4. Predigt aus der Predigtreihe zum Pastoralen Weg von Pfarrer Markus Lerchl
4. Advent A – 18. Dezember 2022
Lesungen des Sonntags
1. Lesung: Jes 7,10-14
2. Lesung: Röm 1,1-7
Evangelium: Mt 1,18-24
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder!
Das neue Kirchenjahr wird uns stark verändern. Wir haben in diesem 1. Advent über die anstehenden Änderungen nachgedacht, sowohl im Kleinen, d.h. unserem Pastoralraum, als auch im Großen, also der gesellschaftlichen Situation unserer Kirche, ja aller Kirchen und der Religion insgesamt. Wir haben am 2. Advent nach dem gefragt, was die Gemeinde Jesu Christi durch alle Veränderungen ausmacht (Gottesdienst – Glaubensverkündigung – Nächstenliebe – Gemeinschaft). Wir haben vor einer Woche darüber nachgedacht, wie wir uns im Bistum Mainz der Situation stellen: Eine Kirche des Teiles werden – das ist das Kernprogramm des Pastoralen Weges (Leben – Glauben – Ressourcen – Macht teilen). Damit könnte man es jetzt bewenden lassen: Die äußeren Fakten sind ausgetauscht, wenigstens anfanghaft über den Stand der Dinge informiert.
Wenn wir alle ehrlich sind, dann geht es ja hier nicht zuerst um äußere Fakten. Die Änderungen, die wir zu bewältigen haben, sind fundamental, tiefgreifend – und rufen Gefühle auf den Plan: Da mag die Trauer sein, dass eine uns vertraute Gestalt von Kirche an ihr Ende kommt. Zugleich sind wir mitten im Prozess der Verwandlung, sodass wir noch gar nicht abschätzen können, wie die neue Gestalt von Kirche aussehen wird. Die Trauer um das Alte wird sich deshalb vermutlich mit der Furcht vor dem mischen, was da kommt. Vielleicht ist auch Enttäuschung im Spiel darüber, dass immer weniger Menschen (vor allem der jüngeren Generation) das wichtig ist, was uns wichtig war. Zutiefst ist der gesamte Wandel eine Frage an unseren Glauben: Wie kann Gott es eigentlich zulassen, dass seine Kirche so zerfällt? Dass sie anscheinend immer kleiner, gesellschaftlich immer bedeutungsloser wird? Ist Gott noch mit uns auf dem Weg? Ist er noch da – und wenn ja, wo erfahren wir ihn?
Diese Frage soll unsere Predigtreihe beschließen. Denn das Vertrauen auf Gott ist das
Fundament unseres Weges der Erneuerung und Veränderung. Es ist unser Grundka-
pital, diesen Weg zu gehen und bestehen. Durch die anstehenden Veränderungen lernen wir zwei Dinge wieder neu, eines über die Kirche, eines über Gott. Fangen wir
mit der Kirche an:
1. Vor 60 Jahren hat das Zweite Vatikanische Konzil die Kirche beschrieben als eine Pilgerin durch die Zeiten1. Das heißt auch: Sie kann nichts festhalten, keinen Status an Ansehen, Macht, Geld etc. Alles ist vergänglich. Die Kirche hat durch die Jahrhunderte ihrer Geschichte sich immer wieder fundamental gewandelt: Mal war sie verfolgt, mal war sie Staatskirche (und hat auch selber verfolgt). Kirche lebt in der Gesellschaft, ist ein Teil von ihr – und verändert sich auch mit der Gesellschaft, in deren Mitte sie existiert. Der Wandel gehört zum Weg einer Pilgerin dazu, die hier keine letzte Heimat finden kann, weil ihr Ziel im Himmel ist. Wenn wir von daher auf die aktuellen Änderungen schauen, dann können wir gelassener werden. Was wir jetzt erleben, hat es immer wieder gegeben in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte. Es gehört selbstverständlich zum Pilgerweg der Kirche dazu. Er ist ein Auf und ein Ab. Sie ist unterwegs auf den steinigen und staubigen Straßen dieser Welt hin zum himmlischen Licht, der himmlischen Stadt Jerusalem.
