Bistum Mainz:Mehr als ein frommer (Weihnachts-)Wunsch: Vom Lohn der Arbeit muss man leben können!
Sie schaffen für uns nahezu rund um die Uhr. An den Kassen, im Verkauf und vor allem auch hinter den Kulissen, in Lagern, Discountern und in Warenhäusern. Besonders vor den großen Feiertagen geht der Run in den Geschäften los: Shopping, Großeinkäufe, Umtausche. Und während andere sich im Urlaub wissen, kämpfen sie „freundlich lächelnd“ mit Gestressten und Ungeduldigen in den Läden bis kurz vor und gleich nach den Feiertagen. Um wen es geht? Um Arbeitnehmer:innen in der Groß- und Einzelhandelsbranche. „Das ist halt ihr Job als Beschäftigte im Handel“ – werden da Stimmen laut. Und ja, die Stimmen haben durchaus recht. Es ist richtig, dass Beschäftigte im Handel ihren Beruf ausüben. Sie arbeiten – so wie Erwerbstätige in anderen Branchen auch -, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So weit, so gut, vorausgesetzt, dass sie tatsächlich vom Lohn ihrer Arbeit leben können. Die Realität sieht leider jedoch oft anders aus. Es bedarf dringend den Blick darauf, was Männer und vorrangig Frauen in ihrer Erwerbstätigkeit im Handel real verdienen.
Ein erstes alarmierendes Signal ist: Über 2/3 der Unternehmen im Handel vergüten jenseits eines Tarifvertrags. Nicht wenige arbeiten für den Mindestlohn, bei Vollzeitbeschäftigung, die kaum jemand im Verkauf hat, ist das ein Bruttolohn von knapp 2100 Euro monatlich, wenn nicht nach Tarif bezahlt wird. Wer die Preise von Grundnahrungsmitteln und Mieten kennt, weiß, dass das definitiv zu wenig ist. Arm zu werden ist da programmiert. Es braucht Abhilfe, Tarifbindung ist da ein unverzichtbares Instrument.
Tarifbindung federt Armutsrisiko ab
Es gehört zu den Errungenschaften gewerkschaftlichen Engagements, dass es in der von Verdrängungswettbewerb und Kostendruck geprägten Branche überhaupt Tarifbindung gibt und der Stundenlohn für langjährige Verkäufer*innen bei 17,37 € liegt. Doch – so ehrlich muss man sein – viele Sozialstandards wie auch die tariflichen Lohnstrukturen sind hart erstritten. Es bleibt ein Kampf, Tarife zu sichern und diese im Interesse der Beschäftigten, deren Arbeitsbedingungen und Lohnstruktur den sich immer verschärfenden Bedingungen im Handel anzupassen.
Härte der Tarifauseinandersetzung erreicht in 2023 neue Qualität
Das Jahr 2023 war und ist geprägt von einer Tarifrunde neuer Qualität: Sie begann im April und mit gutem Recht - um angemessene Lohnerhöhung und Bewältigung der immens gestiegenen Lebenshaltungskosten. Die Verhandlungen über Monate sind zäh, dauern an und werden härter denn je: Das Angebot der Arbeitgeberseite liegt weit unter dem, was auch nur ansatzweise die Verteuerung des Lebens abfedern kann. Über 6% mehr Lohn im ersten Jahr und 4% im zweiten bei einer Laufzeit von 24 Monaten sei nicht drin.
Die Tarifverhandlungen strecken sich über mehr als 8 Monate und ziehen sich wohl noch ins neue Jahr. Einigung nicht in Sicht. Denn: Die Arbeitgeberseite hat Mitte November alle weiteren Verhandlungen abgebrochen. Die Forderungen der Arbeitnehmerseite seien zu hoch, inakzeptabel. Die Argumente der Beschäftigten werden nicht gehört. Funkstille.
Als Betriebsseelsorge im Bistum Mainz verfolgen wir mit Sorge die Entwicklungen und reagieren mit Unverständnis auf den Abbruch der Verhandlungen seitens der Arbeitgeberseite. Umso deutlicher nehmen wir Stellung – ganz bewusst unmittelbar vor Weihnachten, einer für die Handelsbranche wirtschaftlich durchaus relevanten Zeit:
Es geht nicht um exorbitante Forderungen oder gar Luxus. Es geht darum, Armut zu verhindern, Lebensunterhalt zu sichern.
Tarifauseinandersetzungen sind Ausdruck von Demokratie in Wirtschafts-und Arbeitswelt. Sie sind unverzichtbar, wenn es um die sozialen Belange für Beschäftigte geht. Und dies nochmal mehr, wenn es aufgrund hoher Inflation, steigender Miet- und Lebenshaltungskosten um die Existenzsicherung von zig-tausenden Beschäftigten und ihre Familie geht. Wir werben dringend darum, sich wieder mit der Arbeitnehmerseite an einen Tisch zu setzen, um ernsthaft und sozialverantwortlich in Verhandlungen zu treten.
Denn relevant ist für uns die Lebenssituation der Menschen: Bei den gegenwärtigen Forderungen im Einzelhandel geht es nicht um exorbitante Lohnvermehrung oder gar um Luxus! Es geht um Löhne, die Menschen und ihre Familien einigermaßen ermöglichen, ihre Miete zahlen zu können und ihre Lebenshaltungskosten bestreiten zu können.
Es geht um mehr… Gerechtigkeit und soziale Verträglichkeit
Ein weiteres gilt es zu betonen: Es geht um noch mehr als um die rein monetäre Dimension: Es geht um Wertschätzung der im Handel beschäftigten Menschen, um Anerkennung oft ungesehener Arbeit, und um Gerechtigkeit: Wer arbeitet hat ein Recht auf existenzsichernden Lohn und: Es ist ethisch nicht billigend in Kauf zu nehmen, dass Waren immer teurer werden und Menschen im Betrieb kaum mehr sind als Kostenfaktor, den es drücken gilt
„Wenn wir Produkte wären, dann wären wir längst verteuert“ (Aufschrift eines Plakats beim Streik des Einzel- und Großhandels am 24.11.2023 in Frankfurt)
Solidarisch zu jeder Jahreszeit
Als Betriebsseelsorge stehen wir seit Beginn der Tarifauseinandersetzungen an der Seite der Arbeitnehmer:innen und unterstützen sie in ihrem Arbeitskampf um existenzsichernde Tariflöhne. Wir sehen und hören von den realen Arbeits- und Lebensumständen. Das öffnet Augen und sensibilisiert. Respekt und Anerkennung gilt all diesen engagierten, mutigen Kolleg:innen u.a. von Kaufland, H&M, Douglas, Rewe, Ikea, Zara, Esprit, Ikea und anderen Unternehmen, die sich für gerechten und lebensunterhaltsichernden Lohn einsetzen und gemeinsam – bei Wind und Wetter - auf die Straße gehen. Ihr Streik ist dabei mehr als Ausdruck der Sorge um sich selber. Er ist solidarischer Einsatz für guten Tariflohn für zig-tausende Beschäftigte in der Branche. Allein in Hessen geht es um 235000 Beschäftigte.
Als Betriebsseelsorge betonen wir: Der Einsatz der Kolleg:innen ist wichtiges, politisches Signal für eine Gesellschaft, die aufgrund der ungleichen Verteilung von Reichtum und Armut immer mehr zu bersten droht.
Die Beschäftigten im Groß- und Einzelhandel haben in jeder Hinsicht – und nicht nur zu Weihnachten - mehr verdient!