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Den Jahreswechsel sinnerfüllt gestalten

drei Menschen von hinten, die im Schnee um ein Lagerfeuer sitzen, die Stimmung ist angenehm heimelig
Von:
Anja Weiffen

Fragen an Bernhard Deister, Leiter des Instituts für Spiritualität im Bistum Mainz.

Die Zeit zwischen den Jahren ist eine besondere. Viele lassen die zwölf Monate mit Party, Böllern oder Raclette ausklingen. Wer den Jahreswechsel lieber besinnlicher gestalten möchte, hat viele Möglichkeiten. 

Herr Deister, ist es okay, an Silvester ein Partymuffel zu sein?

Ich denke, so einen Übergang sollte jede und jeder so begehen, wie es einem selber dient. Ich kenne aus meiner Erfahrung beides: Früher als junger Kerl habe ich auch gerne Silvesterpartys gefeiert. Dann habe ich im Kloster Jakobsberg Besinnungstage entdeckt. Wenn man so einen Wendepunkt im Jahr für sich nutzen will, ist es gut sich zu fragen: Was entspricht mir? Es kann das dankbare Feiern mit lieben Freunden sein. Ich habe auch Verständnis für Menschen, die Silvesterfeuerwerk mögen, auch wenn ich weiß, dass es ökologisch und für Tiere eine Katastrophe ist. Wichtig ist zu schauen, was hilft, diesen Übergang für mich selbst gut zu gestalten.

Welche Alternativen gibt es für Menschen, die einen ruhigen Jahresabschluss vorziehen? Gibt es kirchliche Angebote?

Kirchengemeinden bieten etwa Andachten oder andere besinnliche Veranstaltungen in der Silvesternacht an. Bei uns im Bistum Mainz lädt das Kloster Jakobsberg seit Jahrzehnten zu Besinnungstagen ein. Ich weiß, dass es Ähnliches auch in anderen Klöstern gibt. Dort wird der Jahresübergang etwa mit einer Gebetszeit, einer Meditation oder mit einem Orgelkonzert begangen. Das sind alles Wege, den Jahreswechsel ausdrücklich religiös oder spirituell zu begehen. 

Ich finde, es ist wie bei Geburtstagen: Man kann sagen, dass sich nur eine Zahl ändert. Aber trotzdem ist das Erleben dieser Wende zwischen dem alten und dem neuen Jahr so ein bisschen wie das neue Schulheft früher. Ich hatte das Gefühl, ab dem neuen Heft ganz ordentlich zu schreiben. Es kann guttun, etwas abzuschließen. Dadurch erhält man die Chance, dass sich etwas ändern kann.

So wie bei Neujahrsvorsätzen?

Ich bin mittlerweile überhaupt kein Freund mehr von Neujahrsvorsätzen. Ich weiß, dass es vielen Menschen so geht wie mir viele Jahre: Die Vorsätze haben eine erschreckend kurze Halbwertszeit. Trotzdem – und diese Erfahrung machen wir auch beim Pastoralen Weg im Bistum: Wenn das Alte nicht verabschiedet ist, ist es ganz schwer, dass überhaupt etwas Neues entstehen kann.

Viele Menschen wollen an Silvester nicht alleine sein, sind es aber notgedrungen. Wie kann man den Jahreswechsel gut alleine verbringen?

Es gibt ein paar Ur-Symbole. Wenn man alleine ist, kann man aufschreiben, was war, und das würdigen. Wer etwa einen Kamin daheim hat, kann das Papier verbrennen – natürlich immer nach Brandschutzregeln. Oder für sich selber eine Kerze anzünden, als Ausdruck der Sehnsucht, dass etwas hell wird, wo vorher etwas schwierig war. Das Wichtige ist das bewusste Innehalten. Das kann auch mit einem Vaterunser gut sein, in das man seine Sorgen hineinlegt. 

