Volle Fahrt voraus nach Belém – mit den Bummeldampfern zur Klimakonferenz


Es tut gut, die Hitze der Amazonasmetropole Manaus zu verlassen. Auch, wenn ich mittlerweile schon einige Wochen in der tropischen Hitze unterwegs bin, Manaus war nochmal ein neues Level. Unser Ziel ist nun die Kleinstadt Santarém, wo wir in die ‚Oase‘ Alta-do-Chao eintauchen wollen, um nochmal so richtig in die Schönheit Amazoniens abzutauchen, bevor es dann in die Großstadt Belém geht. Gefüllt mit guten Erfahrungen und der wundervollen Begegnung mit Schwester Elis, die einen wahrlichen Hoffnungsschimmer in der Amazonasmetropole darstellt, atme ich nun durch.

Baumle einfach hin und her und snacke kandierte Cashewnüsse. Wusstest Du, dass in der Amazonasregion Cashews geerntet werden? Und hast du schonmal in die überaus saftige Frucht gebissen? Ich hatte bis diesen November keinen blassen Schimmer davon, wie die Frucht aussehen könnte. Auch wusste ich bis dato nicht, dass die Cashewnuss unbedingt geröstet werden muss, da sie sonst giftig bleibt.

So eine Amazonasbummelei ist entschleunigend, unterhaltsam und simple. Unsere Alternative wäre das Fliegen gewesen. Gewiss wäre es viel schneller gewesen, aber vielleicht auch etwas zu schnell? So lehr- & begegnungsreich sicherlich nicht. Und auch wenn das Boot mit Treibstoff angetrieben wird, dürfte es immer noch deutlich umweltfreundlicher sein als der Flieger. Mein Blick schweift zum Ufer dieses gigantischen Flusses Amazonas mit seinem karamellfarbenen Wasser. Am Morgen erzählte mir mein Uber-Fahrer: „Mindestens drei Mal müsste das Wasser des Amazonas den Reinigungszyklus durchlaufen, damit es trinkbar wird.“ Der Amazonas ist verseucht.

Wasser, Flüsse – das wird, wie wir in den nächsten zwei Wochen feststellen, eins der ganz großen Themen, um das hierzulande gekämpft wird. Kein Wunder – schließlich ist es ‚das Quell des Lebens‘. Wie mir der indigene Wilmo erzählt, sind für die Indigenen Wasserfälle beispielsweise heilige Orte. Wir wissen es alle: Ohne Wasser können wir nicht leben. Umso skurriler, dass auf der COP30 – der Weltklimakonferenz – Trinkwasser von einem brasilianischen Bierproduzenten in Form von Bierdosen und auch in Form von Saft-Tetrapacks angeboten werden wird. Wasser getarnt im Biermantel? Sollen wir so vergessen, dass es Wasser ist und keine Droge? Wir begegnen in diesen Wochen durchaus verblüffenden Dingen rund um die COP30. Ziemlich traurig stimmt es uns ehrlich gesagt, als wir erfahren, dass der brasilianische Präsident gerade anfängt, die Zuflüsse des Amazonas zu privatisieren, sodass Megakonzerne die Möglichkeit erhalten, ihn tiefer auszubaggern, was u.a. im Rio Tapajos geplant ist. Passiert dies, wäre ein wahres Desaster für die dort lebenden Menschen, Tiere & die Wasserqualität vorprogrammiert. Denn, um die Schwerlastschifffahrt mit Soja-Frachtern durchgehend (bei schwankendem Wasserstand) zu gewährleisten, benötigt der Tapajos ein Ausbaggern. Dies wiederrum wird jenes Ökosystem zerstören.

In Santarem treffen wir ein paar Tage später den 83-Jahre alten und doch noch sehr eloquenten und fitten Padre Edilberto. Ein Mann, der uns gleich ans Herz wächst. Edilberto ist bodenständig, ein Kämpfer und weit mehr als ein klassischer Priester. Er ist Befreiungstheologe und gründete unter anderem „Rede de noticias da Amazonia“. Dies ist eine „Sendungsbewegung“, wie er es nennt. Man kann es wohl als – vorwiegend konzentriert auf’s Radio konzentriert -, Nachrichtenagentur bezeichnen, die lokale Nachrichten produziert. Aus der Region für die Region. Aus Amazonien für Amazonien gemeint. Sie berichten und wecken somit auf. Lassen Menschen von dem im Hintergrund Gravierendem erfahren. Ein Projekt, welches auch dank der fianziellen Unterstützung aus Deutschland durch u.a. Adveniat weiterlaufen kann. Mit 20 Sendern durch ganz Amazonien verteilt, scheinen sie gut aufgestellt zu sein, um vor allem aus der Sicht der Kämpfer:innen zu berichten. Kämpfer:innen sind in Amazonien vor allem – wie mein Eindruck ist: Indigene, Kirchen und einzelne NGOs, die Indigene unterstützen. Vor allem aber Menschen wie Edilberto, die hier aufgewachsen sind und die fortlaufende Zerstörung durch Goldminen, Sojaanbau, Abholzung und Landraub erfahren und erleiden müssen. Menschen, die nicht weiter zusehen wollen. Und so hat der zweimalige President von Rede Amazonica Padre Edilberto auch noch das „Movimiento Tapajos Vivo“ – eine öffentliche Bewegung gegründet. Denn er ist überzeugt: Wollen wir etwas verändern, sollten wir uns zusammentun. Alleine werden wir nichts bewegen. So kommt auch seine Antwort auf die Frage, was er uns in dieser Zeit raten würde, ganz prompt und ohne zu Zögern: „Kreiert Gruppen der Resistenz. Tut Euch zusammen und unterstützt gemeinsam gute Projekte und erhöht den Druck auf die Regierung.“ Alternativ empfiehlt er andere Gruppen zu unterstützen, sodass diese ihre Projekte realisieren können.

