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Interview:Der schöne Schrein

Heilige sind gefragt. Zumindest im Bistum Mainz beschäftigen sich aktuell viele mit Namenspatronen für ihre neuen Pfarreien. Das Bistum selbst hat eine besondere Heiligenliste: die Mainzer Heiligen, dargestellt in einem modernen Kunstwerk.
Mainzer Heiligenschrein
Von:
Glaube und Leben | Anja Weiffen

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Wie eine Armee aus Gold wirken sie: 22 Männer und Frauen in langen Gewändern, mit kantigen Frisuren und gleichmütigen Gesichtern. Sie könnten aus dem Mittelalter stammen, diese Figuren am Schrein der Mainzer Heiligen. Weit gefehlt. Denn der Schrein, der sich in der Ostkrypta des Mainzer Doms befindet, wurde 1960 gefertigt.

Felicitas Janson, Studienleiterin der Mainzer Bistumsakademie, beschäftigt sich derzeit mit dem Kunstwerk. Die Kirchenpädagogin und Kunsthistorikerin bietet regelmäßig Führungen durch den Mainzer Dom an, erläutert dabei auch immer wieder den Schrein. „In den 1950er Jahren wurden die Kriegszerstörungen am Dom repariert. Das Gotteshaus wurde neu ausgestattet, auch die Ostkrypta. Mit der Errichtung des Schreins feierte die Mainzer Kirche, dass der Dom wiederhergestellt war.“ Als äußerer Anlass für das Kunstprojekt galt das 25-jährige Bischofsjubiläum von Albert Stohr (1935–1961). Über die Entstehungsgeschichte des Schreins sei jedoch nicht viel bekannt, „seine Geschichte birgt noch Rätsel“, sagt die Studienleiterin.

Bei den Figuren am Schrein handelt es sich um Darstellungen von Heiligen, die mit Mainz und der Region besonders verbunden sind: Bischöfe und Erzbischöfe, Äbte und Äbtissinnen, Ordensgründer, Kirchenlehrer und -lehrerinnen, Märtyrer. Darunter drei Frauen: Hildegard, Bilhildis und Lioba, „alle drei Klostergründerinnen in Leitungspositionen“, erläutert Janson.

„Ein Stück Himmel auf Erden erfahrbar“

Im Mittelalter galten Heilige als Vermittler zu Gott. „Ihre Legenden waren damals sehr populär. Die Menschen lasen sie lieber als die Bibel, denn sie hatten mehr mit ihrem Alltag zu tun“, sagt Janson. „Da gab es etwa mit Nikolaus den Schutzpatron für die Kinder. Oder man rief den heiligen Antonius an, wenn man etwas verloren hatte.“ Legenden aber entsprechen nicht den Tatsachen. „Das ist heute auch nicht viel anders, wenn sich etwa Geschichten um Künstler und ihr Talent ranken“, ist die Studienleiterin überzeugt. In der Regel steckten hinter deren Können eine Ausbildung und viel harte Arbeit.

Heiligkeit – also mehr Schein als Sein?

Die Akademie des Bistums lud kürzlich in die Krypta an den Schrein ein. Der Titel der Veranstaltung: „Schöner Schein“. Der Hausherr, Domdekan Henning Priesel, interpretierte den Glanz der Heiligen so: „Ihre Darstellungen zeigen dem Betrachtenden, was es heißt, mit dem Göttlichen in Berührung zu kommen, dass durch sie schon hier ein Stück Himmel auf Erden erfahrbar wurde.“

Auch Menschen früherer Jahrhunderte nahmen Legenden nicht unbedingt für bare Münze. Bernhard von Clairvaux (1090–1153) nannte sie „Gefäße“. Er schrieb über den heiligen Martin: „Suche in den Erzählungen der Wundertaten nicht den Wohlgeschmack, sondern bewundere ihren Glanz! In solchen Gefäßen also erstrahle unsere Leuchte: in ihrem Licht sollst du das Licht sehen, das du in seiner vollen Reinheit noch nicht schauen kannst.“

Felicitas Janson sieht in den Legenden auch eine therapeutische Funktion. Sie entdeckt in den Erzählungen Bewältigungs-
strategien, die auch heute relevant sind. „Welche Fähigkeiten haben diese Menschen in teilweise ausweglosen Situationen gezeigt?“, fragt sie. Als Beispiel nennt sie Lioba. Sie war Äbtissin und starb in Schornsheim bei Mainz. So schreibt der Geschichtsschreiber Rudolf von Fulda im neunten Jahrhundert Folgendes: „Eines Nachts erschien Lioba im Traum ein purpurner Faden, der aus ihrem Munde hervorging.“ Sie zog daran und hatte schließlich ein Knäuel zusammengewickelt. Der Faden, heißt es in der Legende, „ist die Lehre der Weisheit, die im Dienste des Wortes aus ihrem Herzen entspringt“. Der Traum riet Lioba, sich um Weisheit zu bemühen.

„Wir müssen sie von den Sockeln holen“

Bei den Heiligen gehe es nicht unbedingt um die Fakten und die genaue Biografie, erklärt Janson, sondern um ihr jeweiliges Programm, ihre Botschaft. Das könne zur Identifikation dienen oder zum Nachdenken über sich selbst anregen. Domdekan Priesel sagte beim Akademie-Abend über die Mainzer Heiligen: „Wir müssen sie herunterholen von den Altären, herunter von den Sockeln. Wir brauchen den Mut, das, was wir in den Heiligen verehren, im eigenen Leben zu entdecken und zu leben. So können diese Welt und wir ein Stück heiler und heiliger werden.“