Was viele Menschen berührt, sind Jahresrückblicke. Man kann, ausgehend von weltpolitischen oder kirchlichen Themen, in sich hineinspüren und fragen: Was war denn bei mir so los? Eine Übung ist, einfach mal den Terminkalender zu nehmen. Ich mache immer wieder die erstaunliche Erfahrung, dass ich darin Ereignisse entdecke und mich frage: Wow, das war in diesem Jahr? So wird das Jahr konkret, ich kann dann sagen: Dich gebe ich jetzt zurück in Gottes Hand. Und nach Mitternacht empfange ich ein neues Jahr.

Was bedeuten Silvester und Neujahrin der christlichen Tradition?

Der 1. Januar ist gar kein Neujahrsfest im Christentum, sondern der Oktav-Tag zu Weihnachten. Jetzt kann man sagen: Neujahr hat für Christen keine große Bedeutung. Auf der anderen Seite ist die Oktav der Abschluss eines Festes. Um es positiv zu deuten: Wir feiern an Neujahr eigentlich noch einmal Weihnachten als Fest der Menschwerdung Gottes. Der Charme von kleinen Kindern ist ja, dass sie das ganz Neue des Lebens ausstrahlen. Daher feiern wir an Neujahr auch das Geschenk, unser eigenes Menschsein leben zu dürfen.

Sie hatten den Sorgen-Zettel im Kaminfeuer genannt. Kennen Sie noch andere Rituale?

Seit 30 Jahren begehe ich gemeinsam mit meiner Frau den Jahreswechsel mit einer Kursgruppe während Besinnungstagen im Kloster Jakobsberg. Nach dem Jahreswechsel gehen wir gemeinsam in die Kirche zum nackten Altar und begrüßen den Altarstein. Wir legen die Hände bewusst auf diese kalten Steine, um zu spüren: Ja, das ist durchaus eine Herausforderung, so ein neues Jahr. Aber diese Berührung bringt zum Ausdruck: Ich möchte dieses Jahr von Gott entgegennehmen und will darauf vertrauen, dass er mit da ist. Wir zünden als Zeichen unserer Sehnsucht Weihrauchkörner an, nach dem alten Verständnis: So wie der Weihrauch aufsteigt, so empfängt Gott unsere Gebete und unsere Hoffnung, die sich mit jedem neuen Jahr verbindet.

Wie können Familien mit Kindernden Jahreswechsel gestalten?

Wer es ethisch mit sich vereinbaren kann: Im guten Sinn ein bisschen Spaß haben mit Silvesterfeuerwerk. Feuer ist dabei für Kinder hilfreich – ein angemessener Umgang vorausgesetzt. Ich habe den Eindruck, Kinder verstehen auch das Anzünden einer Kerze intuitiv. Ältere Kinder können ein Anliegen auf einen Zettel schreiben. Vielleicht einen kleinen Brief an Gott formulieren: Was wünsche ich mir für dieses Jahr? Oder ein Gebet für einen anderen Menschen aufschreiben. Sie können den Brief den Eltern geben, als Zeichen, ihn losgeschickt zu haben. Es kann spannend sein, am Jahresende darauf zu schauen: Wofür haben wir am Anfang gebetet? Was ist im Jahr passiert? Ich würde Kinder erzählen lassen. Was war eine Freude? Was war traurig? Was ist schiefgegangen? So kann die Seele etwas loswerden. 

 

Bernhard Deister ist Pastoralreferent und leitet das Institut für Spiritualität in Mainz.

Zur Sache

Vor zwei Jahren wurde das Institut für Spiritualität im Bistum Mainz gegründet. Seinen Sitz hat es in der Himmelgasse 7 in Mainz. Die zehn Mitarbeitenden sind auch in den vier Regionen des Bistums aktiv. Das Institut möchte mit Angeboten zu Begegnung und Stille, Natur- und Gotteserfahrung und zur vertieften Selbstwahrnehmung anregen. www.bistummainz.de/glaube/institut-spiritualitaet