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Auf Umwegen Richtung Klimakonferenz und die Frage, ob man überhaupt klimafreundlich reisen kann

Frisch geernteter Kakao
Der Countdown läuft. Bis zur Weltklimakonferenz COP 30 in Belem sind es nicht einmal mehr zwei Wochen. Und ich? Seit nun fast 2 Monaten tingle ich durch den Norden Südamerikas. Teils um alte Freunde zu besuchen, teils um Neues zu entdecken, Neuem zu begegnen. Stück für Stück bewege ich mich dabei sowohl zeitlich als auch geographisch in Richtung Belém – auf die COP 30 zu. Seitdem letzten & ersten Blogeintrag ist tatsächlich eine ganze Menge passiert. Man könnte...
Datum:
2. Nov. 2025
Von:
Joshi Nichell
Nebelregenwald in Kolumbien

sagen, ich bin gut abgetaucht. In dieser Zeit bin einigem begegnet, was für mich wie Puzzleteile des Puzzles „Rettet den Amazonas & das Klima“ sind. In den kommenden Beiträgen möchte ich Dich mit auf diese Reise nehmen – immer im Blick die Weltklimakonferenz COP 30 und die Weihnachtsaktion von Adveniat & dem Bistum Mainz „Rettet unsere Welt. #Zukunft Amazonas“.

Bananen-, Kaffee- & Kakaopflanzen inmitten des Waldes - gelebter Agroforst.

Los geht’s mit einem privaten Besuch bei Freunden in Kolumbien auf einer Finca. Der Weg führte mich auf abenteuerlichen Wegen (3h Fahrt für 80km Strecke sagt eigentlich schon alles… ;-)) tief in den Regenwald – im weitesten Sinne in die äußerten Ausläufer des Amazonasgebiet… Auf der Finca hatte ich die Gelegenheit in den tropisch-feuchten Nebel-Bergwald einzutauchen. Dort werden u.a. Bananen, Yuca (Maniok), Zuckerrohr, Kaffee & Kakao angepflanzt. Also kurz – die tropischen Klassiker. Die Menschen hier leben sehr bescheiden. So sehr, dass sie nicht einmal Geld haben, sich Fenster oder eine Powerbank zu kaufen. Doch sie genießen tagtäglich LEBENsmittel erster Klasse – aus dem eigenen „Garten“. Schon beim ersten Gang durch die Finca bin ich begeistert. Ohne den Begriff zu kennen - ganz intuitiv - betreiben und realisieren sie hier eine DER, wenn nicht sogar DIE zukunftsfähigste Landbewirtschaftungsform. Nicht im kommerziellen Sinne. Ganz sicher nicht. Aber im öko-sozialen Sinne. Denn, wenn wir unsere Ökosysteme weiter zerreißen, zerpflücken und letztendlich zerstören, werden auch wir, die Spezies Mensch, drunter leiden und es droht eine soziale Krise. Was machen nun diese ganz bescheidenen Menschen auf der Finca: Sie betreiben „Agroforst“. Der Clou bei der Sache: Es wird nicht, wie es häufig der Fall ist, der ganze Wald gerodet, sondern inmitten des Waldes – eben im Schutz des Waldbäume – werden Bananen, Kakao, Kaffee, Avocado, Orangen, Limonen, Zuckerrohr u.Ä. angebaut. Der Wald spendet Schatten, schützt vor Austrocknung, versorgt mit Wasser & Nährstoffen und ist wertvoller Lebensraum zugleich. So ist ein Anbau im menschlichen Interesse möglich, ohne dass die Tiere radikal vertrieben werden (durch totale Zerstörung ihres Lebensraumes).

Ein Farbenwunder

An keinem Ort der Welt habe ich bisher so viele wundervolle Vögel beobachten können und dass, obwohl auch hier Lebensmittelproduktion stattfindet. Es wird folglich auch Landwirtschaft betrieben. Eigentlich hatte ich angedacht, 3-4 Tage zu bleiben. Letztendlich wurden es 14 Tage. Ich mahlte und röstete Kaffee & Kakao und produzierte Schokolade, erntete Orangen, Yuca (Maniok) und Zuckerrohr. Und jeden Morgen bestaunte ich die 2-3h diese einzigartige Vogelvielfalt. Kolumbien weist mit fast 2000 Vogelarten weltweit die meisten auf. 

