Vom Sabbat und einem Hoffnungsschimmer in der Amazonasmetropole | Die COP- & Amazonasreise ist zu Ende – wie geht’s weiter?


Mensch, waren das viele Eindrücke, Begegnungen, neue und einmalige Momente, ja Geschenke, in den letzten 3 Monaten. Der Fokus dieses Blogs bezieht sich auf den Oktober & November und ich hoffe, ich konnte Dich, liebe:r Leser:in, gut mit auf meine ganz eigene Art zu reisen, zu begegnen und zu staunen mitnehmen.
Oft wurden die Texte länger als anfangs gedacht, oft saß ich stundenlang dran und es wurde einfach nicht fertig… Und gleichzeitig konnte ich mit meiner begrenzten Sichtweise und Zeitkapazität natürlich auch nur einen Teil einfangen. Diverse Medien werden anderes geschildert haben. Doch was für mich ganz besonders prägnant auf dieser Reise war, waren die Begegnungen mit Indigenen und deren Nachfahren (‚Menschen mit indigenen Wurzeln‘) und Menschen, die ähnlich wie Indigene handeln und leben. Das begann mit der Finca in Kolumbien los, wo ganz selbstverständlich Agroforst betrieben wird (Siehe 2. Blogartikel), ging in Venezuela weiter, wo ich in indigenen Territorien unterwegs war und leider verstehen musste, dass Gold einen wirklich traurigen und ziemlich zerstörerischen Impakt hat und bereits auf dem Weg nach Venezuela durchquerte ich erstmalig ein ‚markiertes‘ indigenes Territorium. Die Begegnungen häuften sich, wir trafen in Manaus Schwester Elis dos Santos, die ebenfalls indigene Wurzeln hat und deren Projekt und Hintergrund ich hier heute nun nochmal etwas detaillierter beschreiben möchte.

Wir reisten dann mit einer Indigenen aus Venezuela auf dem Amazonas weiter – sie erzählte mir von der Genügsamkeit ihrer Ethnie. Sie schlafen fast den ganzen Tag, nur wenn Hunger aufkommt, wird gejagt, gefischt, Nahrung gesammelt. Dann – nach dem Essen – legen sie sich wieder zur Ruhe. Und dann hingen wir auch erst einmal zwei Tage in der Hängematte auf dem Amazonasdampfer. Jenen Lebensstil würde ich als entspannt bis super genügsam beschreiben. Dieses zerstörerische Mehr-Haben-Wollen bzw. profitmaximierende Denken, in das wir hierzulande nun mal reinwachsen, scheint dort gar nicht zu existieren. Ich meine, wenn wir mal rein hypothetisch die „Arbeit“ wegstreichen würden, würden wir nichts verdienen, so könnten wir auch nichts ausgeben und ‚müssten‘ automatisch genügsamer leben. Sicherlich hätten wir dann auch häufig weniger Stress. (Ich möchte hiermit aber nicht leugnen, dass es einfach auch wundervolle mit Liebe gestaltete Dinge gibt und es auch einfach Freude bereitet, diese zu kreieren oder zu erwerben. In unserer Welt eben mit Geld.)

Auf dem zweiten Boot trafen wir dann auf eine Gruppe von über 60 – vorwiegend recht jungen – Indigenen aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas und aus Indonesien. Und hier hörte ich nun zum ersten Mal den Ausspruch: Wir sind die lösungsbringende Antwort auf die Klimafragen und rund um die Rettung des Amazonas. Ich durfte in den 2,5 Tagen Flussschifffahrt ein paar wundervolle Gespräche führen und tiefergehend verstehen, was sie zum einen mit diesem Satz meinen und zum anderen wie wir alle wieder ein wenig erdverbundener / indigener leben können. Kurzum wie wir ganz ohne große Investitionen, Regenwaldfonds etc. – eben ohne Geld – die leidende Welt schonen und fördern können.

Zusammengefasst verstehe ich den Schlüssel für eine umweltrespektierende & generationenträchtige Zukunft in der Einfachheit, der Genügsamkeit, der Suffizienz, die vom Grundgedanken ‚Wie viel ist genug?‘ geprägt ist und eben nicht: Wie können wir da noch mehr rausholen? Übrigens ist die ‚Suffizienz‘ auch im biblischen Kontext einer der wichtigsten Bestandteile jener Jahrtausende jahrealter Schrift Genesis: der Sabbat. Der Pausentag, an dem alles ruht. Es ist der von Gott (nicht nur gesegnete, sondern auch) geheiligte Tag. (vgl. Gen 2,2f.) Und gleichzeitig werden auch die Menschen in der Ruhephase problemlos ernährt werden (vielleicht sogar genau deshalb), so heißt es in Levitikus 25,2-7: „Für das Land soll es ein Jahr der Sabbatruhe sein. Der Sabbat des Landes selbst soll euch ernähren: dich, deinen Knecht, deine Magd, deinen Lohnarbeiter, deine Beisassen, alle, die bei dir leben. Auch deinem Vieh und den Tieren in deinem Land wird sein ganzer Ertrag zur Nahrung dienen.“ (Mehr dazu in meiner Bachelorarbeit zum Vertiefen.)

