Der Mensch -

geliebt - geschaffen - gehalten

Kapitel

kurz:

Der Mensch

Blick in den Spiegel – der Mensch

Wir sehen in den Spiegel und sehen uns. Viele Male am Tag werfen wir prüfende Blicke auf glänzende Oberflächen. Um zu sehen, ob die Frisur noch sitzt, ob die Kleidung in Ordnung ist, ob die Haltung stimmt ... Der Spiegel als Instrument der eigenen ‚Oberflächenkontrolle’ signalisiert, ob das Bild, das wir von uns entworfen haben, stimmig ist oder korrigiert werden soll. In ganz seltenen Momenten ist er aber auch viel mehr. Wer einmal intensiv in den Spiegel geschaut hat, fragt: Sehen mich andere so, wie ich mich sehe? Kann ich mich sehen, wie ich wirklich bin? Oder gaukelt mir mein Auge nur das vor, was ich sehen will und verschließt mir, was wirklich ist? Der Spiegel, in dessen silbernem Schimmer wir uns vertraut sind, ist immer auch der Ort der Erfahrung, wie fremd wir uns selber und anderen bleiben. Wir sind ganz wir selbst und können uns und einander dennoch oft nur ahnen.

Gott schafft jeden Menschen nach seinem Bild. Einzigartig und unverwechselbar. Wir sind viel mehr als das, was wir selber oft nur in uns sehen können und andere in uns sehen wollen. Das spüren wir und es befremdet uns manchmal. Aber es macht auch Mut, die Bilder, die wir und andere von uns haben, abzustreifen und zu leben, so wie Gott uns gedacht hat.

ausführlich:

Der Mensch

Die westliche Welt bietet Menschen heute viele Lebensstile und Leitbilder. Die offene, moderne und plurale Gesellschaft hält unzählige Deutungen und Optionen des Menschseins vor und macht die eigene Biographie zur Gestaltungsaufgabe. Der Mensch muss sich selber – beinahe täglich neu – erfinden und erfährt dabei die Ambivalenz der Gestaltungsmöglichkeit eigener Existenz als Gratwanderung zwischen Macht und Ohnmacht, freiem Willen und Determination. Der Mensch wird sich selbst zur Aufgabe und zugleich auch zur Frage: „Wer bin ich? Diese Frage kann niemand für sich allein beantworten. Der Mensch erlebt sich als Individuum und Person durch die Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen. Wer und was er ist, lernt der Mensch nicht allein aus sich selbst, sondern durch Annäherung an und Abgrenzung von anderen, die er benötigt, weil zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehung wichtige Voraussetzungen für Selbsterkenntnis und Selbstfindung schaffen.

Wer bin ich?

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Person und Individualität führt immer auch zur erschreckenden Einsicht in die eigene Kontingenz, d.h. die Endlichkeit, Vergänglichkeit und Zufälligkeit menschlichen Seins: Könnte mein Leben so oder auch ganz anders verlaufen? Welchen Sinn hat es angesichts des unausweichlichen Todes“? Mit diesen Fragen verbindet sich häufig auch die Unsicherheit darüber, welches Schicksal der Mensch an Leib und Seele nach dem Tod erfährt.

Während die Frage nach der eigenen Identität ein typisches Phänomen der Neuzeit ist, ist die grundlegendere Frage „Was ist der Mensch?“ viel älter. Sie fand ihren Niederschlag z.B. im Mythos (von Sisyphos, Prometheus oder Ikarus) und beschäftigt seit Jahrhunderten Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler, Psychologen, Schriftsteller und Künstler. Das Bild vom Menschen wandelt sich. Jede Zeit entwickelt ihre Deutung des Menschseins. Ein Bild, das wandlungsfähig und veränderbar ist, ist aber immer auch anfällig dafür, in den Dienst einer Ideologie gestellt zu werden. Zu allen Zeiten hat sich das Bild vom Menschen im Missbrauch durch die Macht daher auch gegen den Mensch selbst gewendet.

Frei sein

In der Veränderbarkeit und Gestaltungsfähigkeit des Menschbildes zeigt sich ein weiteres wesentliches Kennzeichen menschlicher Existenz: Der Mensch ist frei, in Würde selbstbestimmt zu leben. Er ist frei in seiner Sicht auf sich selbst und in der Gestaltung der Welt und der eigenen Biographie. Als reines Selbstverwirklichungsstreben verstanden sind die Schattenseiten dieser Freiheit Selbstüberforderung, Unterdrückung und Ausbeutung. Das gilt für persönliche Beziehungen ebenso wie für Wissenschaft, Forschung, Politik und Wirtschaft.

