Schmuckband Kreuzgang

Gedanken zum Karfreitag 2020

Pfarrer Holger Allmenroeder (c) St. Marien
Pfarrer Holger Allmenroeder
Datum:
09.04.2020

Karfreitag!

Es gibt in der religiösen Darstellung wohl wenig permanent Verstörenderes als den Mann am Kreuz. Den ewigen Karfreitag vor Augen, schauen insbesondere Menschen anderer Religionen oder nicht-religiöse Menschen auf die Brutalität des Menschen am Menschen, nicht zu vergessen Tier und Schöpfung. Es ist so schlimm, dass im Vorhang der Tempelvorhang gleich einem Menetekel von oben bis unten entzwei reißt. Das heißt auch, das Allerheiligste im Tempel ist der Unmenschlichkeit des Menschen preisgegeben.

Will ich dahin schauen? Will ich auf unseren "Christus aller Opfer" von Maksymilian Biskupski, der zum Groll mancher Frommen auch noch des Lendenschurzes beraubt ist, schauen? Welch schwächelnden Gott mus ich mir da zu eigen machen?

Will ich mir das anschauen? Ja, ich will! Mehr noch: Ja, ich muss!

In Christus fokussiert sich all das Unrecht, all die Gewalt, all der Hass oder die Lieblosigkeit, die Menschen seit allen biblischen Zeiten nach Christus durch Abschlachten um des Glaubens willen, über die Shoa und nach Auschwitz bis heute anderen Menschen antun. Und Menschen hören nicht auf damit. Selbst Corona scheint den Menschen nicht stoppen zu können. Der Hauptmann unterm Kreuz, so bezeugt der Evangelist Matthäus, sagt, "wahrhaftig, GOTTES Sohn war dieser!"

Wer an die menschliche Macht glaubt, wird die Paradoxie, die in diesem Zeugnis steckt, nicht nachvollziehen können. Germanen, Römer, selbst die jüdischen Theologen, konnten, wollten sich Gott nicht als schwach, gar als Schwächling vorstellen. Doch dieses Paradoxon verwandelt die augenscheinliche Stärke der Starken, Mächtigen, Reichen, Gesunden, Schönen in etwas sehr Relatives und erinnert all Erniedrigten, Armen, Verlierer, Kranken daran: DU, den viele verlachen, verspotten, ausgrenzen, sollst die geistliche Macht haben, "TROTZDEM" zu sagen, und dir deiner Würde, die kein Mensch dir nehmen kann, gewiss zu bleiben, denn GOTT hat sie dir gegeben und wird sie dir nicht nehmen. Auch in der Qual nicht, und auch nicht im gewissen irdischen Tod.

"Mein GOTT, mein GOTT, warum hast du mich verlassen", diese Worte aus dem 52. Psalm spricht Jesus im Sterben am Kreuz. Das klingt nach Enttäuschung, riecht nach Glaubenszweifel im letzten Augenblick, doch ich verstehe diesen Ausruf im Psalm und durch den sterbenden Jesus als den elenden Seelenzustand, den jeden Menschen - Jesus zeigt hier seine sehr menschliche Seite - überkommen kann, auch den glaubensstärksten Menschen. Die Paradoxie des Wirkens Gottes mag wie eine "schöne" intellektuelle Denkart erscheinen. Doch auch diese paradoxe Denkart muss sich erst einmal im Anschauen des Grauens, der unerträglichen Stille bewähren.

Ich möchte mit Ihnen diese unerträglichen Seiten des Karfreitags, nicht nur liturgisch-symbolisch, besonders in der unerträglichen Wirklichkeit aushalten - und auf Gott vertrauen.

Neben dem Zitat aus Psalm 52 ein Ruf nach Dietrich Bonhoeffer:

"GOTT, zu dir rufe ich,
In mir ist es finster, aber bei dir soll Licht sein.
Meine Seele ist einsam, aber von dir erhoffe ich, dass du mich nicht verlässt.
Ich bin kleinmütig, doch bei dir suche ich Hilfe.
Ich bin so unruhig, bei dir findet sich ersehnter Friede.
Bitterkeit spüre ich in mir, Geduld ist bei dir.
Deine Wege verstehe ich nicht, aber du weist mir den Weg".

 

Holger K. Allmenroeder, Pfarrer