken begegnen?
Frau Wenzel: Es ist eine Realität, dass wir in Zukunft auf so manches verzichten werden müssen: auf Gewohntes, Vertrautes, auch vielleicht auf Liebgewonnenes. Dem sollten wir ins Auge blicken. Aber in den 2000 Jahren Kirchengeschichte hat es immer wieder Veränderungen gegeben – ja geben müssen, weil die Welt sich eben immer weiterentwickelt. Das vergessen wir leicht.
Dennoch werden wir in unserer Kirche die Dinge nicht einfach von heute auf morgen alle umgestalten. Es wird eine Phase des Übergangs geben, in dem verstanden, gewürdigt und betrauert werden kann, was man loslassen muss. Das finde ich sehr wichtig.
Es wird vermutlich auch eine Zeit der Verunsicherung kommen – eine Zeit, in der vieles hinterfragt wird und man denkt, alles ist auf den Kopf gestellt und „stimmt“ nicht mehr. Das wird eine echte Herausforderung. Diese Zeit wird es aber wohl brauchen, damit sich die neuen Wege, auf denen wir unsere Kirche in eine neue Zukunft führen, umso klarer auftun und zeigen.
Redaktion: Im Zugehen auf neue Mitglieder oder aus der Kirche Ausgetretene - haben Sie Ideen, wie wir die Menschen noch besser erreichen können? Was müssten wir hierzu verändern?
Frau Wenzel: Wir befinden uns insgesamt in einer krisenhaften Zeit in der die Kirche in der Gesellschaft an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Eine neue, innere Überzeugungskraft als Kirche wird es aus meiner Sicht nur geben, wenn es uns gelingt, uns neu an Jesus Christus auszurichten und den Menschen stärker in den Blick zu nehmen: Ecce Homo! – Da ist der Mensch!
Wenn jemand beschließt, aus unserer Kirche auszutreten, habe ich vor dieser Entscheidung großen Respekt – auch wenn sie mich schmerzt. Wenn ich mit Menschen über ihre Beweggründe sprechen kann, mache ich mir nicht zum Ziel, sie zum Bleiben oder zum Wiedereintritt zu bewegen, sondern mich interessieren ihre Gründe. In dem Sinn versuche ich nicht, sie zu „erreichen“, sondern will mich von ihnen erreichen und berühren lassen. Das gilt auch für das Gespräch mit möglichen neuen Kirchenmitgliedern.
Redaktion: Wo sehen Sie unsere Kirche im Jahr 2035 - was wird sich geändert haben?
Frau Wenzel: Ich sehe eine „Volkskirche“ im besten Sinne des Wortes, eine „Kirche für alle“, die sich auf das Wort und das Leben Jesu Christi hin ausrichtet, die sich in neuen, flexibleren Strukturen bewegt, die sich selbst und ihre Gebäude nicht mehr im „Zentrum“ der Gesellschaft sieht, sondern in der sich Christinnen und Christen mit anderen Menschen guten Willens an den vielen kleinen Orten gemeinsam bewegen. Eine Kirche, die möglichst vielen Menschen Unterstützung und Halt bietet, in der Sinnsuche möglich ist, Hoffnung erfahrbar wird und die sich weiterhin auf einem Pilgerweg durch die Zeit erlebt.
Ein herzliches Dankeschön und Willkommen an Frau Wenzel .
Wir wünschen ihr eine glückliche Hand und viele helfende Hände für die zukünftigen Herausforderungen.