Auszug aus: Martin Fink, Inneneinrichtung der St. Elisabethkirche, 1930, 28-30
Eine Stiftung der Agnes von Biegeleben in der Höhe von 20 000 Mark wurden indessen nicht ganz ausbezahlt, weil der vertragsmäßig einzubauende Not-Tretbalg fehlte und der nachträglich eingebaute für den Notfall absolut unzureichend ist. Die Firma entschuldigte sich damit, es sei bei ihren Werken noch niemals vorgekommen, dass der Motor versagt habe. Die Ironie des Schicksals wollte es aber, dass am Tage nach der Einweihung beim Seelenamt für die Stifterin der Motor versagte, weil am Abend zuvor eine unberufene, ungeschickte Hand die Sicherung durchgebrannt hatte.
Das Werk hat 34 klingende Register. Vor 3 Jahren wurde die Orgel bei 10 Registern des 1. Manuals um eine Oktave nach oben erweitert, da die oberste Oktav an Tonfülle zu sehr hinter den tieferen Oktaven zurückblieb. Es war das unseres damaligen Organisten, des seligen Lehrers Bernd, Munsch, der uns 1200 Mark kostete. Wenn unsere Orgel in ihrer ganzen Klangschönheit und Tonfülle vollauf zu Entfaltung gebracht werden soll, erfordert das Werk einen vollendeten Meister, der sich dazu nach dem Urteil kompetenter Sachverständiger wenigstens ein Jahr lang in die kunstvolle Kompliziertheit der Orgel hineingearbeitet haben muss.
Am heiligen Abend des Jahres 1909, als das Werk schon stand, und bereits 12 000 Mark anbezahlt waren, kam der kirchlich-behördliche Entscheid, das vorgesehene Werk könne nicht durchgeführt werden, weil für eine solche Kirche zu kostspielig und zu modern. Aber am 13. Februar 1910 fand mit bischöflicher Erlaubnis die feierliche Übergabe und Weihe der Orgel statt. Herr Professor Laufer nahm den Weiheakt vor. Herr Professor Dr. Reinfürth, Bensheim, ein Landsmann des Pfarrers hielt die Festpredigt.
Der neue Kirchenschmuck löste bei den Pfarrkindern eine ungemein große Freude aus. War es doch jetzt erst möglich, die Festgottesdienste an Sonn- und Feiertagen würdig zu begehen. Der erste Organist war Herr Lehrer Scröck, ein katholischer Lehrer von altem Schrot und Korn, der jahrelang um Gotteslohn im Pfründnerhaus das Harmonium gespielt hatte beim Notgottesdienst.
Als bald nach der Einweihung der hochselige Bischof Kirstein nach St. Elisabeth zur Visitation kam und als allbekannt seiner Meister des Orgelinstumentes das Werk auf seine Tonschönheit erprobt und bewundert hatte, sagte er am Nachmittag bei einer Besichtigung der Kirche an der Kommunionbank neben dem seligen Domkapitular Dr. Elz und dem Pfarrer stehend den herrlichen Orgelprosekt bewundernd: „Herr Dompkapitular, sehen Sie einmal, welch ein prächtiger Anblick dieser Prospekt! St. Elisabeth hat eine feine Orgel. Wie froh bin ich, dass ich das Werk doch genehmigt habe!“
Der Prospekt ist die Vorderansicht der Orgel, bestehend in der unteren Partie aus bemalter Holzverschalung und in der oberen Partie aus mächtigen Holzpfeifen und Zinnpfeifen, die zum Teil klingend also zum Orgelwerk gehörig, zum Teil stimm sind, also nur dem Schmucke dienen. Dieser Orgelprospekt wurde in seiner Farbenschönheit im Auftrage der Firma Bott auf Vorschlag des Pfarrers von Busch-Söhne, Groß-Steinheim, hergestellt. Auch hier hatten Busch Söhne in ihrer Künstler-Bescheidenheit zu wenig gefordert. Und auf Anstehen des Pfarrers hat die Firma Boit Söhne, anstandslos 300 Mark mehr nachbezahlt mit dem Bemerken: „Man hat ja nicht mehr verlangt“.
