Südhessen / Rhein-Main:Starker Einsatz für einen existenzsichernden Tarif, Wertschätzung ihrer Arbeit und mehr Respekt im Handel
Seit Jahren begleiten wir Belegschaften und Kolleg:innen dieser oft hoch prekären Branche. Wir unterstützen den Einsatz der Kolleginnen und Kollegen für die Verbesserung ihrer Arbeitssituation und wissen uns solidarisch verbunden.
Redebeitrag der katholischen Betriebsseelsorgerin Ingrid Reidt
Vielen Dank, Horst Gobrecht (verdi), für die herzliche Begrüßung! Überwältigend, wie viele von Euch da sind! Ein tolles Bild hier am Platz und eben bei der Demo durch die Innenstadt.
Sehr gerne bin ich heute zum Streik nach Darmstadt gekommen!
Als Betriebsseelsorgerin ist es mir ein wichtiges Anliegen, Euch, die Beschäftigten im Handel in Euren Tarifauseinandersetzungen zu unterstützen und Euch im Kampf um bessere, existenzsichernde Arbeitsbedingungen dicht an Eurer Seite zu stehen. Nach all den vielen Jahren, in denen ich Euch und Eure Branche hautnah erlebe, ist meine Teilnahme hier als Betriebsseelsorgerin, der es um das Wohl und die Würde der Beschäftigten geht, längst mehr als „nette Zierde“ oder gute Tradition.
Angesichts der sich stetig verschärften prekären Arbeitsbedingungen im Handel, und im Wissen um die wachsende Tarifflucht verstehe ich es als meine solidarische Pflicht, Euch und die Gewerkschaft ver.di im Ringen um einen ordentlichen Tarif den Rücken zu stärken!
Kurz: Hier zu sein, ist für mich ein „Muss“!
Denn: Eure Rücken, sie tragen viel auf den Schultern: harte, prekäre Arbeitsbedingungen, ausufernde Arbeitszeiten, zunehmend problematische und unverschämte Kundschaft, Tarifflucht und Lohnstrukturen, die zum Leben nicht reichen, und dem nicht genug: Ständige Androhung von Filialschließungen und…die sich immer wieder im gleichen Muster wiederholenden Insolvenzen der großen Ketten.
Gestattet mir an dieser Stelle Euch, den Kolleg:innen von Galeria Karstadt Kaufhof einen besonders Gruß der Solidarität zuzusprechen!
Was in den letzten Wochen und Monaten geschah, ist eine Zumutung. Eine Insolvenz jagt die andere, alles ausschließlich auf Kosten der Beschäftigten, Dauerverzicht ohne Zukunftsperspektive.Der Umgang mit Euch als langjährige Beschäftigte ist höchst unredlich und Euch nicht würdig.
Ich – und das sage ich sehr wohl als Seelsorgerin - bin es mit Euch gemeinsam leid, Tränen in den Augen von Beschäftigten zu sehen, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz verlieren. All diese Szenarien gehören dringend und mehr als kritisch politisch korrigiert.
Denn: GKK ist kein Einzelfall. Und ist nur ein Beispiel von vielen für das, was in der Branche vor sich geht:
Es herrscht ein nach wie vor ungebremster brutaler Preiskrieg und Verdrängungswettbewerb: Arbeitsverdichtung und Entwertung Eures Berufs. Prekarisierung mit Abwärtsspirale. Respektloser Umgang ist leider an der Tagesordnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies kennen wir seit Jahren. Verschärfend kommt gegenwärtig nun die allgemeine politische Großwetterlage hinzu, die wir alle ökonomisch und auch mental zu spüren bekommen:
Wir leben in einer von Krieg und globaler Ungerechtigkeit geprägten Welt. Einer Welt, die an ihrer neoliberalen Art zu wirtschaften zu zerbersten droht. Die Folgen sind massiv: Inflation, explodierende Mietpreise, steigende Lebenshaltungskosten, soziale Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit.
Kolleginnen und Kollegen: Nun zu Euch und Eurem wichtigen Engagement:
Ihr steht heute mit klaren Forderungen hier.
Ihr streitet für spürbare tarifliche Lohnerhöhung. Eine, die keine Mogelpackung ist und sich zufrieden damit gibt, situativ mit Einmalzahlungen ein „goody“ zu bekommen.
Kurze Randbemerkung dazu: Inflationsausgleichszahlungen gehören nicht in den Tarif gerechnet, sie standen Euch schon viel eher zu!
Ihr fordert einen ordentlichen Tarif! Wie wichtig Tarife sind, sehen wir dort, wo es keine gibt!