Wenn das Konzil die Kirche als Pilgerin beschreibt, dann hat es ein Vorbild vor Augen, auf das es sich bezieht: Es ist die 40jährige Wüstenwanderung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten hin zum Gelobten Land. Auch das ist ein Weg mit Auf und Ab, Sternstunden des Glaubens wie etwa dem Bundesschluss am Berg Sinai und der Gabe der 10 Gebote (Exodus 19; 24,3-8). Es ist ein Weg, der aber auch vom Versagen der Menschen gekennzeichnet ist, die meinen, es besser zu wissen, die es satthaben, in der Wüste umherzuziehen und sich nach der Sklaverei in Ägypten zurücksehnen, bei der sie zwar unfrei waren, aber immerhin genug zu essen hatten (Exodus 16,1-3; Numeri 11,4-6). Schließlich befällt sie die Angst vor den Bewohnern des Gelobten Landes, sodass sie gar mehr dort hinein wollen und zur Strafe 40 Jahre in der Wüste umherirren müssen (Numeri 13). Durch die menschliche Schwäche und den Unglauben kommt es, dass sie für einen Weg, den man in wenigen Monaten zurücklegen kann, insgesamt 40 Jahre brauchen und dabei immer wieder im Kreis laufen, ohne richtig voranzukommen. Wir können durchaus Parallelen zur Geschichte der Kirche erkennen, müssen beispielhaft sagen, dass sie oft nicht unschuldig ist an ihrem Niedergang. Aktuell ist es der Missbrauchsskandal, der die Kirche viel Vertrauen gekostet hat und noch kostet.
Es lohnt sich, den Weg des Volkes Israel durch die Wüste in 40 Jahren immer wieder zu lesen und auf unseren Weg durch die Zeit zu meditieren. Denn da ist viel Grundsätzliches über den Menschen gesagt, aber eben auch über Gott. Das Volk wohnt in Zelten, der Herberge des pilgernden Menschen. Man kann es am Abend gut an einem Ort aufstellen, um es am Morgen dort wieder abzubauen und weiter zu wandern. Das Volk wohnte in Zelten in den 40 Jahren der Wanderung. Doch neben den Zelten der Menschen gab es auch ein Zelt, in dem Gott wohnte: das Offenbarungszelt. Dort wurde die Bundeslade mitgetragen, dort fand der Gottesdienst mit seinen Opfern statt (Exodus 25-40). Das bedeutet, dass Gott alle Wege seines Volkes mitging, auch die Umwege, sogar die Irrwege. Er war und blieb dauerhaft in der Mitte des Volkes, bei allem Auf und Ab. Er blieb Israel treu.
So wie das Volk Israel durch die Wüste wanderte, ja oft genug durch die Wüste irrte, so geht auch die Kirche ihren Weg, sie ist immer unterwegs. Sie geht ihren Weg nicht alleine. So wie das Volk Israel von Gott begleitet und in allem selbstgemachten Chaos doch von Gott geführt war, so geht auch die Kirche ihren Weg nicht alleine. Gott geht diesen Weg mit. Gott führt seine Kirche durch die Geschichte – und wir müssen zugeben, dass es nicht immer alle Bahnen sind, die wir verstehen. Gott hat in Jesus Christus „sein Zelt unter uns aufgeschlagen“, wie Johannes 1,14 in Anspielung auf den Pilgerweg des Volkes Gottes in der Wüste wörtlich sagt.
2. Die Anwesenheit Gottes ist der Kerngedanke der Lesungen dieses 4. Advents, auf den Punkt gebracht durch den Namen Immanuel, Gott mit uns. Zum ersten Mal wird der Name laut im 8. Jh. v. Chr. Wir haben in der 1. Lesung davon gehört, die von einer Begegnung des Propheten Jesaja mit seinem König Ahas erzählt. Sie treffen sich in einer Zeit, als ein Krieg mit den Nachbarn droht. Es ist eine Zeit voller Not und Angst. Da verheißt Jesaja ein rettendes Zeichen: Es ist die Geburt eines Kindes, das den Programmnamen Immanuel bekommt, d.h. Gott ist mit uns! Der Immanuel ist ein Zeichen der Hoffnung: Angesichts von Krieg und Leiden wird ein Kind, neues Leben, zum Zeichen dafür, dass Gott sein Volk nicht aufgibt, dass er es nicht verlassen wird. Der Prophet fügt die Verheißung an, dass die beiden Kriegsgegner Israels verschwunden sein werden, wenn das Kind entwöhnt sein wird (Jesaja 7,15f.). Der Immanuel ist Zeichen der Rettung und der Hoffnung.
