Offenbarung -

das Verborgene sehen

Engel (c) sensum

kurz:

Offenbarung

Theologisch bezeichnet man als Offenbarung eine Selbstkundgabe Gottes an die Menschen. Der Mensch ist in seinem Geschaffensein zwar ganz auf Gott als seinen Schöpfer verwiesen, doch bleibt ihm Gott in dessen innerstem Sein und Wesen unzugänglich und verborgen. Nur Gott selbst kann sich deshalb den Menschen kundtun. Offenbarungen sind insofern für alle Religionen wesentlich.

Die Kirche anerkennt Zeugnisse echter Offenbarungserfahrungen bei den verschiedenen Völkern und zu allen Zeiten. Ihren eigentlichen Sinn findet diese allgemeine Offenbarungsgeschichte jedoch erst in der Geschichte des Alten und des Neuen Bundes. Hier wird deutlich: Gott teilt sich den Menschen mit, um diese zur Gemeinschaft mit sich zu führen. In schlechthin unüberbietbarer Weise vollendet sich dieses göttliche Offenbarungshandeln in der Person Jesu Christi. In ihm wird Gott selbst - in seinem ewigen Wort - in der Geschichte der Menschen real gegenwärtig, um den Menschen Anteil an seinem Sein, d.h. innigste Lebensgemeinschaft mit sich, zu gewähren.

ausführlich:

Offenbarung

Obwohl wir in unserer ganzen Existenz zutiefst auf Gott als unseren Schöpfer verwiesen sind, bleibt uns doch als endlichen Menschen Gott in seiner unendlichen Wirklichkeit unzugänglich und verborgen. Konkret: Als Menschen fragen wir uns immer schon, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Fragend greifen wir damit über die Grenzen unserer endlichen und vielfach bedingten Wirklichkeit hinaus auf etwas Unbedingtes, Absolutes, das unserem Leben Sinn und Halt zu geben vermag. Zugleich aber sind wir aufgrund unserer begrenzten Erkenntniskraft  nicht fähig, den genauen Sinn dieses Absoluten zu erfassen. So erfahren wir uns gleichsam in ein unbegreifliches Geheimnis hinein verwiesen, von dem wir selbst nicht sagen können, ob es absolute Fülle oder absolute Leere sei. Eine Erschließung dieses Absoluten ist uns folglich nicht aus eigener Kraft, sondern nur von diesem selbst her möglich, sofern dieses sich uns selbst erschließt, sich uns selbst als die absolute Fülle kundgibt. Der theologische Begriff der „Offenbarung" meint genau diese Selbstkundgabe oder Selbsterschließung des absoluten göttlichen Geheimnisses an die Menschen.

Das göttliche Geheimnis erschließt sich uns jedoch niemals direkt, sondern immer nur vermittelt durch bestimmte weltliche Erfahrungen: Äußerlich betrachtet sind es ganz weltliche, an sich jedermann zugängliche Erfahrungen, in und an denen uns gleichsam ein Licht aufgeht, plötzlich das Ganze der Wirklichkeit neu erscheint, sich uns ein neuer Horizont eröffnet. Dies kann geschehen, wenn wir etwa die Schönheit der Natur bewundern, unser Leben unerwartet eine neue Wendung nimmt, Ereignisse der Geschichte über uns hereinbrechen oder wir anderen Menschen begegnen. Wir vermögen dann in diesen Begebenheiten mehr als etwas bloß Weltliches zu sehen, sie werden uns zu Zeichen und Symbolen des darin sich eröffnenden göttlichen Geheimnisses. Die Theologie spricht mit Blick auf solche Erlebnisse auch von einer ‚indirekten‘ Erfahrung, d.h. von einer Erfahrung, die der Mensch unwillkürlich an und mit bestimmten weltlichen Erfahrungen macht und in der sich ihm das Geheimnis Gottes als die alles bestimmende Wirklichkeit erschließt. Solche Erschließungserlebnisse gibt es in großer Vielfalt. Sie können für den einzelnen mitunter lebenswendend sein, während sie für andere unzugänglich bleiben. Daneben gibt es auch solche Erlebnisse, die über den unmittelbar Betroffenen hinaus auch andere Gläubige gleichsam in ihren Bann zu ziehen vermögen - worauf etwa bestimmte Formen der Heiligenverehrung oder auch die Bedeutung mancher Wallfahrtsorte hinweisen.

Derartige Erschließungserlebnisse im Sinne echter Offenbarungserlebnisse erkennt die Kirche auch für den Bereich der nichtchristlichen Religionen an. Das II. Vatikanische Konzil erklärt, dass sich „von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen ... bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht [findet], die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist". Die Kirche betrachtet deshalb „mit aufrichtigem Ernst" die Äußerungen dieser Religionen, „die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet" (Nostra Aetate 2).

Für Christen findet diese allgemeine Offenbarungsgeschichte ihre Eindeutigkeit und ihren Sinn jedoch erst in der besonderen Geschichte Gottes mit den Menschen, die mit der Berufung Abrahams anhebt und in Jesus Christus, dem menschgewordenen Wort Gottes selbst, ihre abschließende Vollendung erfährt. In dieser Geschichte lädt Gott zur Gemeinschaft mit sich, indem er sich selbst den Menschen in „Tat und Wort" (II. Vatikanisches Konzil), d.h. durch geschichtliche Ereignisse und deren Deutung durch berufene Mittler, etwa die Propheten, kundtut. Was sich in dieser Geschichte zunächst vielfach und in vielfältiger Weise ereignet, erfüllt sich schließlich in schlechthin unüberbietbarer Weise in der Person Jesu Christi: Jesus Christus ist die Offenbarung Gottes in Person. Indem er sich als Mensch in schlechthin einzigartiger Weise ganz auf Gott hin öffnet, d.h. Gott in seinem gesamten Leben und Wirken restlos Raum gibt, kann in ihm Gott selbst - in seinem ewigen Wort - in der Geschichte der Menschen real gegenwärtig werden. Gerade in der personalen Begegnung mit Jesus Christus, mit seinem Werk und seiner Botschaft, die durch das Wirken seines Geistes im Zeugnis der Kirche gegenwärtig bleiben, erschließt sich uns deshalb das göttliche Geheimnis endgültig und unüberbietbar: als der liebende Vater, der die Nähe der Menschen sucht und sie in die innigste Gemeinschaft mit sich einlädt.

Das II. Vatikanische Konzil beschreibt genau diesen Sachverhalt unter Bezugnahme auf das Bekenntnis zum Dreieinen Gott: „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren ...: damit die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur" (Dei Verbum 2). Hier wird deutlich: Das christliche Verständnis der Offenbarung als realer Selbstmitteilung Gottes an die Menschen zur Gemeinschaft mit ihm setzt notwendig das Bekenntnis zum Dreieinen Gott voraus. Oder umgekehrt: Das Bekenntnis zum Dreieinen Gott ist die allein adäquate Entfaltung des spezifisch christlichen Verständnisses der Offenbarung.

Autor(en): Norbert Witsch