Ein Bild, das in Erinnerung blieb: Beim Weltjugendtag 2005 in Köln und bei den anderen Weltjugendtagen in aller Welt standen Schlangen vor den „Mobilen Beichtstühlen". Und für die Mobiltelefone gibt es jetzt auch ein „Beicht-App" zur Vorbereitung - das ging durch die Medien. Aber dennoch: Die Beichtstühle in den Kirchen sind oft leer. Die Schlange davor? - Fehlanzeige. Zu schlecht ist vielleicht noch die Erinnerung an die „Massenabfertigung" - vor vielen Jahren, etwa bei der Erstkommunion, als man jahrgangsweise zum Beichten antreten sollte. Da hat man vielleicht sein Zettelchen mit den „Sünden" runtergelesen und war dann schnell wieder weg - erleichtert, dass man es hinter sich hatte - und ward nicht mehr gesehen. Aber das ist ja nicht Sinn der Beichte - und heute auch nicht mehr Praxis. Es geht nicht um ein kleinkariertes Abhaken irgendwelcher Verfehlungen. Es geht vielmehr darum, für „klare Verhältnisse" zu sorgen: zwischen Mensch und Mitmensch, zwischen Einzelnem und der Gemeinschaft, zwischen Mensch und Gott.
Was die Kirchenväter, Theologen der ersten Jahrhunderte, „die sieben Laster" nannten, hat bis heute nichts an Aktualität verloren: Stolz, Habsucht, Neid, Zorn, Unkeuschheit, Unmäßigkeit, Trägheit oder Überdruss: Ein neidischer Blick auf das neue Auto des Nachbarn oder ein Fluchen, weil schon gleich nach dem Aufstehen scheinbar wieder alles schief geht - das ist nur allzu menschlich und gehört zum Leben. Aber Neid oder Zorn vergiften den Menschen auch, sodass er nichts mehr anderes sieht und gelten lässt als sich selbst. Und dann ist der Weg frei hin zu einer „Todsünde", die dem Menschen das Leben abschnürt: „Vom Teufel versucht, ließ der Mensch in seinem Herzen das Vertrauen zu seinem Schöpfer sterben. Im Ungehorsam gegen ihn wollte er ‚wie Gott' sein (Genesis 3, 5), aber ohne Gott und nicht Gott gemäß", schreibt das Kompendium des Katechismus (Nr. 75).
Sünde, das ist nicht nur eine Tat, ein Ereignis, ein Moment. Sünde, das meint in der Theologie vor allem auch einen Zustand: Dass der Mensch sich selbst an erste Stelle setzt, Gott seinen Platz streitig macht und sich selbst für das Maß aller Dinge hält. Wo kein Platz für Gott mehr ist, da lebt der Mensch in Gottferne. Er kann Gott nicht ausschalten oder wegschieben. Er kann nur für sein Leben entscheiden, dass er scheinbar ohne Gott leben will. Das ist die Möglichkeit der Freiheit, aber auch ein Weg, die Freiheit zu missbrauchen. Das meint die Sünde: eine willentliche Entscheidung gegen Gottes Ordnung. So ist auch die „Ursünde" von Adam und Eva in den biblischen Zeugnissen nicht ein historisches Ereignis, sondern der Zustand: die Selbstüberhebung. Und die setzt sich in den Menschen fort - bis heute.
Aber Gott lässt den Menschen nicht allein: „Gott schaut nicht zu, wie der Mensch durch die Kettenreaktion der Sünde nach und nach sich selbst und seine Mitwelt zerstört. Er schickt uns Jesus Christus, den Retter und Erlöser, der uns der Macht der Sünde entreißt", formuliert der Jugendkatechismus „YouCat". Wenn Jesus Christus, der menschgewordene Gottessohn, für unsere Sünden gestorben ist (à Erlösung), so hat er damit den Zustand der Gottferne aufgehoben, er hat die Schöpfungsordnung wiederhergestellt, indem er den Graben aufgeschüttet hat, den der Mensch zwischen sich und Gott gegraben hat: Er begegnet als Mensch den Menschen auf Augenhöhe und bleibt doch ganz Gott. Jesus hat in seiner Menschwerdung ein für allemal die Verbindung zwischen Gott und Mensch bestärkt, erneuert und gefestigt.
Und doch entdecken wir um uns herum eine „sündige Welt", wir sind selbst Teil davon und tragen dazu bei, dass es Leid und Unrecht gibt, wie sie Gott nicht gefallen. Doch kann die Welt nicht in sich schlecht und sündig sein; sie bleibt Gottes gute Schöpfung. Durch menschliches Versagen und Sünde wird das Gute der Welt verdeckt und vernebelt, es kann es aber nicht auslöschen. Zu stark ist der Wille Gottes, die Welt mit sich zu versöhnen, immer wieder neu - besiegelt und verbürgt durch die Heilstat Christi.
