„Wir wollen nicht missionieren!" - Man hört und liest es allerorten: Ob in der Werbung für den neuen Rasierer, bei der Information über einen Kurs der Industrie- und Handelskammer, bei der Ankündigung einer Diskonacht der Jugendhilfe oder dem Internetauftritt einer Partei; Überzeugen - ja, aber nicht missionieren. Was für ein Gegensatz!? Sogar bei kirchlichen Angeboten steht immer wieder dieser Satz: „Wir wollen nicht missionieren!" Es klingt wie eine stete Entschuldigung. Aber für was eigentlich? Warum ist „missionieren" tabu? - Weil man mit „Mission" Feuer und Schwert verbindet? Weil man eine viel zu diffuse Vorstellung von „Mission" hat und deshalb Ängste weckt? Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich geniert vor dem Glaubenszeugnis, dem klaren Standpunkt, der da von einem verlangt wird. Es ist ja auch alles andere als bequem in einer Zeit und einer Gesellschaft, in der der Glaube immer mehr zur „reinen Privatsache" erklärt wird. Und jeder wird tausend gute Gründe finden, warum gerade er eigentlich nicht geeignet ist für diese Aufgabe - oder vielleicht gerade doch?
Es zieht sich wie ein roter Faden schon durch die Propheten-Berufungsgeschichten: „Ich? Ach nein, Herr, such' bitte einen anderen! Ich bin zu jung, nicht geeignet, nicht gut genug ausgebildet." (vgl. z.B. Jer 1,6f.) Damals wie heute. Und doch haben die Propheten ihre Mission übernommen, ihren Auftrag angetreten.
Die Mission (von lat. missio - Sendung) gehört zum Proprium der Kirche, ist spezifisch für das Christentum, ohne sie wäre das Christentum nicht denkbar. Denn ausgehend vom Auftrag Jesu, seinem „Missionsbefehl" (Mt 28,19; Mk 16 15b) hinaus in alle Welt und bis an die Enden der Erde, haben es Christen als ihre Aufgabe verstanden, anderen davon zu erzählen und weiterzutragen, was Gott mit seiner Schöpfung Gutes plant und will. Christliche Mission geschieht in der Nachfolge Jesu. Jesus selbst ist Gesandter und Sendender zugleich: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." (Joh 21,21) Gottes Heilswille ist universal, sagen die Theologen, d.h. Gott will eine gute Zukunft für alle Menschen und die ganze Erde, die er geschaffen hat. Jeder soll an diesem Heil teilhaben, seinen Beitrag leisten - und deshalb ist es wichtig, dass die Frohe Botschaft, das Evangelium, zu allen Menschen gebracht wird. Dazu braucht es Menschen, die sich in den Dienst nehmen lassen, die eine Mission, einen Auftrag, eine Sendung übernehmen; die so zu Missionaren werden.
Papst Benedikt formulierte das in seiner Botschaft zum Weltmissionstag 2009 so: „Die Kirche handelt nicht, um ihre Macht auszudehnen oder ihre Vorherrschaft durchzusetzen, sondern um allen Menschen Christus, das Heil der Welt, zu bringen. Wir wollen nichts anderes, als uns in den Dienst der Menschen zu stellen, vor allem der Notleidenden und Ausgegrenzten (...)".
Wer in diesem Sinn „missioniert", glaubt an das Gute im Menschen und an das Gute, das Gott mit den Menschen vorhat. Wer so „missioniert", sich ergreifen lässt und auf andere zugeht, der wird auch von dem etwas lernen wollen, den er mit seiner Botschaft erreicht. Dazu braucht es zuerst einen Lernprozess beim „Missionar" selbst, wie es der frühere Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, so treffend umschrieben hat: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe." Das ist also ein Perspektivwechsel - und befreit von einem Einbahnstraßen-Denken der Mission, wie es es - mit fatalen Folgen - auch schon in der Geschichte der Kirche gegeben hat. Wer das ernst nimmt, der nimmt den anderen ernst und der nimmt Gott ernst. Der wird deshalb niemanden zwingen, nötigen oder bedrängen, sondern vor allem durch sein eigenes überzeugtes Lebenszeugnis überzeugend sein.
Mission ist zuerst Zeugnis. Nur wer für eine Sache brennt und - im Wirtschaftsvokabular - „burning person" ist, kann mit dieser Begeisterung anstecken. Ein „Missionar" kann also zu seiner Mission selbst nicht gezwungen werden. Er kann nur geben, wenn er zunächst selbst empfangen hat. Und damit wird auch deutlich, dass Gott es ist, der sendet. Gott gibt die Gabe der Mission, er ist selbst am Werk - durch Menschenhand. So hängt der „Erfolg" letztlich auch nicht vom Menschen allein ab. Gott will das Gute. Er wird es vollbringen, wenn Menschen sich ihm anvertrauen und seinem Ruf folgen.