Die Bibel entfaltet alle Dimensionen menschlicher Existenz

Die christlichen Antworten auf die Fragen menschlicher Existenz fußen letztlich auf der biblischen Botschaft. Denn die Erzählungen der Bibel entfalten Theologie (griech. θέολογία = Rede von Gott und göttlichen Dingen) nicht im luftleeren Raum, sondern erzählen von Gott im Leben der Menschen. Sie reden von Emotionen wie Liebe, Leid, Freude, Trauer, Wut, Neid und Angst. Vom Scheitern und vom Glücken des Lebens und von der Herausforderung, als Mensch in Gemeinschaft mit anderen zu stehen. Alle Themen und Dimensionen menschlicher Existenz werden entfaltet und zwar auf die Fragen hin, wie und was Gott ist, in welcher Beziehung er zu den Menschen steht und welche Auswirkungen das für die Beziehungen der Menschen zu sich selbst und untereinander hat. Es geht um Sünde und Schuld, um die Erkenntnis menschlicher Unzulänglichkeit, um Erbarmen, Umkehr und Neubeginn, aber auch um Sterben und Tod. Darum, dass Gott nicht aufrechnet, nicht stehen bleibt, bei dem, was im Leben nicht gelingt, sondern das Heil will für seine ganze Schöpfung.

Die Bibel entfaltet darin auch zwei wesentliche Grundbegriffe theologischer Anthropologie (griech. άνθρωπος = der Mensch). Der Mensch ist Geschöpf und imago dei (= Bild Gottes). Gott erschafft den Menschen nach seinem Bild. Ihm ähnlich (Gen 1,26). Der Mensch erhält also eine Autonomie, die jener ähnlich ist, die Gott selber hat. Der Blick in die Geschichte zeigt jedoch, dass der Umgang mit dieser Autonomie immer wieder hinterfragt und neu gelernt werden muss.

Als Geschöpf und Abbild Gottes hat jedes Individuum einen Wert und Würde, die unantastbar sind durch andere. Der Text fährt fort: „Als Mann und Frau erschuf er sie.“ Dieser Aspekt ergänzt und vervollständigt das Bild vom Menschen als Geschöpf Gottes. Der Mensch ist nicht als Einzelwesen geschaffen sondern dazu, in einer Gemeinschaft zu leben. In Beziehung zu Gott und den Menschen, die mit ebensolcher Würde ausgestattet sind wie er selbst. Die Gleichheit aller Menschen vor Gott lässt sich hieraus unmittelbar ableiten.

zwischen Autonomie und Schuld

Nach seinem Bild lebt der Mensch, der seine Individualität, seine Freiheit und Autonomie als Geschenk Gottes annimmt, der „mit Leib und Seele“ er selbst ist und die Fähigkeiten, die Gott ihm geschenkt hat, zum Wohle der anderen und zum Wohle der Schöpfung einsetzt. Die biblischen Schriften machen deutlich, dass Gott keine Untertanen wünscht, sondern freie Menschen, die aus der Erfahrung leben, dass im Vertrauen auf ihn Knechtschaft und Feindschaft zwischen Menschen und Völkern überwunden werden können. Das gelingt nicht immer. Menschen laden Schuld auf sich, indem sie die Würde, die Autonomie und Freiheit und die damit verbundenen Rechte anderer missachten. Die Bibel bezeichnet dieses Verhalten mit dem Wort Sünde. Dem entgegen hält Gott seinen unbedingten Vergebungswillen. Gott lässt keinen Menschen fallen und gibt auch darin ein Vorbild für den zwischenmenschlichen Umgang mit Schuld und Vergebung.

Das Menschenbild der Bibel ist eindeutig in seiner Parteilichkeit für ein Leben in Würde, Gleichheit, Freiheit und Solidarität. Es ist insofern offen, als es deutlich macht, dass das, was Menschsein ausmacht, nicht allein vom Menschen gemacht werden kann. Gott schenkt jedem Mensch das, was ihn einzig und unverwechselbar macht. Diese Treue Gottes reicht bis in den Tod und über ihn hinaus. Gott ruft den Menschen ins Leben und lässt ihn eintreten in eine Beziehung, die auch das Sterben nicht auslöscht, sondern nur verwandelt.

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Gen 1,26: Altes Testament, Buch Genesis, Kapitel 1, Vers 26.

Autor(en): Elisabeth Eicher-Dröge