Ein kleiner Papagei in der Finca

Dieses Beispiel, diese Finca, macht mir Hoffnung und zeigt: Ja! Es geht! Es gibt Lösungen. Ein Miteinander ist möglich! Für den Planeten, für den Menschen & für die Tiere. 

Ein Zauber - ein Kolibri.

Von der Finca springen wir über Bogota nach Manaus. Und ganz plötzlich bin ich mitten im Amazonasgebiet. Belém, der Austragungsort der Weltklimakonferenz, liegt im Mündungsbereich des Amazonasflusses in den Atlantik. Im besonderen Fokus der Weltklimakonferenz und der Weihnachtsaktion des Bistum Mainz & Adveniat ist Amazonien – die grüne Lunge der Welt, wie sie auch gerne genannt wird. Aber wusstest Du, dass Amazonien weit über Brasilien hinausreicht? Zum Amazonaseinzugsgebiet – zu diesem grünen Schatz an Regenwald – gehören neben Brasilien Teile in Peru, Bolivien, Ecuador, Kolumbien & Venezuela dazu. Eine eigene Welt, die sehr bedroht ist. Ein Schatz an Biodiversität, den es zu schätzen & zu schützen gilt. Ganz wie es Genesis 2,15 uns mit auf den Weg gibt: „[…] und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte“ (). Bearbeiten und hüten will sicher nicht heißen, roden, abbrennen und als verbrauchte Erde zurücklassen. Doch darauf kommen wir nochmal zurück, wenn wir Indigenen begegnen.

 

Noch intakter Amazonasregenwald an der Grenze Kolumbien - Brasilien.

Laut Planet Wild haben wir mittlerweile im Amazonasgebiet 18% Rodungsanteil erreicht. Was erstmal nicht nach so viel klingt, kann aber in wenigen Prozenten weiterer Abholzung dramatische Auswirkungen haben, da das Ökosystem Amazonas zu einem der neun globalen Kipppunkte gehört. Erreichen wir den Rodungsanteil von 25%, könnte sich nach aktuellem wissenschaftlichem Stand der Regenwald in eine Savanne verwandeln, da dann nicht mehr genug Wasser verdunstet. Wenn das passiert, würde auch die über 100 Milliardenschwere Kohlenstoffsenke sich in eine massive Kohlenstoffquelle verwandeln und die negative Rückkopplung kommt noch stärker in Gang. Massives Artensterben (der Amazonas ist mit 3 Millionen Pflanzen-, Tier- und Pilzarten der artenreichste Ort der Erde), Ankurbeln der Erderwärmung und Verlust indigenem Kulturgut & alter Weisheit. Das Traurige: Es fehlen folglich nur noch ca. 7%. Gott bewahre!

Ist das ein Grund zur Resignation? Keineswegs und ganz sicher wird es dies auch niemals sein, wenn Du mich fragst. Meine Überzeugung: Wir können immer eben zumindest das tun, was wir als Einzelpersonen tun können: Bewusstsein schaffen, aufklären, Lösungen & Innovationen suchen. Und natürlich selbst diese auch umsetzen. Im Kleinen anfangen. Zuhause, bei sich. Du fragst Dich, was Du – zumindest als kleines Senfkorn – nun beispielsweise umsetzen / ändern könntest? Die Hauptursache der Rodungen sind der Versuch, kurzfristig fruchtbares Land zu gewinnen, um vorwiegend Soja & Mais anzupflanzen, was als Kraftfutter an Rinder & Co. verfüttert wird und dann die Rinder auf die gerodeten Flächen zu lassen. Doof nur, dass nach wenigen Jahren der Boden ausgelaugt ist. Es braucht dann neue Flächen und die Brandrodung geht weiter. Liebe Leser:in Du kannst also schon im ganz kleinen – aber nicht Unwesentlichen! – etwas bewirken, wenn Du beispielsweise Deinen Fleischkonsum reduzierst. So reduzierst Du zumindest die Nachfrage. Und mit jedem Individuum, dass sich für den Weg entscheidet, gehen wir in eine optimistischere Richtung. Jede*r Einzelne ist letztendlich Teil eines gigantischen Dominosystems. Ich geb die Hoffnung nicht auf und mache mich auf den Weg an den Rand des Amazonaseinzugsgebietes in Venezuela. Komm mit!

