Autor: Dr. Jörg Pfeifer
Wenige Jahre waren seit dem Thesenanschlag Martin Luthers (1483-1546) in Wittenberg 1517 vergangen, als sich die Veränderungen auch in den Pfarreien der Landgrafschaft Hessen bemerkbar machten. Schon auf dem Wormser Reichstag von 1521 vertrat Landgraf Philipp der Großmütige (1518-1567) die Meinung, dass die geistliche Rechts- und Strafpraxis durch die Vertreter des Mainzer Kurfürsten in ungebührlicher Weise vorgenommen würde. 1522 teilte er dem Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1514-1545) mit, dass er seinen Geistlichen untersagt habe, an die Kathedrale Abgaben zu bezahlen oder sich der erzbischöflichen Jurisdiktion zu unterstellen. 1525 wandte sich der Landgraf in der Absicht, sein Land der Reformation zu öffnen, an Martin Luther und Philipp Melanchthon (1497-1560). Zur endgültigen Abtrennung der Landgrafschaft Hessen von der Mainzer geistlichen Jurisdiktion kam es durch den Vertrag von Hitzkirchen 1528, dem Kardinal Albrecht gezwungenermaßen zustimmen musste.
Damit endete nicht nur in Darmstadt das Leben der katholischen Pfarrgemeinde. Dennoch lebten auch in der Folgezeit – sowohl am Hof des Landgrafen als auch beim Militär - stets Katholiken, denen es jedoch nicht ohne weiteres möglich war, an einem katholischen Gottesdienst teilzunehmen.
Eine Quelle aus dem Jahr 1722 berichtet, dass es den Katholiken auf ihr Ersuchen hin von Landgraf Ernst Ludwig I. (+1739) gestattet wurde, zu Ostern in „dem alten Posthause“ einen „stillen Gottesdienst“ zu feiern. Ein katholischer Geistlicher namens Dohm schien sich sogar geraume Zeit in der Residenzstadt aufgehalten zu haben, um die Pfarrgeschäfte und den Gottesdienst zu versehen. Auf Antrag des lutherischen Konsistoriums wurde der Gottesdienst aber bald wieder untersagt.
Günstigere Zeiten brachen mit dem Regierungsantritt Landgraf Ludwig X. (1790-1806), des späteren Großherzogs Ludwig I. (1806-1830) im Jahr 1790 an, der in Religionsfragen größere Freiheiten ermöglichte.
Die Anzahl der Katholiken - bestehend aus katholischen Dienstleuten, Handwerkern, Kaufleuten, Künstlern und französischen Emigranten - war in den vorhergehenden Jahrzehnten beständig angewachsen. Die Verlegung des Pirmasenser Bataillons im Jahre 1790 erbrachte ein Übriges. Im Gegensatz zum Jahr 1788, als Landgraf Ludwig IX. (1768-1790) das Gesuch um Einführung eines katholischen Gottesdienstes streng zurück wies, eröffneten sich unter der Regierung Ludwigs X. günstigere Aussichten. Der landgräfliche Hauptmann Pergler von Perglas führte zu diesem Zweck bereits im September 1790 eine Kollekte durch, die ein sehr erfreuliches Ergebnis brachte. Den ursprünglichen Plan, einen Dieburger Kapuziner zur Feier der Gottesdienste kommen zu lassen, wurde fallen gelassen. Vielmehr bemühte man sich nun darum, einen ständig in Darmstadt lebenden Pfarrer zu finden. Man fand diesen in P. Sicard Hasslacher4, einem Chorherrn der Prämonstratenserabtei Arnstein (Erzdiözese Trier). Die Gottesdienste fanden zunächst im Hinterbau eines Hauses in der alten Vorstadt, auf dem Gebiet der späteren Infanteriekaserne, statt. Bereits am 20.10.1790 wurde P. Hasslacher vom Landgrafen zum Pfarrer für die Seelsorge an den Katholiken ernannt, gleichzeitig wurde er dem lutherischen Konsistorium unterstellt.
Am 01.12.1790 erließ Landgraf Ludwig den sogenannten Freiheitsbrief, der den Katholiken der Residenzstadt Darmstadt die Abhaltung des Gottesdienstes sowie die Ausübung ihrer Religion förmlich gestattete.