In genau diesem Sinne greift das Evangelium diese alte Verheißung des Jesaja auf und überträgt sie auf Jesus. Josef soll dem Sohn Mariens den Namen Jesus geben (=Gott rettet). Darin erfüllt sich Jesajas alte Verheißung des Immanuel. Jesus ist der, an dem in einzigartiger Weise deutlich wird, dass Gott mit seinem Volk ist. Die Not, aus der Jesus rettet, ist die Sünde, d.h. die Gottferne: „Er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen!“ Wir sind nicht allein unterwegs. Das Matthäusevangelium ist eingerahmt von der Zusage der Nähe Gottes: In Kapitel 1 ist es der Name Immanuel, in Kapitel 28 ist das allerletzte Wort des gesamten Evangeliums die Zusage des Auferstandenen: „Siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Matthäus 28,20). Auf allen Wegen sind wir begleitet, ist Christus mit seinem Volk unterwegs. Immanuel – Gott mit uns! Diese Antwort wird uns auf die Frage nach Gott gegeben auf unserem Weg durch die Zeit.
Wenn wir jetzt Weihnachten feiern mit allen unseren Fragen und Zweifeln, auch der Trauer und der (Verlust-)Angst, dann wird uns wiederum der Immanuel geben, damit wir nicht mutlos werden. Jesus begleitet uns auf dem Weg. Ich meine, dass wir deshalb es wagen können, in die neue Zeit voller Vertrauen (aber nicht blindlings) zu gehen. Ich mache drei Grundhaltungen aus, die uns helfen, den Pastoralen Weg zu gehen:
1. Die innere Gelassenheit und das Vertrauen, dass Gott seine Kirche führt und immer geführt hat. Die Kirche hat sich im Laufe ihrer Geschichte immer gewandelt – und wird es auch weiterhin tun. Sie ist Pilgerin.
2. Es braucht deshalb in diesem Gottvertrauen von uns allen die innere Erlaubnis, dass die ‚Dinge um „Gottes willen“ anders werden dürfen. Dass Reform/Wandel nicht der Untergang des „christlichen Abendlandes“ sind (wenn es dieses je so gegeben hat).
3. Am wichtigsten ist deshalb die Orientierung an den Grundvollzügen von Gemeinde. Jesus Christus soll als der Lebendige auch heute erfahrbar werden. Darum geht es. Deshalb müssen wir schauen, wie wir heute Gottesdienst feiern; wie wir heute den Glauben verkünden; wer heute unsere tatkräftige Nächstenliebe benötigt. Es gilt, auch heute Gemeinschaft mit Gott sowie untereinander zu schaffen. Wir laden Sie so herzlich ein, diesen Pastoralen Weg mitzugehen. Er fragt nach unserem Glauben und will ihn stärken. Wir dürfen neu lernen, dass wir nicht allein, sondern begleitet auf unserem Weg gehen und sei er manchmal noch so unsicher. Immer gilt: Immanuel – Gott ist mit uns.
1 Der Passus findet sich in Lumen Gentium 9: „Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn 23,1ff), so wird auch das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt (vgl. Hebr 13,14) in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht, Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18). Er selbst hat sie ja mit seinem Blut erworben (vgl. Apg 20,28), mit seinem Geiste erfüllt und mit geeigneten Mitteln sichtbarer und gesellschaftlicher Einheit ausgerüstet. (...) Auf ihrem Weg durch Prüfungen und Trübsal wird die Kirche durch die Kraft der ihr vom Herrn verheißenen Gnade Gottes gestärkt, damit sie in der Schwachheit des Fleisches nicht abfalle von der vollkommenen Treue, sondern die würdige Braut ihres Herrn verbleibe und unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen Untergang kennt.“ (Kursivierung M.L.)
Quelle: https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19641121_lumengentium_ge.html (Zugriff: 18.12.2022).