Als im Rahmen einer Talkshow eine Ordensfrau dem Talkmaster Frank Elstner berichtet, dass in ihrem Kloster Teilnehmer an Wellness-Kursen aus eigener Kraft und mit intensiver Konzentration 500 kg schwere Steine bewegen können, da ruft dieser begeistert aus: „Das ist ja ein Wunder!“
Als die Gleitschirmfliegerin Ewa Wisnierska in Australien einem Flug zur Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft durch einen Gewittersturm in fast 10 km Höhe gewirbelt wird, wo 50 Grad Kälte und extrem dünne Luft herrschen und sie diese, für Menschen eigentlich tödlichen Bedingungen, mit leichten Erfrierungen überlebt, spricht sie selbst und alle Radio- und Fernsehsender von einem „großen Wunder“. Tragisch dagegen endete der Trainingsflug für einen 42 Jahre alten Gleitschirmpiloten aus China. Er kommt in dem Sturm ums Leben.
Nur wer alles kann, ist wirklich Gott. Allerdings weiß man bei einem solchen „allmächtigen“ Gott nicht, ob er das, was er alles kann, auch tatsächlich tut. Diese nur mögliche Allmacht Gottes führt zu einem schwierigen Wunder- und Gottesverständnis. Immer dann, wenn wir ein Ereignis nicht verstehen, wird daraus ein Wunder und außerdem wird das Handeln Gottes undurchschaubar und willkürlich. Letztlich sind dabei das Wunder und Gott zu einem Lückenfüller des menschlichen Unverständnisses geworden.
Im christlichen Glauben aber wendet sich Gott mit seinem Wort an die Menschen als der „in allem Mächtige“ – sollte er da wirklich unverstanden bleiben wollen und in seinem Handeln willkürlich erscheinen? Ein Gott, der seine eigene Schöpfung korrigieren müsste, wäre nur potentiell allmächtig. Und schließlich, wenn die Wunder als beweiskräftiger Beleg für die Allmacht Gottes angeführt werden, was bleibt dann noch zu glauben?
Das Neue Testament durchzieht die Forderung nach Zeichen als eine Forderung an Gott, doch in seiner Offenbarung deutlicher zu werden. Gott hat aber in Jesus Christus am Kreuz das deutlichste Zeichen gegeben, er hat sich selbst offenbart. Man darf sich also nicht hinstellen und fordern: „Wenn du der Sohn Gottes bist, hilf dir selbst und steige herab vom Kreuz“ (Mt 27,40). Die Gottessohnschaft Jesu überspringt nicht sein Menschsein. Wäre Jesus die Gottessohnschaft außerhalb des Glaubens anzusehen gewesen, wäre er nicht gekreuzigt worden.
Dass es sich bei Jesus nicht um einen Übermenschen mit „übernatürlichen“ Wunderfähigkeiten gehandelt hat, sondern um einen Menschen „in allem uns gleich, außer der Sünde“ (Konzil von Chalcedon, 451 n. Chr.) wird in der Christenheit schon sehr früh festgestellt. Jesu „wahres Gottsein“ wirkt sich auf sein „wahres Menschsein“ in nichts anderem aus, als dass er ohne Sünde ist. Jesus weiß sich so in der Liebe Gottes geborgen, dass er nicht mehr aus der Angst um sich selbst leben muss, die die Ursache aller Sünde ist.