Aufgabe der Mission ist es nicht, bloß Interessierte zu rekrutieren und Statistiken zu füllen, sondern die Herzen zu erreichen: Wo bereichert der Glauben den Alltag, und welche befreiende und froh machende Botschaft (=Evangelium) hat er für den Einzelnen zu bieten? Es „wird der Bedarf deutlich, neu auf Menschen zuzugehen, sie in ihren heutigen Fragen ernst zu nehmen, die Botschaft Gottes in ihre Lebensspuren hineinzubuchstabieren. Dazu braucht es neue Energie, nicht zuletzt den notwendigen missionarischen Aufbruch", hat es Kardinal Lehmann einmal gesagt. Das ist täglich neu eine Herausforderung in unserer Zeit.
Die Verkündigung lebt von einem aktiven Glaubenszeugnis im Leben und der Weggemeinschaft im Glauben: ein Zeugnis in Wort und Tat: karitativ, entwicklungsfördernd, erzieherisch, humanitär - kurz: menschenfreundlich. Deshalb gehört zu einer „Missionsstation" - etwa in Afrika - schon immer neben der Kapelle auch das Krankenhaus und die Schule. Der Mensch in seiner Ganzheit mit Leib und Seele ist dabei das Ziel des göttlichen Heilsplanes und deshalb auch das Ziel von jeder Mission, hat Papst Johannes Paul II. in seiner Antritts-Enzyklika „Redemptor hominis" vom 4. März 1979 geschrieben: „Alle Wege der Kirche führen zum Menschen" (Nr. 14).
Jesus hat seine Jünger so zu Menschenfischern gemacht: Sie haben gesehen und geglaubt. Sie waren mit ihm unterwegs und haben ihn gehört. Sie haben das weitererzählt, was sie vom Glauben verstanden haben und was sie berührt und verändert hat. Sie haben sich schicken lassen, in Dienst nehmen lassen und senden lassen. Sie waren bereit und haben vertraut. Und deshalb wurden die Netze voll. In Jesu Nachfolge haben die Apostel den Glauben weitergetragen, mutige Glaubenszeugen durch alle Jahrhunderte: So hat auch und gerade der Heilige Bonifatius den Glauben und das Evangelium weitergetragen und wurde zum „Apostel der Deutschen".
Mission lebt vom Ruf Gottes an alle Menschen und dem Mitwirken der Menschen an seinen Plänen. Dabei ist immer Gott derjenige, der die erste Initiative ergreift. Er beruft Menschen. Er ist am Werk, wenn Mission gelingt. Mission führt im wahrsten Sinn des Wortes hinaus in alle Welt, sie hat einen Weltbezug und ist das Zeichen der Zuwendung Gottes zur Welt. Mission ist nicht Sache der „Experten" allein: der Kleriker, der Geweihten, der Ordensleute. Sie ist Sendung für jeden Gläubigen, in seinem Umfeld von Gottes Menschenfreundlichkeit Zeugnis zu geben: mit Wort und Tat sich einzusetzen für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.
Ich - ein Missionar? Ein Mensch mit einer Sendung, einem Ruf? Wo erkenne ich den Ruf Gottes in meinem Leben? Vertraue ich ihm? Welche Chance gebe ich ihm mit seinem Ruf in meinem Alltag? Habe ich offene Augen und Ohren dafür? Lasse ich mich rufen - und senden?
Auch wenn es schwer fällt und der Kopf mit tausend Gründen dagegen hält: Wer sich Gott anvertraut, mit ganzem Herzen, der kann ergriffen und entflammt werden, der kann gesendet werden, als „burning person" für den Glauben. So verstanden ist Mission nicht „Feuer und Schwert", das bleibt Menschenwerk - und wird scheitern. Es geht um „Feuer und Flamme" für den Glauben, weil dort der Geist wirkt: Wer auf Gott vertraut, dem wird der Rest dazugegeben: Die guten Worte, die guten Gedanken, die Sprache und Stimme: das Fischernetz des Glaubens. Das ist die christliche Zuversicht gegen alle Zweifel und Um- und Abwege. Das sprengt menschliche Maßstäbe von Erfolg und Misserfolg, von Gewinnen und Versagen, denn „Gott ist größer als unser Herz" (1 Joh 3,20). Gott ruft uns auch heute, um uns zu senden - jeden auf seinen persönlichen Weg. Und Gott ist am Werk: Durch seinen Heiligen Geist. Mit Seiner Hilfe. Mit Seinem Segen.
Autor(en): Michael Kinnen