Für mich waren bereits all diese Begegnungen Teil der COP, Teil dieses Weltklimagipfels. Auch wenn die offiziel ‚nur‘ vom 10.-21.11. stattfand. Für viele mag das Herzstück die Blaue Zone gewesen sein und die Entscheidungen, die dort getroffen wurden oder eben auch nicht. Sicherlich ist sie ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil. Doch diesmal standen – zumindest in meinen Augen – die Indigenen, die Fragilität der Erde - insbesondere des klimatisch bereits kritisch heißen und stark abgeholzten und mit Pestiziden, Quecksilber, Plastik & Co. verseuchten Amazonasgebiets – und damit auch ganz direkt der Ökosystem-/Artenschutz im Vordergrund. Wer Arten- & Biodiversitätsschutz betreibt, betreibt ganz automatisch Klimaschutz. Wer Menschen, und zwar konservativ lebende Gemeinschaften wie viele Indigene Ethnien schützt, setzt sich ganz beiläufig für einen bewohnbaren Planeten ein. Auf meine Frage hin, was sie glauben, was passieren wird, wenn die Treibhausgasemissionen weiter zunehmen und die Temperaturen steigen; ob sie ihre ‚Dörfer‘ verlassen müssen, wie sie ihre ‚Überlebenschancen‘, bekam ich von dem 49 -jährigen Francisco – dem ‚Capitan‘ des Taquara-Tribus – folgende Antwort: „Wir leben im Wald, haben Schatten und können jagen. Überlebensprobleme bekommen die Städter, nicht wir.“ Natürlich geht das nur so lange gut, solange der Amazonas als Wald bestehen bleibt und diese Ansicht würden auch nicht alle Indigenen teilen, da sehr viele bereits stark am Leiden sind – hauptsächlich durch Abholzung und Verseuchung der Flüsse, des Lebenselexiers Wasser. Immer wieder betonen sie: Obwohl wir den Wald schützen, erhalten wir keine (Hilfs-)Mittel vom Staat.

Manche sehen bei zu hohem Leidensdruck dann keine Zukunft mehr im Wald und suchen verzweifelt die Städte auf. So kamen auch die Eltern von Schwester Elis nach Manaus. Als ein Hochwasser ihr Haus und alles, was sie besaßen, zerstörte und sie praktisch nichts mehr hatten, zogen sie nach Manaus, in die Millionenstadt – die Amazonasmetropole schlechthin. Auch wenn es eine Stadt ist, so erzählt uns Sr. Elis, ist es „Terra indigina“ (indigenes Land), auf dem theorethisch die Indigenen das ‚Sagen‘ haben. Wenn sie zu einem Bauvorhaben, Waldrodung etc. Nein sagen, so das Recht, heißt dies auch ‚Nein‘. Ob das dann auch so respektiert wird, ist eine andere Frage. Aber es gibt eine gute Grundlage, um rechtlich zu kämpfen. Und seit wenigen Jahren passiert ein Wandel, den sie für sehr positiv empfindet: Immer mehr Menschen bekennen sich zu ihren Indigenen Wurzeln. Es tauchen plötzlich neue, mehr indigene Dörfer auf, sogar neue Sprachen. Indigene erleben in vielen Teilen der Welt einen starken Rassismus und haben sich darum stets sehr gedeckt gehalten. Seit wenigen Jahren erhalten sie nun, seit 1988 Stück für Stück mehr Rechte & Anerkennung. Teils werden oder wurden sie bspw. nicht mal mehr als Menschen angesehen. Auch in Manaus sei der Rassismus und eine Zweiklassengesellschaft noch deutlich spürbar, so Sr. Elis. Es leben viele Indigene am Rand der Gesellschaft und sind unfreiwillig in die Stadt gezogen, gedrängt durch Hochwasser oder auch vielmals aufgrund von Eindringen durch Unternehmen in indigene Gebiete, ein Fortschreiten des Kapitalismus, den schwierigeren Lebensbedingungen und der Zentralisierung der Bevölkerung. Doch die Indigenen in der Stadt haben ebenfalls für die ländlich lebenden eine wichtige Rolle: So können sie sich für die Rechte einsetzen, im administrativen Bereich, in Universitäten und im öffentlichen Raum laut werden und die Klagerufe der abseits lebenden Indigenen sichtbar werden lassen.

