Liebe Gemeinde,
in der vergangenen Woche wurden unsere Erstkommunionkinder zu einer Kirchenführung eingeladen. Das heißt, dass alles, was die Kirche hier ausmacht … Altar, Tabernakel, Ambo, Heiligenfiguren, Weihrauch, Orgel, usw. … wird erklärt, … die Kinder stellen Fragen, entdecken wie Weihrauch funktioniert und tippen auch mal auf die Tasten der Orgel und erzeugen so ein paar Töne an der Orgel.
Zwei Heiligenfiguren haben bei Kindern immer wieder eine besondere Auf-merksamkeit: Das ist einmal hier unser Georg mit dem Drachen … sehr beliebt als Ritter, der den Drachen bekämpft … und dann auf der anderen Seite der Hl. Sebastian, der viele Fragen erzeugt: Warum er so mit so vielen Pfeilen dargestellt wird, die ihn auch töten. Für Kinder nicht immer leicht zu verstehen.
Wir haben uns an diesen Anblick in gewisser Weise gewöhnt; seit viele Jahrhunderten hat Sebastian hier einen festen Platz, ist unser Ortspatron und Für-sprecher.
Seit über zwei Jahren, mit dem Beginn der Corona-Pandemie, brennt eine Kerze an der Figur des Hl. Sebastian sozusagen als stille Fürbitte und Zeichen für die vielen Anliegen, die wir ihm als Fürsprache ans Herz legen. Ich möchte hier nur einige Beispiele nennen, die für viele Erfahrungen, Widerfahrnisse, Schicksalsschläge, Verluste, … stehen mögen, die wir dem Hl. Sebastian anvertrauen.
1) Corona ist bei uns kein großes Thema mehr. Die Impfungen zeigen ihre Wirkungen. - Die Gedanken gehen dennoch an die vielen Menschen die mit oder an Corona gestorben sind. Ich kenne Menschen, die immer noch an den Folgen er Erkrankung leiden. Und wenn ich die Nachrichten aus China wahrnehme, frage ich mich: Warum wird mit den Menschen so umgegangen? ... Warum werden gerade die älteren Menschen nicht ausreichend geimpft? Wie könnten wir als Weltgemeinschaft die Hilfen besser verteilen und warum tun wir uns immer noch so schwer damit …? – Sebastian, bitte für uns!
2) Jeden Tag, seit dem 24. Februar des vergangenen Jahres, hören wir von diesem schrecklichen Krieg in der Ukraine, sehen die Bilder von getöteten Menschen, zerstörten Häusern … keine Heizung, keinen Strom …; Menschen flüchten, suchen Schutz und verlassen ihre Heimat …: Warum dieses unsägliche Leid? Warum dieser Krieg und all die Kriege und Krisen auf unserer Erde? Warum tun Menschen das anderen Menschen an? - Sebastian, bitte für uns!
3) Menschen werden im Iran allein deshalb hingerichtet, weil sie für ihre Meinung eintreten und demonstrieren, für Menschenrechte – gerade als Frauen und Mädchen. Zur Abschreckung wird kurzer Prozess gemacht, im wahrsten Sinne des Wortes. - Warum dieser Terror des Staates? Warum wird immer wieder Macht und Machterhalt über Menschenleben gestellt? - Sebastian, bitte für uns!
4) Der Klimawandel ist nicht mehr zu leugnen. Wir spüren ihn auch hier bei uns in Rheinhessen. Die Gletscher - nicht nur in den Alpen - schmelzen noch schneller weg … das Eis an den Polen verringert sich erheblich …. Lebensräume für Mensch und Tier werden unwiederbringlich zerstört. - Warum gelingt es uns nicht oder offentsichtlich viel zu wenig als Menschheit gemeinsam den Klimawandel wirksam anzugehen? Und wenn ich Menschheit sage, dann meine ich auch mich selbst: Ist das ausreichend, was ich persönlich tue – oder könnte ich mehr tun, wenn ich nur wollte? - Sebastian, bitte für uns!
5) Denken wir an uns selber. Fast keiner von uns ist hier, ohne einen Verlust zu beklagen: Der Lebenspartner…, ein guter Freund, der gestorben ist … Kinder trauern um ihre Eltern und Eltern um ihre Kinder …. Schwere Erkrankungen, wie Krebs oder Demenz oder verschiedene Suchterkrankungen machen uns zu schaffen, beeinträchtigen massiv das Leben der Betroffenen und Familien. – Und auch hier die Frage: Warum dieses Leid, diese Krankheit, …warum letztlich der Tod? - Sebastian, bitte für uns!
Liebe Gemeinde, die Pfeile des Heiligen Sebastian sind auch heute sehr konkret und stecken schmerzhaft in uns drin, in unserem menschlichen Körper, in unserer Seele, in unserem Menschsein, ja in der ganzen Menschheit … und dann die immer wieder bohrende Frage nach dem „Warum das alles“ …
Oft wird der Hl. Sebastian so dargestellt, dass er an einem Baum gebunden ist. Dieser Baum hat auch manchmal die Form eines Kreuzes.
Für mich bedeutet dies: Vom Kreuz kommt die Antwort – nicht in dem Sinn, dass unsere Fragen nach dem „Warum“ aufgelöst oder gar erklärt werden; - aber in dem Sinn, dass es seit Jesus einen gibt, der am Kreuz geschrien hat: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Der aber auch gesagt hat: „In deine Hände legen ich voll Vertrauen meinen Geist.“ –
Für mich heißt dies: Unser „Warum“ ist nochmals umfangen und gehalten von einem, der größer ist als unsere Fragen, … als alles, was uns niederdrückt und lähmt.
So paradox es auch erscheinen mag: Mit dem Kreuz Jesu wird sichtbar, dass Vertrauen und Glauben, Sinn macht, weil wir nicht in den Abgründen von Trauer und Ohnmacht, von Hass und Vergeltung zu versinken brauchen. Das Kreuz wird zu einem Baum, der über sich hinausweist auf einen, der Leben will und schafft.
Wer an diesen Gott glaubt, der braucht nicht zu verzweifeln im Strudel der „Warum-Fragen“; der braucht nicht zu verzweifeln, nicht an der Welt und nicht an sich selbst.
Wer an diesen Gott glaubt, der kann und muss sich einsetzen, damit diese Welt nicht zugrunde geht, damit Menschen Hoffnung schöpfen können, Zuspruch erfahren und konkrete Hilfe. Von Sebastian wird erzählt, dass er half, wo er Not sah und sich zum Beispiel einsetzte für Menschen im Gefängnis.
Die Pfeile des Sebastian machen uns überdeutlich klar: Mitten im Leben, sind wir immer wieder vom Tod umfangen. Mitten im Leben werden wir getroffen von den schrecklichen Toden, die Menschen oder die Natur oder Krankheiten bringen…
Im Blick auf Ostern, im Blick auf die Auferweckung des Gekreuzigten gilt mindestens auch dies: Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen; von den Menschen, die uns zur Seite gestellt sind, von den vielen, die sich für andere – ohne große Worte engagieren und erfahrbar machen, dass Jesus unsere Wege mitgeht von der Krippe bis zum Kreuz – und weit darüber hinaus.
Daran hat ein Hl. Sebastian geglaubt und danach gehandelt; darauf haben unsere Vorfahren ihr Leben und Sterben gesetzt; Auf Ihn, Jesus, können auch wir vertrauen und unser Leben einsetzen – heute und immer. - Amen.