Er gewährte ihnen in diesem Zusammenhang den Bau einer Kirche und das Halten des Gottesdienstes mit Gesang, Geläut und Prozessionen aber blieben verboten. Noch einmal wurde der Pfarrer der geistlichen Gerichtsbarkeit des lutherischen Konsistoriums unterstellt. Alle Stolgebühren waren an die evangelische Geistlichkeit zu entrichten. Taufen, Trauungen und Beerdigungen waren erst nach Zahlung dieser Stolgebühren erlaubt. Außerhalb der Residenzstadt durfte der Geistliche lediglich die Sterbesakramente spenden.
Dem katholischen Kirchenvorstand wurde das Recht zugestanden, dem Landesherrn „zwei bis drei ihrer Tüchtigkeit halber von irgend einem Vikariat mit beglaubigten Zeugnissen wohlversehene Subjekta, welche aber keine Ordensgeistliche seyn dörfen, sondern allesamt Weltgeistliche seyn müssen, in ohnmasgeblichen Vorschlag zu bringen“. Dennoch war der Landgraf nicht an diese Vorschläge gebunden. In der Regel sollte bei Mischehen – soweit die Brautleute vorher nichts anderes vereinbart und dafür eine Dispens eingeholt hatten – folgende Regelung gelten: die Söhne erhalten die Religion des Vaters, die Töchter die der Mutter.
Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und seine Auswirkungen auf den Katholizismus in Darmstadt
Durch die Französische Revolution 1789 ausgelöst, begann sich die politische Landschaft Europas in den folgenden Jahren radikal zu verändern. Österreich und Preußen versuchten den französischen Bestrebungen entgegen zu wirken. Durch den Frieden von Campo Formio vom 17.10.1797 gestand das unterlegene Österreich Frankreich die Abtretung der beanspruchten linksrheinischen Gebiete zu. Bereits 1795 hatte Preußen im Sonderfrieden von Basel Frankreich die Rheinlande als Verhandlungsobjekt angeboten.
Von besonderer Bedeutung sollten für die Darmstädter Gemeinde die Jahre 1802/03 werden. Im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25.02.1803, der die Auflösung der geistlichen Reichsfürstentümer und die Säkularisierung der Stifte und Klöster zur Folge hatte, gelangte die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt als Ersatz für den Verlust der im Elsass gelegenen Grafschaft Lichtenberg in den Besitz der rechtsrheinischen Territorien des Kurfürstentums Mainz sowie des bislang zu Kurköln gehörenden Herzogtums Westfalen. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Teil der Kurmainzer Truppen der Armee des Landgrafen unterstellt. So zogen mehrere katholische Militärfamilien nach Darmstadt, ebenso eine Anzahl Familien katholischer Beamter aus Westfalen, darunter z.B. die Familien von Biegeleben, von Wreden, von Gruben, von Siebold und von Hertling.
Mit den kurmainzischen Truppen wurde auch der katholische Regimentspfarrer Balthasar Schmitt übernommen. Als das Regiment am 01.07.1803 aufgelöst und auf die landgräflichen Regimenter verteilt wurde, erhielt P. Schmitt als Feldpater bei der Leibgarde seinen Sitz in Darmstadt. 1804 übernahm er die Pfarrei Neidenau in Baden, sein Nachfolger wurde Joseph Ignaz von Jaster, der Vikar des Wormser Andreasstifts. Er wirkte bis zu seinem Tod 1834 als Militärgeistlicher in Darmstadt.
Schon 1802 sah man sich durch das ständige Anwachsen der katholischen Gemeinde gezwungen, einen anderen Ort zur Abhaltung des Gottesdienstes zu suchen. Man fand ihn im oberen Saal des Darmstädter Hofes, wo auch der Pfarrer eine Wohnung fand. Die Mietkosten übernahm gemäß einer landgräflichen Verfügung vom 03.02.1803 die Staatskasse. 1812 wurde über dem Saal ein Türmchen errichtet und eine Glocke aufgehängt, der 1816 eine zweite folgte. Während die Gemeinde anfänglich sehr arm an liturgischen Geräten und Paramenten war, schuf der Landgraf auch hierin 1803 Abhilfe. Am 26.06.1803 wies er der Pfarrei Kelche etc. aus der aufgehobenen Abtei Seligenstadt zu; auch eine kleine Orgel aus Seligenstadt gelangte so in den Besitz der Darmstädter Pfarrei.