Der erste Lift nach 7 Jahren in Brasilien. Danke Fernando!

9.10.2025

Mir läuft der Schweiß über die Stirn. Am Rand von Manaus. Ich möchte nach Boa Vista, das sind ungefähr 700 km quer durch den Amazonas durch. Machbar ist die Strecke mit einem Auto in ca. 10-12h. Das letzte Mal in Brasilien trampte ich im April 2018 – vor sieben Jahren. Damals mit meiner Mama. Nun frag ich mich: geht es immer noch? Wie wird es laufen? Wer wird mich mitnehmen und wohin? Wie viele Autos oder gar LKWs brauche ich bis Boa Vista? Und schaffe ich es bis morgen Mittag? Quatsch, letzteres steht außer Frage: Natürlich schaffe ich es bis morgen Mittag, Ausrufezeichen! Ich mag dieses Kribbeln beim Trampen. Die Ungewissheit und gleichzeitig die Gewissheit, das Vertrauen, dass es funktioniert. Und je überzeugter ich bin, umso eher realisiert sich mein Vorhaben. Klingt nach Magie? Probier’s mal aus!

So stehe ich nun an einer Tankstelle, doch es hält nur spärlich das ein oder andere Auto. Dennoch. Es dauert keine 20 Minuten, dann nimmt mich ein lieber Brasilianer, namens Fernando mit. „Tschakakalaka! Die ersten 100km sind geschafft“, freue ich mich. Links und rechts der Fahrbahn: Nur Regenwald. Und für mich ist es die Chance, mein weniges Portugiesisches zu praktizieren und dazuzulernen. Mit einem Lächeln verabschiedet er mich nach einer guten Stunde Autofahrt.

Die 'Autobahn' führt mitten durch den Regenwald - ein indigenes Territorium.

Wieder warte ich einen Moment an einer Tankstelle, doch es kommen hier nun noch weniger Autos vorbei. Also stelle ich mich direkt an die Straße, strecke den Daumen raus und staune nicht schlicht. Völlig unerwartet hält nach nur zwei Minuten ein LKW. Ich kann’s kaum fassen! „Nach Boa Vista?“ „Sim.“, sagt der sympathische LKW-Fahrer, der wie sich rausstellt, ein wahrer Mensch von Herz ist. Denn offiziell darf er mich nicht einmal mitnehmen, aber weil er doch so sehr auf sein Herz hört, nimmt er mich mit. Es ist ihm wichtiger als die generalisierenden Regeln der Firma. ‚Ja‘, lächelt er mich an. Dann fahren wir los. Es ist 13:30 Uhr als wir starten. Als er nach ein paar Stunden mein müdes Gesicht sieht, was nach Schlaf trachtet, meint er nur: „Hey, warum legst Du Dich nicht hier hin?“ Er zeigt auf den Bereich hinter den Sitzen. Och, denk ich nur, das werde ich wohl bald machen! „Dankeschön! Ich warte noch bis es dunkel ist,“ verschiebe ich dankbar das Angebot in den Abend. Wir fahren weiter Richtung Norden. Knappe 700 km reise ich mit lieben Familienvater von vier Kindern auf der Amazonaspiste, die von Schlaglöchern geziert ist, die schnell mal tödlich enden können und die durch ein über 120km langes indigenes Schutzgebiet führt - mitten durch den Regenwald.

Angekommen! Nachts um drei per Anhalter. Glücklichst!