Elis ist mit indigenen Genen der Parentins (mütterlicherseits) und der Mura (väterlicherseits) im Blut aufgewachsen und hat es sich als Lebensaufgabe gemacht, Indigenen und den finanziell ärmeren Schichten zu helfen. Sie hat Anthropologie studiert und über Jahre den mittleren Amazonas und deren indigenen Stämme erforscht. Später ist sie der Kongregation „Irmas da divina providencia“ beigetreten.

Heute leitet sie ein Projekt namens „Casa Amazônica“, welches von dem kirchlichen Hilfswerk Adveniat aus Deutschland aus finanziell unterstützt und mitgetragen wird. Elis werde ich jetzt gleich wieder am Flughafen treffen und gemeinsam fliegen wir dann nach Deutschland. Ihr habt also die Möglichkeit, sie persönlich die nächsten Tage kennenzulernen. (Habt ein bisschen Nachsehen, im Falle dessen, das die Kälte ihr etwas zu schaffen machen sollte – ich glaube von 37°C tropischer Hitze zu 2°C könnte ein harter Übergang werden.., auch für mich nach 3 Monaten rund um den Äquator. :-D (Sitze schon bei 23°C im Pulli da…)

Doch was ist nun das Projekt von Elis?
Die heute 39-jährige fing mit 31 Jahren an, die Projektidee zu entwickeln. Gefolgt dem Aufruf von Papst Franziskus, ein öko-soziales Projekt zu entwickeln. Das Movimiento Laudato si wurde weltweit ins Leben gerufen. Die Spiritualität ihrerseits baut auch so wie die des letzten Papstes auf der Ökologie auf. Und es ist auch genau das, was mich antreibt. Was ich gerne verbinden möchte: Spiritualität & Ökologie. Es leben die Indigenen vor und auch im christlichen Glauben gibt es reichlich Anreiz dafür. Elis hat nun ein solches Pilotprojekt erwachsen lassen. Im Grunde kannst Du Dir die Projektstätte wie ein großes Haus mit großem Garten vorstellen. Im Garten pflanzen sie Heilpflanzen, Gemüse und Obst an. Große, alte Mangobäume spenden dem Garten Schatten und die Papageien verzaubern die Kulisse. Wir sind mitten in einem ärmlichen Viertel in dieser gigantischen Stadt. Elis ist es wichtig, hier einen Ort zu schaffen, der innerlich aufbaut, der versammelt, zusammenbringt und Hoffnung schenkt. Den Menschen des Viertels, den Indigenen, die sich in der Großstadt etwas ‚verlieren‘ und alle, die gerne vorbeischauen wollen. Es ist ein Haus, wo jeder willkommen ist, an den Programmen teilzunehmen.
Es gibt drei Hauptprojektlinien:
Gesundheit, Erstellung und Verkauf von Hygiene-/Putzmitteln und dem Garten.

Zu jedem Projekt gibt es eine Gruppe, und Menschen können sich am ersten Samstag im Monat in den Kalender des Hauses eintragen, um an den Programmen teilzunehmen.
Jeden Mittwoch gibt es eine Gesundheitsberatung. Das Team ist mit Ernährungsberater:innen und Krankenpfleger:innen ausgesattet. Es wird viel auch auf die alte Medizinkunst der Heilpflanzen zurückgegriffen. Und im Sinne der alten Medizinkunst auf den Dreiklang Körper, Geist und Herz geachtet. Einen Arzt ersetzen sie zwar nicht, können aber unterstützend einen wichtigen Posten anbieten.
Gerne würden sie diese Beratung täglich anbieten, dafür braucht allerdings mehr Mittel. So sind zwar die Plätze begrenzt, es zeigt aber auch, wie beliebt & angenommen das Casa Amazônica ist. Es geht auch immer darum, sich mit Mutter Natur wieder zu verbinden (reconectar-se). Zum einen sprechen sie damit die Indigenen an, die mittlerweile fernab ihres ursprünglichen Lebensstils im Wald im Stadtdschungel leben, aber genauso auch Menschen, die inmitten einer der größten Waldgebiete der Erde leben und dennoch völlig ‚desconnectet‘ mit diesem sind.
Jeden Monat trifft sich das Kernteam, um über anstehende Themen zu sprechen, und Neues zu planen. Insgesamt besteht das Team vorwiegend aus Frauen. Ca. 25 Menschen helfen engagiert mit. Monatlich nutzen die Angebote rund 100 Menschen.
Ihr merkt, die Sache ist gut durchgetaktet. Aktuell schauen sie sich nach einem größeren Gelände um, das der Garten doch recht klein ist und es gut tut, zu spüren, dass sie der lokalen Bevölkerung helfen können.
Um ein kleines Einkommen zu generieren, produzieren sie jeden Montag hausgemachte Düngemittel, mit recyceltem Fett erstellte Seifen und weitere biologisch verwertbare Produkte wie Spül- & Waschmittel. Dabei ist immer die ökologische Komponente wichtig und ist beeindruckend zu hören, dass eine ganze Reihe an Restaurants mittlerweile das Bratfett für sie aufbewahrt, sodass sie dieses in wunderbare Spülseifen verwandeln können.

