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Pastoralreferentin Stephanie Rieth, Mainz-Kastel hr1 Feiertagsgedanken am 19. Juni (Fronleichnam):Gott geht auf die Straße

Heute ist wieder der Tag der Prozessionen, auch in den hessischen Dörfern und Städten und auch auf dem Hessentag. Es ist Fronleichnam. Ein Fest, das kaum einer mehr versteht, das wie aus der Zeit gefallen scheint. Und doch bringt es Gott auf die Straße - als kleines Stück Brot den Menschen nahe, das auch die segnet, die verwundert am Rand stehen.
Stephanie Rieth
Von:
Doris Lieven

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Heute ziehen sie wieder durch die Straßen – die Prozessionen mit Liedern, Weihrauch, einem Baldachin und darunter einem goldgeschmückten Gefäß mit einem Stück Brot darin. So auch auf dem Hessentag heute in Bad Vilbel. Es ist Fronleichnam. Für viele Menschen ist das eine fremde Welt. Für andere verbinden sich damit Kindheitserinnerungen mit Blumenteppichen, Kommunionkindern in festlichen Kleidern, dem feierlichen Segen – und Ferien, also zumindest ein verlängertes Wochenende.

Aber was genau feiern Katholikinnen und Katholiken da?

Genau genommen ist Fronleichnam ein Fest für den Leib. Lebendiger Leib des Herrn, so heißt Fronleichnam in etwa übersetzt. Es geht um den „wahren Leib Christi“ – wie es in der Liturgie zu diesem Tag heute heißt. Das klingt erstmal schwer greifbar. Viele Menschen können damit nichts mehr anfangen. Es ist erklärungsbedürftig, was wir da feiern. Und doch geht es um etwas ganz Einfaches: um Brot - sichtbar getragen durch unsere Straßen.

Gott geht auf die Straße. Was sonst im Inneren der Kirche gefeiert wird, wird an Fronleichnam öffentlich. Es geht raus. Auf die Plätze, in die Straßen, mitten in die Welt. Die Botschaft: Gott ist nicht nur dort, wo gebetet wird. Gott ist dort, wo wir leben. Wo wir einkaufen, arbeiten, unsere Freizeit verbringen, streiten, lachen. Er will mitten unter uns sein – nicht irgendwo hinter verschlossenen Türen, wo nur die einen Zugang haben, die die richtige Sprache sprechen und verstehen. Gott will nicht irgendwo sein, auch nicht weit weg im Himmel.

Und: Fronleichnam will keine Mauern ziehen, sondern segnen. Auch die, die am Rand stehen.

Der große Theologe Karl Rahner hat das einmal so gesagt:

„Die Fronleichnamsprozession ist ein Zug, der niemanden bedroht, keinen ausschließt und der selbst die noch segnet, die verwundert am Rande stehen.“

Was für ein schönes Bild. Es nimmt die Spannung raus. Du musst nicht erst glauben, um gesegnet zu sein. Du darfst zweifeln, ungläubig und verwundert staunen. Du musst dir den Segen nicht erst verdienen. Der Segen ist schon da, lange bevor du es merkst. Manchmal wünsche ich mir das auch für mich und die Menschen, die ich liebe. Gesegnet werden, obwohl ich mir mit mancher Tradition schwertue. Gesegnet sein, obwohl ich manchmal zweifle, obwohl ich manchmal bestimmte Entwicklungen und Äußerungen innerhalb der Kirche nicht verstehe und auch mit Gott manchmal so meine Schwierigkeiten habe. Gesegnet sein, weil ich nach wie vor eine Sehnsucht danach habe, dass Gott mir in meinem Leben begegnet und mich berührt.

Gott begegnet den Menschen und berührt sie mit seinem Segen: Vielleicht ist das nicht gerade die exakte theologische Definition des Fronleichnamsfestes, aber für mich bedeutet es genau das, schon von Kindheit an, als ich noch als Ministrantin oder später mit dem Musikverein die Prozessionen begleitet habe. Gott kommt zu den Menschen und segnet sie, auch wenn sie verwundert am Rand stehen.

Viele Menschen sagen heute: „Mit Kirche kann ich nicht mehr viel anfangen.“ Oft ist da Ratlosigkeit. Die alten Worte bedeuten nichts mehr oder werden schlicht nicht mehr verstanden. 

Vielleicht hat die Fremdheit von Gottesdiensten und von Fronleichnam auch mit unserem Lebensrhythmus zu tun. Alles ist schneller, flüchtiger, lauter geworden. Wer nimmt sich noch bewusst Zeit für einen Gottesdienst, wenn die Woche schon voll ist mit Terminen, To-do-Listen und Nachrichten? Wenn alles zu kurz kommt und ich nicht spüre, dass ich durch die Gottesdienste angesprochen bin, dass ich gemeint bin? Vielleicht sitzen Menschen dann da - innerlich weit weg - und fragen sich: Was hat das noch mit meinem Leben zu tun?