Nach dem Plane des Baumeisters sollte die Orgel ursprünglich in der großen Muschel auf der Orgelbühne ihre Aufstellung finden. Diese Muschel hatte viel Geld verschlungen. Aber alle zu Rate gezogenen Sachverständige bezeichneten es als ein gefährliches Wagnis, hier das Werk einzubauen, weil man nicht wissen könne, wie die Tonauswirkung sei, dass das Gehäuse der Orgel die Muschel vollständig bis obenhin ausfülle. Der selige Domkapitular Dr. Elz wollte in seiner geschäftlichen Genauigkeit, die ihm eigen war, sowie in seiner Gewissenhaftigkeit als Verwalter der Baugelder allen Ernstes den Baumeister der Kirche zum Schadenersatz anhalten. Um dieses eventuelle Falliment in seinem Bauplan (das einzige, das ihm, dem großen Künterl, drohte), auszugreichen, ersann Professor Becker den herrlichen Prospekt, welcher der Kirche einen neuen Schmuck einfügte und er Kirchenkasse wenigstens 8000 Mark ersparte; denn soviel hätte die Ausmalung des großen Fensters an der Stirnwand gekostet. Durch den Orgelprosekt wurde nämlich dieses Fenster bis zur prächtigen oberen Rosette (Auge der Kirche) verdeckt. Die Wirkung des Orgelprospektes ersetzt weitaus die Wirkung eines gemalten Fensters.
Die furchtbare Hitze 1911 hatte das Werk sehr mitgenommen, sodass die Holzpfeifen alle neu gefügt werden mussten. Die Firma konnte ersatzpflichtig nicht herangezogen werden, weil höhere Gewalt den Schaden versursacht. Damals wurde das große Stirnfenster, um die Hitze abzuhalten, bis an die Rosette mit Steinen und Holz verschalt.
Im Kriege bekam der Prospekt eine Geschichte, als nämlich die Orgelprospektpfeifen zur Rettung des Vaterlandes eingeschmolzen werden sollten. Zum erstenmal verhütete diesen Schlag Freiherr Max von Biegeleben, der hessische Gesandte in Berlin, durch seinen Einfluss an maßgebender Stelle. Später war durch eine neue weiter greifende Verordnung der Orgelprospekt abermals bedroht. Diesmal bewahrt unser treues Pfarrkind, Staatsrat Lorbacher, den Orgelprospekt vor Beraubung durch sein mannhaftes Eintreten. Ein noch weiter gehender Einziehungsbefehl der Pfeifen bracht das Werk zum dritten Mal in Gefahr. Der Pfarrer wurde von einer Behörde, die im „kleinen Haus“ tagte, wiederholt aufgefordert, die Zinnpfeifen abzuliefern. Da er keine Antwort gab kam der telefonische Bescheid: „Wenn bis morgen die Zinnpfeifen nicht abgeliefert sind, werden dieselben auf Kosten des Pfarrers herausgenommen und abtransportiert“. Da brach in der Nach die Revolution aus. Ein Glück im – Unglück“
Nach der notwendig gewordenen Umstellung von Gleichstrom auf Drehstrom war der neue Motor zu schwach und zudem das Gebläse (Zuleitungsrohr des Windes vom Motor zum Blasbalg) unbrauchbar. 1930 Wurde deshalb ein neuer starker Motor und ein moderner Ventilator eingebaut, die allen Anforderungen genügen. Besonders ist dadurch auch das so störende Summen des Motors unhörbar geworden.
Was der Orgel noch sehr nottut, ist eine Hauptreinigung von Staub, der sich in den Pfeifen festgesetzt. Das alte Gebläse hat nämlich durch die Eigenart seiner Konstruktion den ganzen Staub der Muschel in die Pfeifen hineingeblasen. Das neue Gebläse hat diesen Nachteil nicht. Aber vorerst muss in der großen wirtschaftlichen Not diese Reinigung zurückgestellt werden. Nur der Fachmann, nur der Künstler kann diesen Fehler merken. Dem Ohre des Laien entzieht er sich vollständig. Und die Pfarrkinder von St. Elisabeth können sich mit Recht freuen ihrer prächtigen Orgel.