Advent 2022 - Predigtreihe zum Pastoralen Weg

Von:
Pfarrgruppe Bingen

2. Predigt aus der Predigtreihe zum Pastoralen Weg von Pfarrer Markus Lerchl

2. Advent A – 04. Dezember 2022 
Fest der hl. Barbara

Lesungen des Sonntags 

1. Lesung: Jes 11,1-10
2. Lesung: Röm 15,4-9
Evangelium: Mt 3,1-12

 

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder!

In diesem Advent möchte ich in einer Predigtreihe über die anstehenden Veränderungen in unserem Bistum und auch im Pastoralraum Bingen informieren, aber vor allem auch über diese geistlich nachdenken.

Am letzten Sonntag standen die beiden Stichworte Abbruch und Aufbruch im Mittelpunkt. Wir haben darüber nachgedacht, dass die uns vertraute Form von Kirche an ihr Ende kommt. Es gibt vielfältige Veränderungen in der Gesellschaft und auch der Kirche, die dazu führen, dass man nicht mehr selbstverständlich Christ und Kirchenmitglied ist. Gibt es angesichts dieser Situation Hoffnung.

Am 4. Dezember steht jedes Jahr ein Zeichen der Hoffnung im Mittelpunkt. Wir feiern heute nämlich das Fest der hl. Barbara, die auch die zweite Patronin unserer Basilika ist. Der Legende nach soll Barbara um 306 in Kleinasien, also der heutigen Türkei, nach vielen Folterungen vom eigenen Vater wegen ihres christlichen Glaubens enthauptet worden sein. Auf dem Weg in den Kerker habe sich ein Zweig in ihren Kleidern verfangen. Sie nahm ihn mit und stellte ihn ins Wasser. Sie sagte: „Du schienst tot, aber bist aufgeblüht zu schönem Leben. So wird es auch mit meinem Tod sein. Ich werde zu neuem, ewigen Leben aufblühen.“1 Der Zweig schließlich blühte am Tag ihres Todes. Aus dem Abbruch wird neues Lebens, scheinbar aus dem Nichts – durch Gottes Schöpfungskraft.

Der Barbarazweig passt gut in den Advent und knüpft an das altvertraute adventliche Bild von jenem jungen Trieb an, der aus dem Baumstumpf Ísais herauswächst (Jes 11,1ff.). Wir haben den Text heute in der ersten Lesung gehört. Das Bild ist so einfach wie beeindruckend: Da ist ein abgehauener Baumstumpf, Symbol des Todes, des klaren und eindeutigen Endes. Wo alle Hoffnung beklommen schweigt, da wächst ohne menschliches Zutun ein kleiner Zweig hervor, auf den sich dann noch der Geist Gottes niederlässt. Dieses neu sprossende Leben ist ganz Gottes Werk. Was wie tot aussieht, lebt, trägt die unbändige Lebenskraft in sich. Hier sprechen der Baumstumpf Isais und der Barbarazweig dieselbe Sprache: Gott schafft Leben gegen den Tod. Wo wir Menschen mit unserem Latein am Ende sind, findet er eine andere, neue Sprache. Das gilt nicht nur allgemein und abstrakt, sondern auch für die jetzige Situation unserer Kirche. Gott gibt sie nicht auf, er schafft Leben, auch wenn wir zunächst nur Abbruch und Ende sehen.

Damit etwas neu wachsen kann, kommt es auf die Wurzeln an. Von ihnen geht das Leben aus. Sie geben dem neuen Leben Kraft. Jede echte Reform ist deshalb Rückkehr zu den Wurzeln, ist Aufbruch zum Ursprung, den hl. Anfängen einer Gemeinschaft. Ich will deswegen heute mit Ihnen über Impulse nachdenken, die uns die Jerusalemer Urgemeinde mit auf den Pastoralen Weg gibt. Am kommenden Sonntag soll es dann um deren konkrete Umsetzung gehen. Heute stehen meine Gedanken unter der Überschrift

Aufbruch als Rückkehr zum Ursprung

Woran erkenne ich die Gemeinde Jesu Christi? Der Evangelist Lukas überliefert in der Apostelgeschichte (Apg) eine zugegebenermaßen ideale Beschreibung der Jerusalemer Urgemeinde, in der zeitlos Gültiges gesagt wird:

Die Gläubigen hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Und alle (...) hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte. (...) Sie lobten Gott und fanden Gunst beim ganzen Volk. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten.