Ein Tarif, der besonders diejenigen entlastet, die in den unteren Lohngruppen sind. Und: der weiterblickt als auf heute, nämlich in die Zukunft von zigtausenden Beschäftigten:
Für einen Lohn im Handel, der zumindest in Ansätzen zum Leben reicht und mehr noch - auch das ist ein uraltes Thema-:
Ihr fordert einen Tarif, der dafür sorgt, dass Ihr am Ende Eures Berufslebens nicht mit leeren Händen dasteht und einer Rente dasteht, die in Altersarmut endet.
Natürlich: diese Forderungen stoßen „naturgemäß“ auf Arbeitgeberseite keineswegs auf Gegenliebe.
Das Argument: „In Krisenzeiten müsse gespart werden, der Wirtschaft gehe es schlecht“ ist omnipräsent. Nicht wenige Schlagzeilenlauten: Die Beschäftigten seien maßlos und unverschämt. Sie sollen doch einfach mal die Füße stillhalten.
Lasst mich dazu zwei grundlegende Dinge aus sozialethische und seelsorgerlicher Sicht zu all dem Unken sagen:
Erstens:
Tarifautonomie ist ein hohes Gut unserer Gesellschaft und Errungenschaft der Arbeiterbewegung und sind wichtiger denn je auch mit Blick auf die Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Tarifauseinandersetzungen und das Ringen um Interessensausgleich sind seit jeher wichtiger Teil unseres demokratischen Systems. Und in diesen Zeiten, in denen alles aus den Fugen zu geraten scheint, wichtiger denn je. Und: Tarifauseinandersetzungen ohne das Recht zum Streik wäre kollektive Bettelei!
Zweitens:
Eure Forderungen fallen nicht einfach vom Himmel und sind auch nicht irgendwie am grünen Tisch willkürlich zur Bereicherung von Reichen von Euch beschlossen worden. Sie äußern berechtigte Bedarfe und haben existenzielle Gründe:
Menschen bangen aufgrund der Teuerungen um ihre existentielle Grundlage, tragen Sorgen, das am Ende des Geldes noch Monat übrig ist, und schlichtweg der Lohn zum Leben nicht reicht.
Existenzsichernde Löhne für diese Branche zu fordern ist alles andere als unverschämt.
Es ist wichtig und richtig! Warum:
- Weil es um das Leben und die Existenzsicherung von zigtausenden Beschäftigten und Familien geht.
- Weil Eure Forderungen danach rufen, was wir in unserer Gesellschaft dringender denn je brauchen: Umverteilung von Reichtum und Gütern, Wertschätzung menschlicher Arbeit und Schutz vor Armut und Altersarmut - als Basis für einen sozialen Frieden in unserer Gesellschaft!
Kolleginnen und Kollegen, Euer Streik um Tariflohn und Allgemeinverbindlichkeit im Handel in diesem Jahr ist nochmal relevanter als in manchem Vorjahr.
Er ist Aufschrei inmitten des Trends verschärfter Prekarisierung, heißt: Verarmung von Menschen, die ihr Leben lang redlich und hart arbeiten!
Und: Er ist Antwort auf die immensen Krisen unserer gegenwärtigen Zeit und Antwort auf Schieflagen, die sich wie ein Brennglas in den letzten Jahren potenzierten.
Euch zur Stärkung und als Mahnmal für Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit habe ich einen uralten Leitsatz aus der Ethik mitgebracht, der damals schon galt und aktueller denn je ist als Forderung und Norm für menschenwürdige und nachhaltige Zukunft:
Die Wirtschaft hat ausschließlich dem Menschen zu dienen!
(angelehnt an das Zitat von Papst Paul V, 1967, Populorum progressio, 26: „Noch einmal sei feierlich daran erinnert, dass die Wirtschaft ausschließlich dem Menschen zu dienen hat…“)
Das gilt auch und besonders für den Handel. Und mit Menschen meine ich an dieser Stelle eher nicht die Minderheit derer, die die riesigen Gewinne für sich einfahren. Sondern Euch als Beschäftigte, Menschen, die im Handel arbeiten und die wie Menschen würdig behandelt werden wollen.
Mit diesem Leitsatz darf ich Euch persönlich und im Namen des gesamten Teams der katholischen Betriebsseelsorge im Bistum Mainz unsere Verbundenheit und unsere Solidarität aussprechen! Wir stehen an Eurer Seite in den harten aber unabdingbar wichtigen Auseinandersetzungen.
Alles Gute und weiterhin starken Zusammenhalt!