Austritte

Austritt (c) pixabay.com/Andrea Keber
Austritt
Datum:
Mo. 7. Feb. 2022
Von:
Pfr. Hubert Hilsbos

In jeder ersten Pfarrbrief-Ausgabe des neuen Jahres wurde bislang – kommentarlos – die Statistik veröffentlicht ... eben mit objektiven Zahlen, die in einer nüchternen Tabelle zusammengefasst sind.
In diesem Jahr fällt es mir schwer – kommentarlos – diese Jahresstatistik 2021 zu veröffentlichen, denn eine Zahl erreichte im vergangenen Jahr einen Rekord, der traurig,
ärgerlich und nachdenklich macht; ich meine die Zahl der Kirchenaustritte. Noch nie – seit Aufzeichnung der Kirchenaustritte – musste in unserer Pfarrgemeinde eine so hohe Austrittszahl konstatiert werden – über 100 Personen! Ich möchte weniger die Zahlen kommentieren, sondern ich habe ganz konkrete Menschen vor Augen, die über eine oft längere Zeit mit sich gerungen und dann eine Entscheidung zum „Kirchenaustritt“ ge-troffen haben.
Ich sage das nicht so einfach dahin: Jeder Kirchenaustritt macht mich einerseits wirklich traurig, weil mit jedem Austritt ein ganz konkreter Mensch und Christ die Kirche verlässt. Ich habe noch immer die ausgedruckte Predigt von Christof May (Domkapitular im Bistum Limburg) auf meinem Schreibtisch liegen, der in einer beeindruckenden Predigt persönlich Stellung bezogen hat und sagt, dass „mit je-dem Menschen, der die Kirche verlässt, auch Gott die Kirche verlässt.“ Diese Aussage stimmt und ich mache sie mir ganz zu eigen: Jeder Mensch ist immer und bleibt (!) trotzdem ein von Gottes Geist, von seiner Nähe und seiner Gegenwart beschenkter Mensch.
Andererseits macht mich ein Kirchenaustritt auch wütend gegenüber meiner eigenen Kirche, dass die Institution Kirche und das ihr anhaftende System nicht schneller und entsprechender auf dringend notwendige Reformen eingeht und sie jetzt herbeiführt und wir nicht ständig verbal vertröstet werden. Ja es geht um eine menschennahe, eine gerechte - auch geschlechtergerechte - und demütigere Kirche, die das Evangelium Jesu versucht heute zu leben. Eine schleppende Aufarbeitung des sexuellen und geistlichen (Macht-)Missbrauchs in der Kirche oder die Zurückweisung von homosexuellen Menschen ist auch für mich nicht akzeptabel.
Und wenn sie mich fragen, was mich persönlich und an erster Stelle – selbst als Pfarrer – in der Kirche hält (im wahrsten Sinne des Wortes), dann ist es genau diese Person Jesus Christus, seine freimachende Botschaft und die Menschen in unserer Gemeinde und den einzelnen Ortschaften, die im Mit- und Füreinander versu-chen, die Botschaft Jesu konkret und erfahrbar werden zu lassen.