Dieser Text ist im 2. Kapitel der Apg zu finden und schildert das Leben der ersten Christen, kurze Zeit nach dem Pfingstereignis. Was dort geschieht, ist Frucht des Heiligen Geistes. Damit ist auch schon eine erste wichtige Antwort gegeben: Christliche Gemeinde ist der Ort, an dem der Geist Gottes in dieser Welt erfahrbar wird. Denn dass es Gemeinde gibt, das können wir auch mit den raffiniertesten (religions-)pädagogischen Methoden nicht machen. Es ist Geschenk, Wirken des Geistes Gottes. Wo er wirkt, da wird die Gegenwart Jesu Christi erfahrbar. Er lebt und wirkt auch heute. Die Gemeinde ist Ort und Zeugin dafür. Wer mit ihr in Kontakt kommt, soll Jesus Christus begegnen, ihn erfahren können.

Christliche Gemeinde ist Ort des Heils. Die Apg wird nicht müde, genau dies zu betonen: Menschen, die zur Gemeinde kommen, finden das Heil, neue Perspektiven für ihr Leben durch Jesus Christus. Durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen“, so sagt es der Text und meint damit auch Krankenheilungen (Apg 2,43b).

Gemeinde ist Ort des Heils: Die Jerusalemer Urgemeinde hat dies in verschiedenen
Vollzügen gelebt:

  • Sie loben Gott im Tempel von Jerusalem und feiern miteinander Gottesdienst in ihren Privathäusern, indem sie dort „das Brot brachen“ = Eucharistie feiern.
  • Sie verkünden den Glauben („Die Gläubigen hielten an der Lehre der Apostel fest“), indem sie von ihm sprechen und in neuer Weise miteinander leben.
  • Sie kümmern sich mit hohem persönlichen Einsatz umeinander, besonders um die Armen in der Gemeinde.
  • Immer wieder betont die Apg: Die Gläubigen bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam.

Es sind also vier wichtige grundlegende Vollzüge, welche die Gemeinde Jesu Christi auszeichnen: Gottesdienst (Liturgie) Verkündigung des Glaubens (Katechese) – Nächstenliebe (Caritas). Aus ihnen entsteht viertens die Gemeinschaft. In Gottesdienst  Glaubensverkündigung Nächstenliebe und Gemeinschaft sind die Erkennungsmerkmale der Gemeinde Jesu Christi für alle Zeiten gültig benannt.

Die heutige Krise fordert uns heraus, diese vier Grundvollzüge wieder neu zum Leuchten zu bringen oder anders gesagt, sie unter den Bedingungen der heutigen Zeit (s. Predigt vom 1. Advent) zu praktizieren. Folgende Fragen können hilfreich sein: Machen unsere Liturgien Gott erfahrbar oder sind sie abgespultes Ritual? Sprechen wir begeistert von unserem Glauben oder verschweigen wir ihn? Haben wir die Menschen im Blick, die mit dem Christentum nichts anfangen können Ist es uns überhaupt ein Anliegen, ihnen Gott zu verkünden? Bezeugen wir ihnen unsere Hoffnung? Haben wir die Armen im Blick und dienen ihnen? Sind wir schließlich eine Gemeinschaft, in der man sich füreinander interessiert oder sitzen wir wie Fremde in der Bank? Sind Gäste willkommen?

Ich meine, ein erster Schritt der Erneuerung ist es, mit diesen vier Grundvollzügen zu
den Wurzeln des Kircheseins zurückzukehren, mit ihnen unser Gewissen zu 
erforschen, ob wir noch auf der Spur Jesu sind. Ich bin fest überzeugt, dass uns neues Leben blüht, wo wir die Impulse der Urgemeinde aufgreifen und sie mit unserem heutigen Leben erfüllen.

Ein scheinbar toter Zweig wird am Fest der hl. Barbara Zeuge des Lebens, Zeichen für uns heute in der Kirchenkrise. Am Barbaratag und angesichts der heutigen ersten Lesung bietet sich auch folgendes Zeichen an: Sie können sich am Ende des Gottesdienstes eine Blumenzwiebel mitnehmen und diese zu Hause einpflanzen. Im Frühjahr wird dann eine aktuell noch unbekannte Blume die Erdoberfläche durchbrechen und deutlich machen, dass Gott stärker ist als der Tod, dass das Leben gesiegt hat und dass er auch seine Kirche wieder neu zum Erblühen bringt, wenn sie sich ihm ganz anvertraut. Dazu lädt uns der Barbaratag wie auch der gesamte Advent besonders ein!