Und dann kommt da dieses Fest, das ganz langsam ist. Prozession - das heißt mit der Musik gehen, anhalten, singen, beten, segnen, weitergehen - mit einem kleinen Stück Brot, das durch die Straßen getragen wird. Man könnte auch sagen: Fronleichnam passt überhaupt nicht mehr in unsere Zeit, es ist wie aus der Zeit gefallen.

Oder vielleicht: Es passt gerade deshalb.

Weil es entschleunigt. Weil es nicht erklären will, sondern einfach zeigt: Da ist ein Gott, der mitgeht. Auch auf meinem Weg. Auch in meiner Unsicherheit. Auch in meinem Zweifel.

Mich erinnert das an eine Geschichte aus der Bibel. Sie steht im Lukasevangelium. Zwei Männer sind unterwegs, von Jerusalem nach Emmaus. Sie sind tief traurig, haben alles verloren, worauf sie gehofft hatten. Jesus ist tot. Die Bewegung, die Menschen, die sich an ihm und seiner Botschaft vom Reich Gottes orientiert haben, ist vorbei. Sie reden, tauschen sich aus. Fragen sich, wie es weitergehen soll. Ratlos. Enttäuscht.

Und da tritt einer zu ihnen hin, ein Dritter, er geht mit.

Und die beiden Männer merken nicht, wer es ist.

Das ist der Moment, der mich berührt: Jesus ist da. Und sie erkennen ihn nicht.

Sie gehen die ganze Strecke zusammen. Er hört zu. Er fragt nach. Er deutet. Aber es bleibt dunkel für sie – bis zu diesem einen Moment: Sie setzen sich zusammen an den Tisch. Er nimmt das Brot. Er spricht den Segen. Er bricht es.

Und plötzlich erkennen sie ihn.

Nicht an der Stimme. Nicht an seinem Aussehen. Nicht an seinem Blick.

Sondern am Brot.

Dann ist er weg. Aber sie wissen auf einmal: Er - Jesus war da, die ganze Zeit. Und sie spüren, dass sie gesegnet aus dieser Begegnung hervorgehen. Gesegnet, gestärkt und getröstet, sodass sie wieder voller Energie und Glauben sind.

Vielleicht - so möchte ich es glauben - ist Gott auch längst mit uns unterwegs. Leise. Unaufdringlich. Vielleicht zeigt er sich nicht in großen Worten, sondern in kleinen Gesten des Miteinanders und im Brot.

Fronleichnam hat für mich eine stille Kraft.

Da geht etwas mit durch unsere Straßen – ein Stück Brot, ganz schlicht. Und doch ist es ein Zeichen dafür, dass Gott da ist. Auch wenn ich ihn nicht sehe. Auch wenn ich zweifle. Auch wenn die Welt von Krieg, Terror, Hungersnöten und Machtspielen ganz gottlos erscheint.

Manchmal geht es mir angesichts dieser Realität so wie den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus: Sie fühlen sich niedergeschlagen, ohne klare Richtung. Aber der Segen geht trotzdem mit, daran will ich glauben.

Die Sprache und Rituale der Kirche sind heute nicht mehr selbstverständlich. Aber vielleicht braucht es solche Momente, wie die Fronleichnamsprozessionen, die trotzdem wirken – auch heute bei der Prozession auf dem Hessentag. Momente, die sich nicht aufdrängen. Die einfach da sind – wie der Segen, der auch die erreicht, die scheinbar außen stehen.

Jesus sagt von sich selbst: „Ich bin das Brot des Lebens.“

Er sagt nicht: Ich bin die Lösung aller Probleme. Nicht: Ich bin die Antwort auf alle Fragen.

Sondern: Ich bin Brot. Etwas, das nährt, etwas, das mich für das Leben stärkt.

Vielleicht ist Fronleichnam auch ein Fest für das, was uns fehlt. Für den Hunger nach mehr. Nach Tiefe in unserem Leben, nach Gott – auch wenn wir ihn kaum benennen können.

Und vielleicht wirkt dieser Segen gerade dort, wo Menschen sich gar nicht sicher sind, ob sie überhaupt noch glauben können.

Ich finde das tröstlich. Denn für mich heißt das: Du darfst einfach da sein, mit allem, was dich ausmacht.
Und vielleicht spüren: Da ist jemand, der mitgeht und dein Leben segnet.