Die Kirche hat diesem Versöhnungswillen Gottes im Sakrament der Versöhnung, in der Beichte und der sakramentalen Lossprechung, einen erfahrbaren Ort gegeben. Durch ihren Dienst spricht die Kirche dem Menschen den Zuspruch Gottes zu, indem sie nach dem Herrenwort „wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben" (Joh 20,23) in seinem Auftrag handelt.
Kann man also die Sünde wegwaschen, sich quasi eine Weiße Weste „besorgen", wenn man gebeichtet hat? Ist die Schuld dann weg und wieder alles in Ordnung? Vielleicht kann da eine Alltagserfahrung weiterhelfen: Der Satz „Entschuldigen Sie bitte!" - Er klingt fast so ein bisschen wie ein dahingesagtes „Sorry". Schnell gesagt und vielleicht schnell wieder vergessen. An der Situation ändert sich nichts. Wirkliche Schuld und wirkliche Ent-Schuldigung ist doch etwas anderes. Wenn ich nachlässig oder gar bösartig bin und so einem anderen schade, wenn ich absichtlich eine Hilfe verweigere oder jemanden in eine Falle laufen lasse. Dann ist das Schuld, die nicht mit einem bloßen „sorry" beantwortet werden kann. Wenn ich da merke, dass etwas schief gelaufen ist, ich schuldig geworden bin und es mir selbst im wahrsten Sinn des Wortes Leid tut, dann um „Ent-Schuld-igung" zu bitten: Das tut gut - in der guten Absicht, es beim nächsten Mal nach Kräften besser zu machen und den eigenen Fehler ernst zu nehmen. So kann ich lernen. Dazu muss ich zunächst meinen Fehler erkennen und bereuen - und dann meiner Einsicht auch konkrete Taten folgen lassen, zumindest aber versuchen, es künftig besser zu machen. Und das wichtigste: mein Gegenüber muss mich ent-schuldigen, das kann ich ja nicht selbst tun. Das tut er, wenn er merkt, dass ich es ernst meine und eben keine Floskel benutze.
So ist es auch mit der Sünde, die die Ordnung Gottes in Unordnung gebracht hat. Durch die Sühne und die Ent-Schuld-igung wird das Verhältnis zwischen Mensch und Mitmensch geklärt, um die Gemeinschaft wieder herzustellen; es braucht aber auch die Klärung des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott, gegen dessen Ordnung der Mensch sich in der Sünde gestellt hat.
Die Kirche kennt dazu das Sakrament der Buße und Versöhnung. „Die Wirkungen des Bußsakramentes sind: die Versöhnung mit Gott und folglich die Vergebung der Sünden; die Versöhnung mit der Kirche; die Wiedererlangung des Gnadenstandes, falls er verloren war; der Erlass der durch die Todsünden verdienten ewigen Strafe und der wenigstens teilweise Erlass der zeitlichen Strafen, die aus der Sünde folgen; der Friede und die Ruhe des Gewissens und der geistliche Trost; das Wachstum der geistlichen Kräfte für den christlichen Kampf", schreibt das Kompendium des Katechismus dazu.
„Buße" und „Versöhnung", „durch Todsünden verdiente ewige Strafen" und „christlicher Kampf" - das mag vielleicht altmodisch klingen, ist aber wohl aktueller als gedacht: Friede und Ruhe des Gewissens, das kennt jeder, vor allem, wenn sie nicht da sind. Manchmal haben diese Erfahrungen vielleicht anderen Namen, meinen aber dasselbe.
So gehört zur sakramentalen Lossprechung bei der Beichte immer auch die Sühne und die Auflage, das begangene Unrecht nicht nur zu bedauern, sondern es auch nach besten Kräften wieder in Ordnung zu bringen, soweit das noch möglich ist.
Viel mehr kann der Mensch nicht tun. Weniger aber reicht auch nicht. Der Rest ist Gottes Gnade und sein Wille zur Versöhnung mit seiner geliebten Schöpfung Mensch: In diesem Glauben und Vertrauen kann jeder immer wieder neu den Anfang wagen, der in dem Bekenntnis vor der Eucharistie ausgedrückt wird: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!" (vgl. Matthäusevangelium, Kapitel 8, Vers 8).
Die Aufgabe der Kirche ist, den Menschen immer wieder in seiner Gottesbeziehung zu stärken, ihm Orientierung zu geben und ihn zu begleiten. Selbst Gott spielen wollen kann nicht gut gehen, so erfolgreich das zunächst vielleicht oberflächlich aussieht. Auf Dauer führt es in die Verirrung. Das braucht eine Klärung. Da verhilft ein Umdenken zu einer neuen Nähe zu Gott - das ist die „Vergebung der Sünden", die Christen im Credo, dem Glaubensbekenntnis bekennen und erhoffen, wenn sie beten: „Ich glaube ... Vergebung der Sünden und das Ewige Leben".
Autor(en): Michael Kinnen