P. Edilberto steht regelmäßig laut auf. So zum Beispiel auch, als in Santarém das “Monstro do Santarém” – das Monster von Santarem gebaut werden sollte. Leider konnte er es nicht ganz verhindern, wenn auch er es zumindest schaffte, in die Diskussionsrunde zu kommen und es etwas zu bremsen. Dieses ‚Monster‘ ist ein Hafen für den Sojaexport nach Europa und Asien für den Toren der Stadt. Für Edilberto ein Verbrechen. Vor allem auch, weil der einzige Strand der Stadt Santarém verbaut wurde, weil der archäologische Wert dieses Ort ignoriert wurde und einen lokalen Fußballplatz haben sie auch noch weggenommen. Die kommerziellen Interessen sind mal wieder größer als das Wohl der lokalen Bevölkerung.

Wir fragen uns: Was für eine Verantwortung tragen wir in Deutschland? P. Edilberto sieht hier vor allem die Vergiftung durch Pestizide (sogenannte Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat), die in Deutschland produziert werden und der Kommerz & Konsum von Soja. Innerhalb der EU ist Deutschland importiert Deutschland am meisten Soja. Jedoch werden schätzungsweise nur 2% des Soja direkt vom Menschen verzehrt. Mehr als rund 75% des angebauten Sojas wird für Tierzucht verwendet. Wenn Du also effektiv etwas verändern willst, wäre eine Möglichkeit, den Konsum tierischer Lebensmittel zu reduzieren. Und nur, um einmal eine Zahl zu hören: Der Sojaanbau in Brasilien war bereits 2014 so immens, dass eine Fläche der Größe Italiens für diese Monokultur verwendet wurde.

Auch auf der COP werde ich mich auf die Suche nach Lösungen begeben. Denn den Kopf in den Sand zu stecken, wird uns langfristig nicht helfen. Doch wenn wir eins können, dann ins Bewusstsein kommen, Zusammenhänge & Systeme verstehen, uns unseres Verstandes & Herzens bedienen und Verhalten & Lebensstil bewusst ändern. (Auch wenn dies immer leichter gesagt als getan ist – ich weiß. ;-))
Nur etwa 45 Minuten Busfahrt entfernt von Santarem erwartet uns ein wahrer Traumort: Alter do Chão. Wir finden uns wieder zwischen Karibikklängen und Cashewtraum. Rastafaris laufen umher, Bob Marley-Musik ertönt. Ich fühle mich wie in der Karibik und muss lachen, als mir Edilberto sagt: „Die Menschen in Alter do Chão sind sehr stolz auf den Ort, weil er wie die Karibik ist.“

5:30 Uhr. Ich luge aus der Hängematte. Mittlerweile hänge ich zwar wieder in der Hängematte, diesmal jedoch zwischen Bäumen am Strand. Welch’ ein Farbenzauber! Die Morgenröte ‚schmeißt‘ mich förmlich aus der ‚(Hänge)matte‘. Ich schlafe in diesen Tagen nicht viel, zu groß ist die Lust, nach Affen, Faultier und Fischadler zu suchen.

Und tatsächlich! Jeden Morgen der paar Tage dort, entdecke ich weitere Tiere. Ich lasse mich faszinieren, begeistern und gehe in der Freude auf, diesen Tieren meine Zeit zu widmen.

Mal beobachte ich einen jagenden Fischadler, mal durch die Baumwipfel springende Affen und an zwei Morgenden auch das zauberhafte Faultier, was sich ehrlich gesagt ganz schön schnell durch die Bäume hangelt.

Die gigantischen Motoren springen wieder an. Freitag, der 7.11.2025.
Wir sind wieder auf dem Boot. Auf einem der vielen Amazonaskreuzer. Mindestens 3x pro Woche fährt ein Boot nach Belém und ich kann es jedem empfehlen, der hier mal unterwegs ist. Es ist ein Ort, der zum Begegnen einlädt. Und man wird immer einen Platz bekommen, denn angeblich könnten hier 1500 Menschen mitfahren, de facto sind es meist aber 200-500. Ein Platz für die Hängematte findet sich jedoch immer. Du kommst einfach auf’s Boot und suchst Dir Deinen Platz zum Übernachten. Den krassen Luxus solltest Du jedoch nicht erwarten. Für umgerechnet ca. 50€ geht es dann zwei Nächte / drei Tage weiter. Von Santarém nach Belém. Am 9.11. sollten wir ankommen, am 10.11. startet dann offiziell die COP30.

