Liebe Gemeinde,
der eben gehörte Bibeltext gehört wohl zu bekanntesten Bibeltexten. Er ist uns von Kindesbeinen an bekannt. Er ist ein Text der sehr konkret und unmittelbar ist – und wiedermal verblüfft uns Jesus mit seinem Handeln:
Zachäus, wirklich kein Heiliger, … ein Mann, der für seinen Vorteil seine Mitmenschen ausnutzt, … einer, der im Auftrag der Römer die Steuern eintreibt … einer, mit dem man keinen Umgang pflegt, jedenfalls nicht mehr als man unbedingt muss, … ein Sünder, ganz offensichtlich! …
Zachäus, dem seine Neugier auf einen Baum treibt, in ein Versteck, um Jesus wenigstens zu sehen …
Und Jesus sieht, … Jesus, der wirklich die Kunst des Sehens versteht – er sieht nicht an der Oberfläche entlang, sondern durch das Dickicht eines Maulbeerfeigenbaumen, der immerhin 15, 30 Meter und noch höher werden kann und sieht den Zachäus, der sich dort versteckt, erkennt seine Neugier … und viel-leicht auch sein Suchen nach etwas, das mehr bringt als das abgezweigte Geld von Steuern.
Und Jesus spricht und handelt entgegen den Erwartungen seines Umfeldes gleich in mehrfacher Hinsicht. Mehr noch: Er durchbricht den Kreislauf dessen, was religiös und gesellschaftlich erlaubt ist – nicht weil ihm die Vorschriften egal sind, sondern weil er sie zurückführen will auf das, was im Sinne Gottes ist, was menschlich ist: Menschen so ansehen, dass sie sich angesehen fühlen, dass sie sich in ihrem Menschsein sehen und angenommen werden. Jesus möchte Menschen zu ihrem wirklichen Menschsein führen.
Und Jesus lädt sich in das Haus des Zachäus ein, um bei ihm Gast zu sein, um mit ihm gemeinsam zu Essen – diese ganz besondere und intensive Erfahrung von Gemeinschaft, wenn Menschen froh und ausgelassen miteinander essen und feiern.
Diese Begegnung von Jesus und Zächäus mündet in den Schlussvers: „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden …“
Nicht nur wegen diesem Schluss-Satz gehört diese Erzählung von Jesus und Zachäus zum vorgesehenen Bibeltext eines Kirchweihfestes. Um Kirche im Sinne Jesu zu sein, ist uns die Geschichte von Jesus und Zachäus ein Beispiel, ein Muster, ein Ansporn, und Vorbild für das Handeln und Sprechen unserer Kirche.
Anfang August hat der Weltjugendtag in Lissabon in Portugal stattgefunden. Ein Höhepunkt dieses Treffens war, als der Papst hinzukam. In einer seiner Predigten hat mich Papst Franziskus beeindruckt, weil er starke und eindeutige Worte gesprochen hat; vor ca. 1 Millionen Menschen sagte er: „In der Kirche ist Platz für alle. Gott liebt uns so, wie wir sind, nicht so, wie wir gerne wären oder wie die Gesellschaft uns gerne hätte.“
Diese Worte berühren und kamen auch bei den Zuhörenden an. Als der Papst dann die Menge aufforderte, gemeinsam „Todos!“ zu rufen, da war dieses „Alle!“ weit über den Platz hinaus zu hören. Und ehrlich gesagt, wenn ich auf diesem Platz gestanden hätte, dann hätte ich auch so laut wir möglich diese „Todos“ – „Alle“ gerufen, damit dieses „Alle“ überall gehört und verstanden wird … bis nach Mainz, Köln oder Rom. – Alle!
„Die Kirche gehört nicht uns, sondern Gott - und in ihr gibt es Platz, für Gesunde und Kranke, Gute und Böse", sagt Franziskus weiter. Ich stimme Papst Franziskus wiederum in seinen Worten, voll und ganz zu …
Was leider noch immer fehlt, ist, dass sich diese Worte konkret und konsequent umsetzen ins Handeln, ins Tun. - Jesus ist mit Zachäus nach Hause gegangen, hat dort mit ihm Mahl gehalten, wirkliche, intensive Gemeinschaft gepflegt.
- Wie müssen sich Menschen fühlen, die zwar eingeladen sind, aber ihnen dann offiziell gesagt wird, dass sie nicht zur Kommunion gehen dürfen, weil ihre erste Ehe gescheitert ist und sie nun in einer neuen Beziehung leben …?
- Wie müssen sich evangelische Christen fühlen, wenn offiziell immer noch keine Mahlgemeinschaft gerade unter Christen, also mit Brüdern und Schwestern, möglich ist, …?
- Wie müssen sich Frauen fühlen, wenn ihnen immer wieder gesagt wird: Ihr seid wichtig und könnt euch engagieren und mitmachen, aber bestimmte Ämter in der Kirche kommen für euch nicht in Frage - nur deshalb, weil ihr Frau seid …?
- Wie müssen homosexuelle Menschen sich fühlen, wenn ihre Liebe offiziell nicht mal gesegnet werden darf …?
- Wie fühlen sich Menschen, die den Machtmissbrauch innerhalb unserer Kirche als Opfer und Betroffene schmerzlichst erfahren haben - und warum ändert sich dieses zerstörerische kirchliche Machtgefüge nicht oder nur sehr, sehr langsam …
Der inklusive Ruf „Kirche für alle“ muss auch hinter Kirchentüren erfahrbar werden – für alle und nicht nur exklusiv für Bestimmte.
„Kirche für alle“ braucht geteilte und kontrollierte Macht, eine echte und tatsächliche Beteiligung … in Worten und Papieren ist das oft klar formuliert – aber es kommt zu wenig oder gar nicht ins konkrete und erfahrbare Handeln.
Kirche ist kein Selbstzweck und es darf nicht um den Selbsterhalt eines kirchlichen Systems gehen. Kirche steht nicht für sich, sondern lebt und entwickelt sich nur, wenn sie ihren Auftrag für andere erfüllt. Erneuerung braucht einen radikalen und beständigen Blick in die immer wieder inspirierende Urkunde unseres Glaubens. Gerade vom heutigen Evangelium her erhalten wir die Perspektive eines zukunftsfähigen Kirche-Seins, den Mut Menschen und Menschliches in den Mittelpunkt zu stellen, absichtsloses Dazu-Sein, … mitzugehen und zu helfen, … Menschen in prekären und schwierigsten Lebenssituationen beizustehen.
Vor unserer Kirche hängt ein Transparent, das Ausdruck ist unserer Haltung als Kirchengemeinde hier in Nieder-Olm, Sörgenloch und Zornheim: „Todos – Alle wirklich alle sind willkommen!
Dafür steht auch dieses Gotteshaus als Zeichen für eine Kirche für alle. – Amen.