Jesus selbst wendet sich gegen Zeichenforderungen: „Diese böse und treulose Generation fordert ein Zeichen, aber es wird ihr kein anderes gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jona“ (Mt 12,39). Es scheint geradezu eine „teuflische“ Versuchung zu sein, von Jesus zur Bestätigung seiner Macht und Gottessohnschaft, Wunder zu fordern: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird“ (Mt 4,3f. vgl. Lk 4,3f.) Jesus verweist darauf, dass das eigentliche Wunder das Wort Gottes ist, von dem her alles lebt und in dem sich Gott als in allem mächtig erweist. Ein Glaube, der Wunder fordert, ist eigentlich Unglaube (vgl. Joh 4,48). Dies ist die Illusion, Gott in der Welt „auf frischer Tat zu ertappen“, ihn nach menschlichen Maßstäben zu beurteilen und so in die gleiche Evidenz zu zwingen, die zwischen Menschen gilt. Nach Jesu Sicht verhält es sich aber so: die ganze Welt und alles was in ihr geschieht, ist die Schöpfung Gottes, d. h. sein Handeln und Eingreifen. In allem, worin sich „Himmel und Erde“ vom Nichts unterscheiden, sind sie so, dass sie ohne Gott nicht sein können. Gott greift genau in dem Maß in seine Schöpfung ein, insofern sie ohne ihn überhaupt nicht wäre. Er zeigt sich nicht bloß potentiell mächtig, sondern als mächtig in allem, was geschieht.
In der traditionellen Theologie versteht man unter einem Wunder: „Ein sinnenhaftes Geschehen, außerhalb des natürlichen Laufes der Dinge, von Gott gewirkt“. Ein Wunder muss also mit den menschlichen Sinnen von allen Menschen wahrnehmbar sein. Dass es „außerhalb des natürlichen Laufs der Dinge“ liegt, besagt nicht, dass die Naturgesetze aufgehoben werden. „Natur“ bedeutet in der Theologie alle „geschaffene Wirklichkeit“. Ein Wunder kann nur ein Ereignis sein, das sich nicht durch ein reguläres oder irreguläres Weltereignis begründen oder widerlegen lässt. „Von Gott gewirkt“ meint schließlich, dass in einem solchen Ereignis Gott selber gegenwärtig ist und sich mitteilt. Gottes Präsenz und Selbstmitteilung kann man nicht anders als im Glauben gerecht werden.
Nur das „Wort Gottes“ in der Verkündigung der christlichen Botschaft erfüllt diese drei Bedingungen des Wunders. Es handelt sich um eine sichtbare und hörbare Wirklichkeit, also ein „sinnenhaftes“ Geschehen für alle. Der Inhalt dieses Wortes, dass wir nämlich in die Liebe Gottes aufgenommen sind und mit ihm Gemeinschaft haben, ist weder aus dem „natürlichen Lauf der Dinge“ abzuleiten, noch lässt es sich mit irgendeiner geschaffenen Wirklichkeit, nicht einmal mit dem Tod, widerlegen. Dass es sich hierbei um Gottes Präsenz und Selbstmitteilung handelt, der sich im zwischenmenschlichen Wort mitteilt, ist anders als im Glauben nicht zu erfahren. Ein Wunder muss dann auch die Bildung der Gemeinschaft der an das „Wort Gottes“ Glaubenden genannt werden. Die Kirche ist nicht „eingebildet“, sondern ein reales Geschehen in der Welt. Ihre Entstehung ist nicht in einem historischen oder kulturellen Programm begründet. Man kann sie zwar historisch beschreiben, aber endgültig wird man, durch alle Äußerlichkeiten hindurch, ihr nur im Glauben gerecht. Ein Wunder muss dann zu guter Letzt auch alles aus dem Glauben folgende selbstlose Handeln des Menschen genannt werden. Wo Menschen nicht mehr aus der Angst um sich selbst heraus leben, werden ganz reale zwischenmenschliche Auswirkungen spürbar. Selbstlosigkeit liegt nicht in der Natur des „Fressens und Gefressenwerdens“ dieser Welt. Nur im Glauben geht uns auf, dass eine solche Selbstlosigkeit, die sogar bereit ist das eigene Leben für andere zu geben, letztlich in einer Geborgenheit begründet ist, die nur Gott allein schenken kann. Wunder können von jedem Mensch in der Nachfolge Jesu vollbracht werden (vgl. Joh 14,12). In diesem Sinne sind das Wort Gottes, die Kirche und das selbstlose Handeln die wirklichen Wunder. Andere sollten wir nicht erwarten, denn andere und größere gibt es nicht.
Autor(en): Eckhard Türk