Das Boot tuckert los. 24km/h - Höchstgeschwindigkeit. Langsam aber kontinuierlich, ist hier das Motto. 890km liegen vor uns.
Diesmal versacke ich nicht in der Hängematte, denn plötzlich tauchen Delfine auf. Ich springe aus der Hängematte, schnappe meine Kamera und freue mich einfach.

Und dann treffe ich auf eine ganz spannende Gruppe: „Flotilla Amazónica Yaku Mama“. ('Yaku Mama' bedeudet 'Mutter des Wassers') Diese Gruppe besteht aus ca. 60 vorwiegend jungen Indigenen, die sich aus verschiedensten Ländern (Peru, Ecuador, Brasilien, Panamá, Costa Rica, Indonesien, Guatemala, Mexiko…) vier Wochen lang auf den 3000km langen Weg per Booten den Amazonas runterschippernd zur COP30 gemacht haben, weil sie ein ganz besonderes Anliegen haben. „Mein Opa sagte, wir bekommen nicht die Erde, sie wurde uns nur geliehen.“, höre ich einen jungen Indigenen in einer Runde an Deck sprechen. Eine andere fügt hinzu: „Die Erde gibt / schenkt, aber die Erde will auch geschützt werden.“ Diese jungen Menschen sind überzeugt, die COP30 darf nicht ohne sie stattfinden. Warum, das werden wir noch später erfahren.

Doch was ist eigentlich eine COP und was erwartet uns da?
COP bedeutet erst einmal “Conference of the Parties“. Die COP ist von der UN veranstaltet und wird als ausschlaggebenden Moment in der globalen Klimaaktion beschrieben. Hier kommen Präsidenten, Politiker, Wissenschaftler und Zivilgesellschaft zusammen, um sich über Lösungen und Handlungsideen zum Klimawandel zu beraten und speziell auf der COP30 an den Zielen des Pariser Klima-Abkommens weiter zu arbeiten. Warum das so enorm wichtig ist? Es geht nicht einfach nur um das ‚Klima‘, was erstmal sehr abstrakt ist, sondern vielmehr um unser langfristiges Bestehen auf dem Planeten. Auch wir Menschen sind fragil und abhängig. Wir brauchen zum Beispiel Trinkwasser, wir können nur bis zu einer gewissen Tagestemperatur existieren, wir sind auf die Böden und deren ‚Früchte‘ angewiesen. Denken wir an unsere Zukunft und die unserer Kinder kann uns das Thema „Klimawandel“ folglich gar nicht egal sein. Auch wenn es unbequem sein mag. Wir haben ein gemeinsames Haus – diese Erde – zu hüten, damit wir selbst hier gut leben können. (D.h. sogar aus einer egozentrischen Perspektive macht Klimaschutz Sinn.)

Nun gibt es jährlich die UNCCCF (UN Climate Change Conference), 2025 findet die 30. Statt. Letztes Jahr war sie zur gleichen Zeit in Aserbaidschan. Und jedes Jahr wächst die Dringlichkeit und bei manchen auch die Hoffnung, dass Planeten-freundliche Beschlüsse aus dem Gipfel resultieren.
Aber nicht alle sind von der COP überzeugt.
Edilberto beispielsweise fährt nicht zur COP. Er wird das Geschehen aus Santarém begleiten. So hat er vor drei Jahren die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass, als sich die Präsidenten der acht Amazonasstaaten trafen, die 700 Menschen, die an dem Gipfel ebenfalls teilnahmen, überhaupt nicht gehört bzw. einbezogen wurden. Es sei egal, was das ‚Dorf‘ sagt, so der Befreiungstheologe. Dennoch ist er überzeugt, weiterhin die Nachwachsenden ins Bewusstsein gegenüber ihren Nachbarn, ihren Städten und Mutter Natur zu bringen, den so sagt er: Mutter ist am Schreien. Der Planet sei eine gerade eine Katastrophe am Erleben und wir müssen diese läsen. P. Edeilberto glaubt, dass es noch immer möglich sei, wenn auch nicht so einfach. P. Edilberto glaubt in die junge Generation. Ist es darum besser zuhause zu bleiben und nicht zur COP zu fahren? Lasst uns schauen, was uns auf der COP begegnen wird und ob wir uns noch an die Worte Edilbertos erinnern werden…

Ich lasse mich nun erstmal von der kämpferischen Motivation der rund 60 Indigenen auf dem Boot mitreißen und blicke freudig, gespannt und hoffnungsvoll auf diese Tage in Belém.
Im nächsten Beitrag wirst Du dann hören, wie es dort so vonstatten geht, was mein ganz persönlicher Eindruck ist, warum wir als Kirche dort eigentlich mitmischen und weshalb dieser Klimagipfel auch ein Gipfel der Indigenen ist.
Quellen:
https://www.regenwald-schuetzen.org/handeln/nachhaltige-ernaehrung/fleischkonsum-und-soja