In unserer Sprache ist „Geist“ in vielfältiger Weise anwesend. Wenn in Diskussionen die Meinungen auseinandergehen, „da scheiden sich die Geister“. Wenn jemand bewusst Kräfte einsetzt, um etwas zu erreichen, diese Kräfte aber außer Kontrolle geraten, sagen wir: „Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los.“ Wenn einer lästig fällt, beschweren wir uns, weil er uns „auf den Geist geht“. Wenn einer völlig unvernünftig handelt, ist „er von allen guten Geistern verlassen“. Im Blick auf misslungene Vorsätze meinen wir mit Bedauern: „Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach.“ Wer sich intensiv für ein Anliegen engagiert, ist „begeistert“. Und wenn jemand stirbt, sprechen wir poetisch davon, dass er „seinen Geist aushaucht“ oder „seinen Geist aufgibt.“
Meist ist uns bei solchen Redewendungen nicht bewusst, dass sie zum Teil wörtlich aus der Bibel stammen oder mit der christlichen Tradition verbunden sind. An vielen Stellen wird in den Schriften der Bibel ausgedrückt: Die Entstehung der Welt, die Schöpfung, die Ereignisse und Vorgänge in der Geschichte, das Leben und die Taten Jesu Christi haben mit „Geist“ zu tun, mit dem Geist Gottes.
Das christliche Symbol für Gottes Geist, den „Heiligen Geist", kann auf vielen Bildern und Kunstwerken entdeckt werden: die Taube. Markante Szenen aus dem Neuen Testament werden immer wieder dargestellt und können in viele Kirchen besichtigt werden.
Eine dieser Szenen findet sich im 2. Kapitel der Apostelgeschichte: Die Apostel und Maria sind in einem Raum versammelt. Über ihnen eine Taube, von der Feuerzungen ausgehen und sich auf die Köpfe der Versammelten herablassen. So wird das Pfingstfest dargestellt, an dem der Heilige Geist wie ein Sturm über die verängstigten Gläubigen, die junge Gemeinschaft der Kirche, kommt und diese mit dem Feuer der Kraft Gottes stärkt (Apg 2,1-13). Die Apostelgeschichte berichtet, dass die so Begeisterten die Türen aufreißen und Jesus Christus als den gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes verkünden (Apg 2,14-36).
Wie diese Szene zeigt, hat die Kirche ihren Ursprung an Pfingsten, als der Heilige Geist mutlose und verzagte Menschen in mutige Apostel für die Sache Jesu verwandelte. Dieser Geist ist es auch, der die Kirche im Glauben an Jesus Christus zusammenhält. Denn „keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet" (1 Kor 12,3). Die Kirche glaubt an den Heiligen Geist - sie drückt das in ihrem feierlichen Glaubensbekenntnis aus - , das bis auf den heutigen die vielen Millionen Menschen in diesem Glauben zusammenhält.
Alles, was an Gutem in dieser Kirche geschieht, ist Frucht des Heiligen Geistes. Paulus reiht ganze Tugendlisten auf, die die Früchte des guten Geistes Gottes beschreiben: „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung ... Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen. Wir wollen nicht prahlen, nicht miteinander streiten und einander nichts nachtragen." (Gal 5, 22-26)
Diese und viele anderen Gaben des Geistes Gottes sind nicht nur den Menschen vorbehalten, die in der Kirche leben und sich zu ihr bekennen. Überall dort, wo Liebe, Freude, Friede und all jene Verhaltensweisen und Tugenden anzutreffen sind, die die Menschen zu besserem und sinnerfüllterem Leben führen, da dürfen wir Gottes Geist am Werk vermuten.
Gottes Geist - so ist es die Überzeugung der Bibel ab den ersten Seiten - möchte die ganze Welt erfüllen. Schon vor Beginn alles Lebens schwebte der Geist Gottes über der Urflut (Gen 1,2). Gottes „ruach" (hebräisch: Wind, Lebenshauch) gibt allem, was auf der Erde lebt, von seinem Leben. Zöge Gott seinen Lebensatem von der Schöpfung ab, würde alles wieder zerfallen. Gott ist ein Gott des Lebens: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde. (Ps 104,30)
Doch nicht alles, was als Heil unter den Menschen verkündet wird, darf unbesehen als Frucht des Geistes deklariert werden. Denn die Menschen haben die Freiheit, andere zu täuschen, zu verführen oder zu manipulieren. Darum ist eine „Unterscheidung der Geister" notwendig. Eine Gabe des Geistes Gottes kann nur sein, was sich an der Würde und Freiheit des Menschen orientiert, was die von Gott geschenkte Schöpfung positiv gestaltet, was zu mehr Leben führt, was letztlich offen ist für eine Orientierung auf Gott hin.
Am Ende des Matthäusevangeliums wird berichtet, dass Jesus, bevor er zurück zu seinem Vater ging, den Jüngern den Auftrag erteilte, zu allen Menschen zu gehen, die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden und sie zu taufen „auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes". Diese Taufformel wurde zu einem kurzen und prägnanten Glaubensbekenntnis der Christen bis auf den heutigen Tag. Gläubige Christen sprechen dieses Bekenntnis vor oder nach ihren Gebeten, sie bezeichnen sich selbst und andere mit einem Kreuz, während sie diese Worte sprechen. In katholischen Kirchen sind sie eingeladen, am Eingang der Kirche sich mit Weihwasser zu bekreuzigen und an ihre eigene Taufe zu denken.
Im Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, kann eine besondere Gabe des Geistes deutlich werden. Augustinus versucht das Geheimnis der Dreifaltigkeit Gottes zu beschreiben, wohlwissend, dass das eigentlich unmöglich ist. Er versucht es, indem er den Heiligen Geist als die Liebe zwischen Vater und dem Sohn begreift. Gott ist kein einsamer Gott. Er ist Gemeinschaft, „communio" (lateinisch), zwischen Vater und Sohn - und das Band der Liebe zwischen beiden ist der Heilige Geist. Wo Menschen sich auf diesen Geist einlassen, da entsteht auch zwischen den Menschen jenes Band: „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist." (Röm 5,5)
Autor(en): Hubertus Brantzen