„Buen Camino“ - 7 Jahre auf dem Jakobsweg zu Fuß unterwegs nach Santiago de Compostela
Begonnen hat der Weg nach Santiago de Compostela hier in Nieder-Olm mit dem ersten Schritt vor der eigenen Haustür. Es folgten 2804 Kilometer Fußweg, „verteilt“ auf sieben Jahre. Ingo Steinmetz (37) aus Nieder-Olm hat in einem Interview mit Pfarrer Hubert Hilsbos von seinen Erlebnissen und Erfahrungen auf dem Jakobsweg berichtet.
Hubert: Wie kommt man überhaupt, wie kamst Du auf die Idee, den Camino zu gehen?
Ingo: Ich habe 2016 das Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling gelesen - die Idee war geboren und ließ mich nicht mehr los. Eigentlich war ich kein Wanderer, nicht mal ein Spaziergänger. 2016 bin ich dann nach Porto/Portugal geflogen und bin den portugiesischen Jakobsweg gegangen (ca. 260 km). Und dieser Weg hat mir schon so viel gegeben, dass ich dachte: Warum nicht das große Projekt starten und wie ein „echter“ Pilger den ganzen Weg - beginnend von Zuhause, vor der eigenen Haustür - starten? So kam es, dass ich bereits ein Jahr später, 2017 los gegangen bin, ausgestattet mit dem ersten Pilgerstempel im Pilgerpass von ‚St. Franziskus v. Assisi in Nieder-Olm‘. Gelaufen bin ich dann am ersten Tag bis nach Bingen-Kempten, dann weiter über Rheinböllen, den Hunsrück bis nach Metz in Frankreich im ersten Jahr. 10 - 12 Tage im Jahr bin ich so gepilgert, im Schnitt ca. 35 Kilometer am Tag, manchmal waren es auch 40 oder 50 Kilometer am Tag…
Hubert: Hast Du in den zurückliegenden Jahren nicht auch mal den Gedanken gehabt: Was mache ich hier … eigentlich habe ich keine Lust mehr oder es passt nicht mehr, weil sich auch familiär einiges geändert hat?
Ingo: Ans Aufhören habe ich nie gedacht, da bin ich nicht der Typ dazu. Wenn ich etwas begonnen habe, möchte ich es auch zum Ziel bringen. Natürlich, die Motivation war nicht immer gleich hoch. Dann braucht es einen „inneren Ruck“ und neuen Anlauf, Disziplin ist hier das Stichwort - gerade mit Blick auf die eigene wachsende Familie. Meine Frau Catharina hat mich da jedoch immer unterstützt und „meinen Weg“ nie in Frage gestellt.
Hubert: Hat dein Körper immer so „mitgespielt“?
Ingo: Eigentlich schon … Klar Muskelschmerzen, Blasen an den Füßen, ... und einmal dann doch eine Achillessehnenentzündung; das war dann weniger spaßig und ich hätte hier auch mal auf meinen Körper hören und einen Ruhetag einlegen sollen… was ich dann aber nicht getan habe…
Hubert: Ich frage mal so ganz direkt: Was sind deine wichtigsten Erfahrungen auf dem Weg?
Ingo: Das fängt – wenn man so will – ganz simpel an: Zuerst stellt man fest, dann man zu viel Gepäck mit sich herumträgt. Mein Rucksack ist mit den Jahren immer leichter geworden - vielleicht nicht nur der Rucksack... Und dann beschäftigen einen - rein praktisch - täglich genau zwei wesentliche Fragen: Wo kann ich heute Abend schlafen und wo bekomme ich etwas zu Essen? Wenn man so will ist ein Pilgertag ein ganz einfacher - auf das Wesentliche reduzierter - Alltag. Wirklich toll waren die Begegnungen und Gespräche mit so vielen Menschen aus allen Erdteilen, gerade wenn man allein unterwegs ist (eine junge Familie aus Australien war mit ihrem einjährigen Sohn James unterwegs und der einjährige Sohn hat auf dem Camino [auf Englisch „St. James Way“] seine ersten Schritte ins Leben gemacht),... die Gastfreundschaft der Einwohner am Jakobsweg in Frankreich, das unmittelbare Erleben von Natur pur, die sich so vielfältig schön und zugleich so anstrengend zeigt, eine über-standene Übernachtung auf einer Holzbank im Wald bei nachts 5°C, weil ich auch nach über 55 Kilometer keine Unterkunft mehr gefunden habe, … und dann kommen die Erfahrungen hinzu, die damit verbunden sind und dann doch wieder auf einer anderen Ebene zu finden sind.
Hubert: Was meinst Du damit?
Ingo: Zum Beispiel: Auch wenn ich den Weg zuerst eher unter einen sportlichen Aspekt gesehen habe, dann hat sich dies - im Laufe des Weges - tatsächlich sehr verändert: Eine spirituell-religiöse Bedeutung kommt schnell hinzu wenn man sich längere Zeit nur mit sich selbst beschäftigt und alle Themen, die einen beschäftigen, einmal in aller Ruhe mehrfach durchdenken kann.
Hubert: Wie war das in diesem Jahr? Wieder gestartet in dem Bewusstsein, dass Du höchst wahrscheinlich in Santiago de Compostela ankommen wirst?
Ingo: Ein ganz besonders Jahr! Emotionen pur. Wenn du die letzten 400 Kilometer startest und dann siehst, wie sich die letzten 100 km jeden Tag mehr dem Ende zuneigen... Pure Freude! Ankommen!
Du siehst diese beeindruckende Kathedrale, tausende anderer Pilger, viele hast du in den vergangenen Tagen/Wochen getroffen, mit einigen dich unterhalten und nun haben wir es alle gemeinsam geschafft. Aber es mischt sich auch etwas die Traurigkeit dazu, dass dieser Weg, diese Reise jetzt tatsächlich nach so langer Zeit zu Ende ist.
Mein Weg war dann in Finistère am Atlantik beendet, dem, so glaubte man damals, „Ende der Welt“; hier habe ich mit Pilgerfreunden bei einem stimmungsvollen Sonnenuntergang den Abschluss meiner Pilgerreise gefeiert; für mich eine ganz besondere Erinnerung.
Hubert: Ich weiß, sieben Jahre Pilgerweg lassen sich nicht in einem kurzen Interview wiedergeben. Ich versuche dennoch mal eine abschließende Frage: Kannst Du beschreiben, ob und wie dich der Weg nach Santiago de Compostela verändert hat?
Ingo: Ja, da gibt es einiges zu nennen! Zuerst, wenn man so viel allein unterwegs ist - quasi mit sich selbst allein, dann lernt man sich so viel besser kennen. Ich habe viel reflektiert, vieles durchdacht, Entscheidungen hinterfragt, neue Ansätze durchdacht. Viel Zeit für mich zu haben, war und ist für mich Erholung für den Kopf. Ich glaube, dass ich mich jetzt viel besser kenne, dass ich gut mit mir selbst auskomme und wirklich - wie man so sagt - nahe bei mir selbst sein kann. Und weiter: Ich darf sagen, dass eine ganz wesentliche Erkenntnis gefunden habe, ein tiefes Gefühl das ich mit mir und mit meiner Familie wirklich glücklich bin und in meinem Leben nichts ändern möchte.
Hubert: Ein langer Weg – sieben Jahre lang, ein „Buen Camino!“, ein wirklich guter Weg. Ingo vielen Dank für Deine Zeit, für das Gespräch und dafür, dass wir die Auszüge dieses Gespräches vielen zugänglich machen dürfen; - DANKE!