Als die Nacht hereinbricht, lege ich mich bei guter brasilianischer Musik hin und schlafe bestens sechs Stunden lang. Was für ein Luxusgefährt! Um 2 Uhr wache ich wieder auf. Mein LKW rollt noch immer weiter… Um 2:50 Uhr sind wir dann da. Mitten in Boa Vista. Wieder springe ich an einer Tankstelle raus – denn sie ist beleuchtet, kameraüberwacht und es hat dort Mitarbeiter 24h. Doch auch hier bleibe ich nicht lange. Ich spreche einen Mann an, denn noch immer fehlen mir fünf Kilometer. Mein Ziel: der Flughafen von Boa Vista, wo ich um 15 Uhr Mishiko & ihre Mama treffen werde. Mishiko begleitet mich auf der Reise zur COP 30, ist im Südosten Venezuelas (unweit von Boa Vista) aufgewachsen und mit dem Fahrrad vier Jahre lang durch Südamerika gereist, und schlussendlich vor ca. 10 Jahren in Deutschland rausgekommen. Sie spricht fließend Portugiesisch, hilft beim Übersetzen und wird im nächsten Blogeintrag auch ihre Perspektive auf die Entwicklung Amazoniens schildern. Ich mache es mir derweil im Flughafen gemütlich und bin einmal sehr froh getrampt zu sein. Einfach mitgefahren mit Fahrzeugen, die sowieso in die Richtung fahren. Und damit wohl so klimafreundlich gereist, wie es sonst kaum möglich ist.

Vielleicht hast Du Dir eh schon die Frage gestellt:

Umwelt- & Klimafreundlich reisen? Geht das überhaupt? Ist es nicht besser, zuhause zu bleiben, sich nicht zu bewegen und dadurch weniger CO2 auszustoßen – schlussendlich eben klimafreundlicher zu leben?

Welch' Farbenzauber! Die Einladung zum Staunen in Vogelgestalt.

Meine Meinung: Kurz und knapp: Jein. Ja und Nein.

Ich bin überzeugt davon, dass wir wundervolle Schätze vor unserer Haustür haben. Dass ein Reisen in die Ferne gar nicht so wichtig ist. Und gleichzeitig kann ich aus meiner eigenen Erfahrung nur betonen, wie wertvoll es für mich war, mit 18 Jahren Deutschland, ja gar den ganzen Kontinent Europa einmal zu verlassen und aus der Ferne, aus einem anderen Milieu, aus einer anderen Kultur auf meine Heimat zu schauen. Der Blick, der sich weitet, die Chance die eigene Welt oder auch „Bubble“ mal aus einer anderen Perspektive, und zwar von außen zu betrachten, ist ungemein wichtig und wertvoll. Gefangen im eigenen Sumpf ist es schwer zu erkennen, ob hinter dem Berg auch noch Sumpf ist oder gar ein gigantischer See, ein wundervoller Wald oder ähnliches. Und wie sieht eigentlich die Frucht der Cashewnuss aus? Wie wächst die Ananas und wo wird das ganze Kraftfutter für die Schweine- & Rindermast produziert? Wir nutzen und konsumieren Dinge, deren Herkunft & Produktionsfolgen in fernen Ländern wir nicht einmal kennen. Oder zynisch gesagt vielleicht auch besser nicht wissen wollen.

Ich rufe hiermit ganz und gar nicht zum ständigen Fernreisen auf. Mehr zum einmaligen. Zwei, dreimal im Leben eine längere Reise in die Ferne unternehmen. Eine Reise, die dann auch die Begegnungen mit den Einheimischen zulässt. Und Reisen kann dann ja auch nochmal auf sehr unterschiedliche Art und Weise passieren. Zu den gigantischen Kreuzfahrten muss ich beispielsweise leider aus sozio-ökologischen & klimatischen Gründen abraten. Einladen hingegen würde ich zu kleinen Kreuzfahrten, wie z.B. mit dem Amazonasdampfer 3-4 Tage auf dem Amazonas. Diese Boote sind verhältnismäßig klein, bewegen sich sehr gemütlich und in der Hängematte ist es ein wahrer Traum. Stunden- oder sogar tagelang kannst Du in der Hängematte vor Dich hinbaumeln. Aber eins nach dem anderen. Wir reisen jetzt erstmal nach Venezuela an den Rand Amazoniens. Bleib gespannt!

 

Quellen:

1) https://planetwild.notion.site/Mission-29-Xingu-Sources-22569e032b19808aa7b7feff15c1a1b2