Der Marienaltar

Autor: Alfred J. Gahlmann für die Festschrift zum 100. Jubiläum

 

Zur großen Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 war ein besonderer deutscher Beitrag geplant, der aller Welt die hohe Kunst der Gotik repräsentieren sollte. Der Auftrag ging an die Bildhauer- und -schnitzwerkstatt Jakob Busch in Steinheim, wo der Altar in den Jahren 1896 - 1899 geschaffen wurde.

Das meisterliche Werk war nur teilweise eine selbständige Arbeit. Sein Vorbild war der Schnitzaltar „die hl. Sippe“ aus der Riemenschneider-Schule (um 1510); ursprünglich wohl in Creglingen beheimatet, wurde dieser Altar 1896 durch den Kunsthändler und Bruder des Bildschnitzers - Georg Busch -  vom Hessischen Landesmuseum erworben, seither ebenda ausgestellt.

Vergleich Marienaltar und sein Vorbild (c) St. Elisabeth

Der von Jakob Busch geschaffene Altar wurde 1901, nach der Weltausstellung, von Dekan Dr. Friedrich Elz, dem damaligen Pfarrer von St. Ludwig, für 5.000 Mark für die Elisabethkirche in Darmstadt erworben. Erwähnenswert ist, daß der Altar noch einen „Doppelgänger“ hat, der in Babenhausen steht.

Der Marienaltar (c) St. Elisabeth

Am Anfang stand er im Seitenschiff vor der Sakristei, rechts neben dem Hochchor – dort war die ursprüngliche „Marienkapelle“ (die heutige Kapelle gleichen Namens ist die ehemalige „Oberkirche“ im Obergeschoß der Kirche; sie hatte ehedem eine andere Funktion).

Diese Ur-Marienkapelle war 1944 nur relativ leicht beschädigt worden; dadurch blieb der dortige „Marienaltar“ - auf einem gemauerten und gotisch verzierten Grundaltar - fast vollständig erhalten; er wurde in den 70er Jahren sorgfältig von Frau Gertrud Myrczik restauriert und anschließend auf den mächtigen Hauptaltartisch gestellt.

Dieser war „frei“, weil der figurenreiche große Hauptaltar (mit Tabernakel) auf den Stufen des Hochchores im Bombenhagel von 1944 weitgehend zerstört wurde. Nur wenige Figuren und Halbfiguren sowie die zwei Außen-Tafeln im Halbrelief überlebten.

Diese wurden nach Renovierung links und rechts vom jetzigen Hauptaltar im Hochchor aufgehängt; dargestellt sind auf der rechten Tafel - im Uhrzeigersinn von oben links: Abendmahl, Kreuzigung, Abrahams-Opfer, Opfer des Melchisedek, auf der linken Tafel: Hochzeit zu Kana, Brotvermehrung, Mannaregen und Osterfest der Juden.

Der "Marienaltar" stellt in seinem zentralen Hauptteil „die heilige Sippe“ dar, wobei die Schnitzkünstler u.a. den im Original fehlenden Jesusknaben hinzufügten. Der Altar sitzt auf einer breiten Predella sowie auf vier Säulenstützen links und rechts von ihr.

Marianisch wird der weitgehend vollplastische Altar durch die rundherum auf Relieftafeln dargestellten Geheimnisse des "freudenreichen Rosenkranzes", von denen die untere Darstellung in der Predella  - wiederum vollplastisch – „die Anbetung der Könige“ vor dem neugeborenen Jesuskind abbildet. So ergeben sich umlaufend die fünf  freudenreichen Geheimnisse: links oben: die Verkündigung (Lk 1,26 ff.), darunter die "Heimsuchung" (= Begegnung Mariens mit Elisabeth, Lk 1, 39 ff.); unten folgt dann in der Predella die Geburt Jesu (Lk 2, 1 ff.), rechts unten die Darstellung im Tempel (Lk 2, 21 ff.) und oben das Wiederfinden des zwölfjährigen Jesus durch seine Eltern im Tempel von Jerusalem (Lk 2,41 ff.).

Das zentrale, beherrschende Bild aber stellt die „heilige Sippe“ dar bzw. „die heilige Anna selbdritt“, wie sie in der Kunstgeschichte meist genannt wird. Großmutter Anna und die Mutter Maria halten das Jesuskind zwischen sich. Rundum sind die in der Bibel und in Legenden (v.a. in der "“Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine, um 1264) genannten Verwandten aufgestellt. Hinter den beiden Frauen steht jeweils ihr Gemahl, Joachim und Josef. Links von der heiligen Anna steht Elisabeth, über/hinter ihr Zacharias - Eltern von Johannes dem Täufer; rechts Salome, hinter ihr Zebedäus - Eltern der unter ihnen spielenden späteren Apostel Johannes und Jakobus (der Ältere). Daneben tummeln sich unten links noch drei weitere spielende Kinder, vielleicht eine Anspielung auf die „Brüder Jesu“ (Mk 3,31 ff.).

Eingefügt in das kunstvolle Rankenwerk rund um die zentrale Tafel sind noch die Urväter der hl. Sippe zu sehen: links von unten nach oben: Adam, Noach und Jakob, rechts: Eva, Abraham und Isaak.

Wenn auch die Dargestellten großenteils nur in der Legende mit Jesus verwandt sind, so wird doch die Grundidee der christlichen Glaubensaussage gerecht: Jesus Christus ist wahrhaft Mensch, der Mensch gewordene Gottessohn, hineingeboren in eine normale Familie und in ein soziales und menschliches Umfeld und verwurzelt mit ihnen.

Wirkt die zentrale Tafel („die heilige Sippe“) eher statisch und wenig bewegt, so erhält sie durch die angefügten Rosenkranztafeln schon einige Belebung. Durch die künstlerisch hervorragend herausgearbeitete plastische Anbetung der Könige in der Predella kommen intensiv Farbe und Bewegung ins Gesamtbild.

Die beiden Außenflügel können zur Mitte hin zugeklappt werden und zeigen dann ein großes Tafelgemälde, dessen Botschaft ähnlich ist wie die der Vorderseite: hier findet sich in kunstvoller Anordnung „die Wurzel Jesse“, ein vereinfachter Stammbaum Jesu (nach Mt 1,1 ff.): aus der Wurzel Jesse (Jes 11,1), eigentlich Isai, Vater des Königs David, wächst ein mächtiger Rosenstrauch, dessen Blüte oben in der Mitte Maria mit dem Jesuskinde hervorbringt.

So gibt dieser Altar in der Fülle seiner Bilder, seiner Aussagen und vielfältigen Anspielungen viele Hinweise auf das Leben Jesu und Mariens und kann als echtes "Andachtsbild" dem gläubigen Betrachter, besonders aber der hier oft den Rosenkranz betenden Gemeinde, viele Anregungen liefern.