Und die dritte Projektsäule ist der Garten. Jeden Tag kümmert sich eine Frau des Hauses um diesen. Pflegt und erntet. Auch ein wichtiger Teil der Selbstversorgung. Gleichzeitig können sie so gesichert pestizidfreie Mittel erstellen. Und auch hier können alle mitarbeiten. Dieses Haus erlebe ich in den wenigen Tagen, wo wir dort sind, als durch und durch gemeinschaftlich. Es strahlt eine große Willkommenskultur aus und Menschen kommen und gehen. Wir spüren deutlich, dass es ein wahres Herzensprojekt von ihr ist. Ein Projekt, was Hoffnung macht.

Schließen möchte ich meinen für diese Reise letzten Blogartikel mit der Botschaft von Schwester Elis an die Welt:
“Das Casa Amazônica de Francisclara erwächst aus dem Boden der Peripherie von Manaus, wo sich der Gesang der Vögel mit den Klagerufen der Armen und Zurückgewiesenen unserer Amazonasregenwaldes vermischen. Es ist ein Ort der Schützens, des Widerstand und der Hoffnung. Hier gilt: jede geschützte Pflanze, jede ökologische Seife, jeder Jugendliche, der träumt, ist eine Geste der Bestätigung und Verbindlichkeit mit unserem gemeinsamen Haus. Wir sprechen zur Welt mit der Stimme des Amazonas. Es ist an der Zeit, dem einfachen Volk zuzuhören. Das gemeinsame Haus zu heilen, bedeutet, eine Ökonomie zu leben, die statt Leben zu zerstören, jenes erschafft. Fanziskus und Clara kamen zu uns, um uns eine Brüderlichkeit aufzuzeigen, wo es etwas zu entdecken gab. Und dran zu glauben, dass in der Peripherie des Amazonas eine neue Art, simple und in Solidarität und menschlicher Tiefe zu leben, wie ein Same keimen darf, wo wir in der Lage sind, uns dazu zu bewegen, unsere geliebten Amazonas zu umarmen. Jede und jeder darf sich eingeladen fühlen, zu umarmen. Es ist eine Angelegenheit, die alle etwas angeht! Lasst uns also gemeinsam gehen!“

Dankbar, freudig und hoffnungsvoll blicke ich in die Zukunft! Lasst uns gute Energie bündeln und Mutter Natur, diese gigantische Schöpfung ehren, bewahren und mit ganzem Herzen pflegen.
Nachfolgend findest Du noch die Termine rund um die COP im Bistum. Herzliche Einladung, vorbeizuschauen!
Programmaussicht:
Am Donnerstag, 27.11., wird das Bistum Mainz in Bingen an der TH um 14 Uhr (- 16 Uhr) eine Gesprächsrunde veranstalten. Mit dabei ist ist neben Dom Vincente aus Brasilien und meiner Wenigkeit auch Prof. Dr. Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Klimainstitut.
Weiter geht es im Anschluss in Darmstadt um 18:30-20:30 Uhr
Am Freitag, 28.11., gibt es um 10 Uhr einen Gottesdienst im Jugendhaus (Mainz) mit Bischof Dom Vincente und im Anschluss kommen wir über diese Reise & die COP ins Gespräch.
Am Sonntag, 30.11., findet um 11 Uhr im Dom (Mainz) der Weihnachtsaktionseröffnungsgottesdienst statt. Auch da und beim anschließenden Empfang werde ich vor Ort sein.
Hier noch ein ganz aktuelles Bild aus dem Flieger mit Mishiko, meiner wunderbaren Reisebegleitung, und den beiden Vertretern jener Adveniat-Projekte, die dieses Jahr bundesweit unterstützt werden: Mit Sr. Elis & Dom Vincente.
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