Ich bin der gute Hirte

Ansprache 4. Sonntag der Osterzeit

Datum:
So. 25. Apr. 2021
Von:
Dorothea Busalt

Liebe Gemeinde,

jeden Sonntag sind mein Mann und ich zur Zeit im Odenwald unterwegs. Vorletzten Sonntag haben wir das Mähen eines Lämmchens gehört. Sofort habe ich gesucht, wo sich das Lämmchen befindet, weil es so eindringlich und hilferufend geklungen hat. Vielleicht ist das so ein wenig ein Mutterinstinkt, der da durchkommt. Aber sowieso ist es selten, Lämmer Schafe und einen Hirten oder Schäfer heutzutage zu sehen und ihnen zu begegnen. Die Aufgabe des Hirten ist, für die Schafe zu sorgen, sie zu beschützen ohne den Einsatz zu scheuen.

Vor allem in den ersten Jahrhunderten hatte das Bild vom guten Hirten unter den Christen einen besonderen Platz. Aus all den Bildern für Gott – Burg, Licht, Fels,- aus all den Ich-bin-Worten, die Jesus von sich sagt: Ich bin die Tür, das Brot, der Weinstock, der Weg,– aus all diesen doch auch sehr starken Bildern vom Leben haben die Christen im 3. und 4. Jahrhundert den guten Hirten ausgewählt. Noch lange bevor das Kreuz zum Zeichen des Christentums wurde, war es das Hirtenmotiv. 

Vielleicht waren sie bei einem Besuch in Rom schon einmal in den römischen Katakomben:  in dieser Zeit, wo dort die Toten begraben wurden und sich die Gemeinden zum Gottesdienst trafen, im Verborgenen, weil sie Verfolgungen ausgesetzt waren... Hier gibt es die ältesten bildlichen Darstellungen und Skulpturen vom guten Hirten. Das  ist meist ein lächelnder junger Mann auf grüner Wiese, Christus, der ein Schaf auf den Schultern trägt. Und die Botschaft ist klar: Da, wo der irdische Weg des Menschen zu Ende ist, zeigt der gute Hirte den Weg zur Ewigkeit. Da wo Beziehungen abreißen, bleibt etwas erhalten: die Liebe. Ein Trostbild für Trauernde und Sterbende.  

In dieser Zeit des 3. und 4. Jahrhundert passt dieses Bild vom Hirten mit dem Lamm auf der Schulter noch in die Lebenswelt der Menschen und war im Orient weit verbreitet. Unddas Hirtenamt wird auf Herrscher und Verantwortungsträger übertragen. "Weiden" kann auch "Regieren" meinen. Zu den Aufgaben eines gerechten Herrschers gehört auch damals der Schutz der Schwachen. 

Die Kirche hat dieses Bild vom Leitungsamt übernommen und auf Bischöfe und Priester, Pastoren, übertragen. Das Hirtenamt ist so alt wie die Kirche selbst. Sobald dieses Bild jedoch an Macht gekoppelt ist, wird es schwierig. Da bleibt immer die Versuchung, seine Macht zu missbrauchen. Wie ist es dann mit dem Schützen, Begleiten, HütenBewahren? Für mich taugt dieses Bild dann in dem Zusammenhang eigentlich nicht mehr. Wir kennen alle den Psalm 23 vom guten Hirten: er, der Hirte, lässt lagern auf grünen Auen und führt zum Ruheplatz am Wasser. Überall auf dieser Welt haben diese Hirten Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen Gewalt angetan.  Und es gibt die Hirten, die ihre schützende Hand über die Täter halten. So ist die Frage schon berechtigt: Taugt es auch in Zukunft als Bild für kirchliche Leitungsämter, als Bild für Verantwortung? 

Im heutigen Evangelientext unterscheidet Johannes das Bild des guten Hirten vom Bild des bezahlten Hüters, der sich bei Gefahr selbst in Sicherheit bringt und die Herde im Stich lässt. Scheinbar kannte Johannes diese Gefahr, dass Menschen dieses Bild des Hirten und das Bild des Hüters vermischen. 

Im alten Israel gab es nämlich die Redewendung: sich selbst weiden. Da will ein Hirte nur für sich selbst sorgen. Das Hirtenbild ist schon in der Bibel umstritten, Hirten, Verantwortungsträger stehen in der Kritik. Der Prophet Ezechiel mahnt: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 

Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 

Diese uralten Prophetenworte sprechen für sich. 

In der Vorbereitung auf die Ansprache habe ich etwas gelesen, was ich ihnen auch noch mitgeben möchte. Die Hirtenrede Jesu aus dem Johannesevangelium ist in der Zeit des Nationalsozialismus von entscheidender Wichtigkeit gewesen. Die Christen der Bekennenden Kirche, der Oppositionsbewegung evangelischer Christen in dieser Zeit, beriefen sich auf diese Aussage: Jesus Christus ist der gute Hirte, der allen Ansprüchen von menschlichen Führern vorzuziehen ist und auf den allein in Kirche und Gemeinde zu hören ist! So haben sie sich ihre innere Freiheit bewahrt und dieses Bild gegen das System derjenigen gesetzt, die Menschen manipuliert und für ihre Zwecke aus Machtgier missbraucht haben. 

Ich glaube, es ist gut, dieses Bild des guten Hirten nur mit Jesus, Gott, in Verbindung zu bringen. Der Platz des guten Hirten ist und bleibt besetzt. "Ich bin es" sagt Jesus im Johannesevangelium.  Natürlich gibt es viele Menschen, die mir zugewandt sind und denen ich zugewandt bin, die sich um mich kümmern und um die ich mich kümmere, wenn ich Not sehe. Und auch als die, die wir Verantwortung tragen, sei es als Mutter, Vater, Großeltern, Chefs, in LeitungsfunktionenAber dies ist eine andere Ebene, eine menschliche, die Grenzen und Unzulänglichkeiten kennt. Der gute Hirte ist für mich ein unverzichtbares Bild der Liebe. Er hat sein Leben hingegeben für uns und darüber hinaus gilt das nicht nur für die Juden damals und die Christen heute, sondern der ganzen Welt. Wenn ich dann bei Beerdigungen öfters einmal den Psalm 23 bete, dann merke ich, wie wirksam diese Stimme des guten Hirten, des auferstandenen Christus ist. Sie schenkt uns einen Mut, den wir uns nicht erklären könnenweil sie den Tod kennt – und überwand.