Als Pfarrer Hasslacher am 27.01.1817 verstarb, wurde schon am 03.02. der Gernsheimer Pfarrer Conrad Dahl8 zum neuen Darmstädter Pfarrer durch Großherzog Ludwig I. ernannt. Eines der bedeutendsten Ereignisse seiner Amtszeit war zweifelsohne die Errichtung der Pfarrkirche St. Ludwig. Bereits seit dem Jahr 1791 sammelten die Darmstädter Katholiken zu diesem Zweck Gelder. Zahlreiche Spenden gingen auch von evangelischen und jüdischen Mitbürgern ein. Aber auch so bedeutende Persönlichkeiten wie der Kaiser von Österreich und der russische Zar sowie eine Vielzahl deutscher Fürsten beteiligten sich an der Sammlung und brachten namhafte Beträge auf. Besonders großzügig zeigte sich der Großherzog, der für 2.000 Gulden den Kirchbauplatz von Herrn von Riedesel erwarb und der Gemeinde schenkte. 1817 überwies der Großherzog ein Stiftungskapital von 20.000 Gulden, zwischen 1824 bis 1828 stellte er weitere 11.000 Gulden sukzessive zur Verfügung.
Nach längeren Verhandlungen genehmigte der Großherzog am 28.12.1820 den Plan des Oberbaurats Georg Moller (1784-1852), der eine Kirche nach dem Vorbild des römischen Pantheons vorsah.
Im folgenden Jahr ernannte Ludwig eine eigene Baukommission zur selbständigen Leitung des Baus. Die Grundsteinlegung am 16.09.1822 nahm der Großherzog selbst vor. Bereits am 25.03.1827 konnte die Kirche eingeweiht werden. In Anwesenheit des Großherzogs nahm der Geheimer Staatsrat von Wreden9 die Benediktion der Kirche vor, eine bischöfliche Konsekration erhielt die Kirche nicht. Aus Dankbarkeit dem Großherzog gegenüber wurde die Kirche nach dem hl. Ludwig IX. von Frankreich (1219-1270) benannt.
Auch in der Folgezeit förderten Mitglieder des Herrscherhauses die Gemeinde. Am 26.12.1833 heiratete Erbgroßherzog Ludwig, der spätere Ludwig III. (1848-1877) Prinzessin Mathilde von Bayern (+1862) , die seit ihrer Ankunft in Darmstadt im Januar 1834 nicht nur regelmäßig zum Gottesdienst nach St. Ludwig kam, sondern auch sonst die Pfarrei zu fördern suchte.
Seit 1835 zählte auch Prinz Friedrich von Hessen und bei Rhein (+1867), der in Rom zum Katholizismus konvertierte, zu den beständigen Gönnern der katholischen Pfarrgemeinde. Beide wurden nach ihrem Tod in der Ludwigskirche beigesetzt.
Wie bereits aufgezeigt existierte seit Beginn des 19. Jahrhunderts neben der Zivilpfarrei St. Ludwig eine Militärpfarrei in Darmstadt. Diese hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1834 Pfr. Joseph Ignaz von Jaster inne.
Nach dessen Tod verfügte das Bischöfliche Ordinariat in Mainz am 18.08.1834, dass Dekan und Pfarrer Kaiser „zur einstweiligen Übernahme der Seelsorge“ in der Militärpfarrei beauftragt wurde. Als am 23.01.1835 Kaplan Krämer zum Kaplan für St. Ludwig ernannt wurde, übertrug man ihm gleichzeitig die Verwaltung der Militärpfarrei, „da über die Wiederbesetzung der Garnisonspfarrei in Darmstadt bis jetzt noch keine definitive Entscheidung erfolgt ist“.
Eine Ministerialverfügung vom 06.07.1836 übertrug die Besoldung für den katholischen Militärpfarrer vom Etat des Kriegsministeriums auf den des Innen- und Justizministeriums.
