Sankt Martin – Heiliger ohne Taufschein
Die Geschichte von der Mantelteilung ist schon allein für sich wunderschön. Sie erzählt von der Aufmerksamkeit für einen Schwächeren, von spontaner, beherzter Hilfsbereitschaft, von der Kraft des Teilens.
Dr. Annette Wiesheu, Darmstadt, hr2 Zuspruch, Montag, 11.11.2024
Er hat seinen Mantel mit einem Bettler geteilt. Wahrscheinlich fällt diese Geschichte den meisten Menschen als erstes ein, wenn es um den heiligen Martin geht. Sein Fest wird heute begangen, und in diesen Tagen ziehen Kinder mit Laternen in Erinnerung an ihn durch die Straßen. An vielen Orten wird die Begegnung des römischen Soldaten Martin mit dem Bettler nachgespielt. Sie soll sich um das Jahr 335 am Tor der französischen Stadt Amiens zugetragen haben. Der Soldat Martin sieht den Bettler am Stadttor sitzen, er zieht sein Schwert, teilt damit seinen Mantel und gibt die Hälfte davon dem Bettler. Später erscheint Martin im Traum Jesus: Er hält die Hälfte des Mantels, die Martin dem Bettler gegeben hat, in seinen Händen: Dieser Bettler – das war Jesus.
Die Geschichte vom Mantelteilen ist überliefert in der Lebensbeschreibung des heiligen Martin. Ein Gelehrter namens Sulpicius Severus hat sie geschrieben. Martin wurde später Christ, er gründete ein Kloster und war Bischof der Stadt Tours in Frankreich. Sein Biograph wollte das heiligmäßige Leben von Martin festhalten und von seinen guten Taten zu erzählen.
Die Geschichte von der Mantelteilung ist schon allein für sich wunderschön. Sie erzählt von der Aufmerksamkeit für einen Schwächeren, von spontaner, beherzter Hilfsbereitschaft, von der Kraft des Teilens. Liest man die Geschichte im Zusammenhang der ganzen Lebensbeschreibung, dann, so finde ich, entdeckt man noch weitere Nuancen. Martin ist Soldat. Im römischen Heer Dienst zu leisten, das war den frühen Christen nicht erlaubt. Zum einen, weil die Christen dem römischen Staat skeptisch gegenüber waren. Schließlich war ihre Religion lange Zeit verboten, und es kam immer wieder zu Verfolgungen. Zum anderen aber nahmen sie das Gebot „Du sollst nicht töten“ sehr ernst. Soldat zu sein, das war für die Christen ein durch und durch anstößiger Beruf. Und tatsächlich gibt auch Martin seinen Beruf auf, nachdem er sich hat taufen lassen. Aber Soldat gewesen zu sein – das bleibt ein Makel und passt nicht zu einem Mönch und Bischof, der Martin dann wird. Mit der Geschichte von der Mantelteilung geht es auch darum zu zeigen: Martin war zwar noch Soldat, er trug den Mantel eines Soldaten und das Schwert eines Soldaten. Aber in Wirklichkeit, in seinem Inneren war er bereits Christ. Er nutzte sein Schwert nicht um zu töten, sondern um seinen Soldatenmantel zu teilen und Gutes zu tun. Und: er hatte Augen für den Bettler, den schwachen, hilfsbedürftigen Menschen, in dem ihm eigentlich Christus begegnet ist.
Für mich steckt darin die besondere Botschaft der Geschichte von der Mantelteilung des heiligen Martin: Es kommt darauf an, wie ich handle. Nicht darauf, welchen Beruf ich habe oder ob ich getauft bin oder nicht. Sondern darauf, dass ich den anderen, den Schwachen sehe, mich ihm zuwende. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder - oder Schwestern - getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus in der Bibel (Matthäus-Evangelium 25,40). Und das heißt: Wichtiger noch, als dass ich mich zu Christus mit Worten bekenne, ist das, was ich tue. Wenn ich dem anderen helfe, dann helfe ich auch Christus. Entscheidend ist das Handeln. So wie der heilige Martin es vorgelebt hat.