das Böse -

erschreckend und faszinierend

das Böse

kurz:

das Böse

Das Böse macht uns Menschen schaudern, es zieht uns aber auch in seinen Bann und fasziniert uns: Denken wird nur an den Massenmörder in Kriminalroman und Kinothriller, die ungebrochene Faszination für Krieg und Terrorismus in allen Medien oder die vielfältigen Formen von Satanismus in verschiedener Jugendkulturen. So sind in der kollektiven Erinnerung der furchtbaren Ereignisse vom 11. Septembers 2001 nicht etwa die Bilder von den unzähligen Helfern, sondern die von den Einschlägen der beiden Passagierflugzeuge in die Türme des World Trade Centers allgegenwärtig, sicher auch, weil in den Silhouetten der Flugzeuge, die sich den Hochhäusern wie große Vögel nähern, das unfassbar Böse greifbar vor unseren Augen steht.

ausführlich:

Was aber ist dieses Böse?

In der abendländischen Tradition von Judentum und Christentum wird das Böse als Gegenmacht zum Guten und damit auch zu Gott selbst verstanden. Dabei erscheint es auf den ersten Blick als konkurrierendes, gleichberechtigtes Prinzip neben dem Guten. So gilt die berühmte Formel des „Mysterium tremendum et fascinans“, die der Religionswissenschaftler Rudolf Otto ursprünglich für die Erfahrung des Heiligen gefunden hat, sicher auch für das Böse: Es macht uns zitternd („tremendum“) und ängstlich, es fesselt und fasziniert („fascinans“) aber auch.

Auf den zweiten Blick verhält es sich aber anders: Da Gott gemäß der jüdisch-christlichen Überlieferung der Schöpfer der gesamten Schöpfung ist, müssen ihm auch das Böse und die Personifikation des Bösen, in der Bibel Satan oder Teufel genannt, als Geschöpfe untergeordnet sein. Zwar erscheint der Teufel im Alten und Neuen Testament als Widersacher und Gegenspieler Gottes – so etwa im Prolog des Buches Hiob (Iob 1,6-12) oder bei der Versuchung Jesu in der Wüste (Mt 4,1-11), doch muss auch er als Geschöpf Gottes (in Iob 1,7 wird er als einer der „Gottessöhne“ bezeichnet) sich in den göttlichen Heilsplan fügen. Gott ist also der Herrscher über das Böse wie über den Bösen. Wenn Gott nun gut und allmächtig ist, stellt sich die Frage, warum er das Böse in seiner Welt zulässt und ihm Raum und Gestalt gibt. Diese grundsätzliche Anfrage an den Zustand der Schöpfung und die Beschaffenheit Ihres Schöpfers wird in der Theologie „Theodizee“ genannt (-> Theodizee).

Warum lässt Gott also dem Bösen Raum in seiner Schöpfung? Eine klassische Antwort auf diese sogenannte Theodizee-Frage findet sich bereits in der Bibel (Gen 3): Gott will dem Menschen die Freiheit geben, entweder gemäß oder aber gegen Gottes Weisung handeln zu können. Die Verfasser des Buches Genesis kleiden diese Wahrheit in den Mythos vom Sündenfall, in dem Adam und Eva von Gott verboten wird, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Sie tun es aber trotzdem, weil sie wissen wollen, was gut und böse ist. Mit der Übertretung des göttlichen Gebotes erkennen sie zwar das Böse, aber nur weil sie es selber in die Schöpfung hineintragen. Von nun an konkurrieren das Gute und das Böse um die Gefolgschaft des Menschen, zeigt sich in der Schöpfung das Ringen von Gott und Teufel um den Menschen und sein Heil. Dennoch bleibt Gott der Souverän in diesem Kampf, denn die Möglichkeit des Bösen durch die Versuchung des personifizierten Bösen ist ja ein Werk Gottes, der dem Menschen die Freiheit der Entscheidung geben will.

Der Kirchenvater Augustinus (354-430 ) hat in seiner bis heute das christliche Verständnis prägenden Interpretation des Sündenfall-Mythos die Struktur der ‚Ursünde’ von Adam und Eva auf das alltägliche Handeln des Menschen übertragen: Das Böse entsteht überall da, sagt Augustinus, wo Menschen sich nicht auf Gott und das Gute hin ausrichten, sondern sich auf sich selbst und ihre Neigungen hin „verkrümmen“ („ incurvatio in se ipsum“). Wo Menschen Gott aus dem Blick verlieren – dies für Augustinus die eigentliche „Sünde“, aus der Böses erst entsteht –, besteht die Gefahr, dass sie in ihrer Freiheit für das Böse votieren und diesem damit Raum in der Welt geben.

Damit ist aber nur ein Aspekt der Theodizee-Frage beantwortet, nämlich die nach Ursprung und Sinn des Bösen, das aus der Freiheit des Menschen entsteht (das sogennante „Malum morale“ -> Theodizee). Wie aber verhält es sich mit dem Bösen, das wir offensichtlich in der Schöpfung vorfinden und erfahren (das sogennante „Malum physicum“ -> Theodizee): Warum lässt Gott das Böse in Form von Naturkatastrophen, Epidemien und ungeschuldeten Unfällen zu?

Eine Erklärung dieses natürlichen Übels ist die Vorstellung, dieses Böse ergebe sich als nicht vermeidbare Konsequenz aus der Regelmäßigkeit der Naturgesetze, deren Ablauf die Schöpfung unterliegt und von denen der Mensch in der Regel bei seiner Lebens- und Wirklichkeitsgestaltung profitiert. Insofern ist diese Form des Bösen eigentlich gar nicht grundsätzlich „schlecht“ oder „negativ“, sondern in einem Kontext für bestimmte Personen lediglich „weniger gut“ als andere „gute“ Ereignisse oder Konstellationen. Seit Augustinus wird dieses Modell als „privatio“ (lat. wörtlich „Beraubung“) bezeichnet, klassisch übersetzt als Ermangelung. Das Böse in der Schöpfung ist also nur ein Mangel an Gutem. Dieser Mangel wird seit Lessing als „malum metaphysicum“, also als ein über (griech. „meta-“) der gesamten Wirklichkeit (griech. „physika“) wirkendes Übel bezeichnet.

Wer Böses erfährt, sei es als Folge der Taten anderer Menschen, als körperliches Leiden oder durch eine als schädlich und schmerzhaft erfahrene Konstellation im eigenen Leben, dem werden theoretische Modelle philosophischer oder theologischer Natur allerdings wenig Trost geben können. Vielleicht können aber exemplarische Gestalten in den Texten der Bibel eine Ahnung und Anregung geben, was es heißt, das Böse zu erdulden ohne an der Güte Gottes zu zweifeln. So wie Hiob im Staub und Jesus von Nazareth am Kreuz.

Autor(en): Clauß Peter Sajak