Am 15.07. beantragte das Bischöfliche Ordinariat in Mainz bei der Großherzoglichen Regierung die beiden Pfarreien zu vereinen, so dass sie als einzige Gemeinde aller Katholiken - seien es Zivilisten oder Angehörige des Militärs - zu betrachten sei. Anstelle des Garnisonspfarrers sollte der neuen Gemeinde ein zweiter Pfarrer unter der Direktion des jetzigen Pfarrers von St. Ludwig zugewiesen werden. Dieser Antrag wurden vom Innen- und Justizministerium des Großherzogtums am 29.08.1836 genehmigt. Kaplan Adam Krämer, der bisherige Kaplan von St. Ludwig und Garnisonspfarrverwalter, wurde mit dieser Aufgabe betraut. Nach der Versetzung von Adam Krämer nach Heppenheim beantragte das Bischöfliche Ordinariat am 22.11.1855 die zweite Pfarrstelle bis auf weiteres nicht zu besetzen und die Mittel aus der Hauptstaatskasse, die bislang der Besoldung des zweiten Pfarrers gedient hatten, der ersten Pfarrstelle zufließen zu lassen. Gleichzeitig wurde dem Pfarrer von St. Ludwig, Domkapitular Dr. Lüft, die Verpflichtung auferlegt, mit diesem Geld zwei Kapläne zu besolden, um die Seelsorge sicher zu stellen. Die Ernennung der beiden Kapläne erfolgte am 08.01.1856; bereits am 23.01. wurde die Hauptstaatskasse durch Ministerialverfügung angewiesen, das Gehalt des bisherigen zweiten Pfarrers an den Lokalkirchenfonds von St. Ludwig in Höhe von 900 Gulden zu überweisen.
Als Pfr. Dr. Lüft wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes 1863 und 1865 um seine Pensionierung nachsuchte, bat das Ordinariat ihn nachdrücklich, im Amt zu verbleiben. Um wenigstens einige Erleichterung zu erlangen, bat Dr. Lüft Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1850-1877), die seit dem Weggang Krämers freie zweite Pfarrstelle wieder zu besetzen und den zweiten Pfarrer zu seinem Stellvertreter zu machen. Der Mainzer Bischof entsprach dem Wunsch von Dr. Lüft. Mit Wirkung vom 01.07.1866 trat die beantragte Regelung in Kraft. Zweiter Pfarrer von St Ludwig wurde der bereits seit zehn Jahren in der Pfarrei wirkende Kaplan Johannes Beyer. Staatlicherseits stand diesem Plan nichts im Weg, da die Nichtbesetzung der zweiten Pfarrei 1855 lediglich „bis auf Weiteres“ geregelt worden war.
Diese Vereinbarung zwischen dem Bischöflichen Ordinariat in Mainz und der Großherzoglichen Regierung in Darmstadt bildete die Grundlage für die Errichtung der Pfarrei St. Elisabeth im Jahr 1905. Ohne größere Schwierigkeiten konnte deshalb zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Transferierung der zweiten Darmstädter Pfarrei nach St. Elisabeth, der neu errichten zweiten Zivilpfarrei Darmstadts, vorgenommen werden. Mit dem Darmstädter Innenministerium wurde vereinbart, das Staatsgehalt des zweiten Pfarrers nicht mehr an den Lokalkirchenfonds sondern direkt an den Pfarrer von St. Elisabeth auszuzahlen. Gleichzeitig wurde eine eigenständige zweite Kirchengemeinde unter Festlegung der oben bereits aufgezeigten Grenzen durch den Mainzer Bischof Dr. Kirstein errichtet und die bislang mit St. Ludwig vereinigte zweite Pfarrei nach St. Elisabeth transferiert.
Im Zuge der industriellen Revolution ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs auch in Darmstadt die Zahl der Einwohner beständig an. Während die Volkszählung des Jahres 1861 32.519 Einwohner für die Residenzstadt verzeichnete, darunter 27.659 Evangelische (85,06 %) und 3.991 Katholiken (12,27 %), ergab sich für das Jahr 1900 schon eine Einwohnerzahl von 72.381. Hier zeigte sich eine bedeutende Veränderung der prozentualen Verhältnisse: nun standen 57.805 Protestanten (79,99 %) 12.320 Katholiken (17,72 %) gegenüber. Bis zum Jahr 1905 war die Einwohnerzahl sogar schon bis auf 81.000 angestiegen.
Diese Entwicklung musste sich auch auf das Leben der katholischen Pfarrgemeinde auswirken. Für ein geregeltes Gemeindeleben war die Errichtung einer zweiten Pfarrei mit eigener Kirche unabdingbar geworden. Während die Katholiken im Süden der Stadt die Möglichkeit hatten, in der Bessunger Kapelle, die von einem eigenen Pfarrkuraten betreut wurde, zum Gottesdienst zu gehen – so mancher besuchte auch die Gottesdienste in der Kapelle der Barmherzigen Schwestern und der der Englischen Fräulein – gab es diese Ausweichmöglichkeiten für die Katholiken des so rasch gewachsenen Darmstädter Nordens nicht.