Hildegardkirche

Hildegardkirche

Dem nüchternen Betonbau der Hildegardkirche sieht man auf den ersten Blick nicht an, welche gestalterischen Probleme er dem Architekten stellte.

Einerseits sollte die Kirche nach Süden einen monumentalen Abschluss des Tivoliparks bieten und musste die Wohnblocks am Parkrand überragen, andererseits durften die Baumassen der Kirche nicht die Zweifamilienhäuser an ihrer Nordseite optisch erdrücken. Die Lösung war der breite, hohe gerundete Chor nach Süden, von dem aus die Seitenwände nach Norden zusammenliefen und das Dach sich senkte. Um den Raumverlust auszugleichen, wurden im nördlichen Teil der Kirche links und rechts ein sich nach hinten verbreiterndes kleines Seitenschiff angesetzt. Fertig geplant war auch ein Turm in beherrschender Stellung an der Ecke Beethoven-/Johann-Sebastian-Bach-Str., der die städtebauliche Wirkung der Kirche abgerundet hätte. Aus Geldmangel konnte er aber nicht mehr ausgeführt werden.

Im Innern entstand durch diese Baugestaltung ein sogenannter „einläufiger Raum“ der sich in die Breite nach dem Altar zu weitet, dessen großgeschuppte Akkustikdecke zum Chor hin ansteigt während der Fußboden abfällt. Mit diesem architektonischen Kunstgriff scheinen die Gesetze der Perspektive aufgehoben zu sein, was dem Raum eine eigenartig schwebende Wirkung verleiht. Verstärkt wird diese Wirkung noch durch die in allen Farben glühenden Fenster aus französischen Gläsern, die großen Wandteppichen vergleichbar, dem Raum einen ungewöhnlich sakralen Eindruck verleihen. Die Fensterunterkante senkt sich in einem Bogen zum Altar hin, und die immer größer werdenden Fenster betonen die Rundung des Raumes, der den Altar umfängt. Die hinter dem Altar aufsteigende Betonwand und die beiden Doppelstützen zu beiden Seiten fangen die Bewegung der Fenster auf und schaffen eine ruhende Zone. In die fächerartig sich ausbreitende Decke wurde das indirekte Licht derart eingebaut, dass keine Pendelleuchten den Raum stören und bei Dunkelheit die Fenster nach außen hin in einem herrlichen Farbenspiel erglühen.

Die Kirche bietet einen gewaltigen Versammlungsraum für die Gemeinde, in den Eckkapellen aber auch kleine Räume für den einzelnen Beter, der dabei aber volle Sicht zum Altar hat. Bei den Fenstern der Eckkapellen wurde ein Gedanke der gotischen Kathedralen wieder aufgegriffen: Stilisierte in Stein gebrannte Dämonen müssen den Kirchenbau tragen.

Der Bau der Kirche begann am 9. September 1963 mit den Erdarbeiten. Vier Architekten hatten sich mit sechs Entwürfen  an dem ausgeschriebenen Wettbewerb beteiligt. In Auftrag gegeben wurde der Entwurf des Oberstadtbaudirektors von Ludwigshafen a. D. Dr. Karl Lochner. Für die Planung der Detailarbeiten standen ihm die Viernheimer Architekten Joseph und Hans-Joachim Ziegler zur Seite. Als am 30. März 1964 Generalvikar Ludwig Hähnlein die feierliche Grundsteinlegung vornahm, standen bereits die Stahlkonstruktion mit Rund- und Kastenstützen und einer maximalen Spannweite von 25 m. Sie trägt das Dach und an ihr wurden die Fensterrippen aufgehängt. Die Firma Schmid in Baiersbronn entwarf und schuf die 600 qm Fenster, die größte Betonglasfensterfläche Deutschlands. Da ab dem späten Vormittag das Licht von vorn in die Kirche einfällt, musste durch eine entsprechende Farbgebung eine Blendung verhindert werden. Der Einbau der Akkustikdecke nahm 8 Wochen in Anspruch. Auch bei ihr zeigte sich wieder welche Schwierigkeiten beim Kirchenbau zu überwinden waren, da der Grundriss keinen einzigen echten Winkel aufweist. Schon beim Abstecken des Grundrisses mussten alle Punkte mittels trigonometrischer Berechnung gefunden werden. In der Decke wurden neun Lichtbänder installiert, deren 7500 Volt Leuchtröhren ein warmes Licht von enormer Leuchtkraft ausstrahlen.

Der Innenanstrich der Sichtbetonwände musste vorerst aus Geldmangel zurückgestellt werden. Die Baukosten von 1,3 Millionen DM wurden zu 36%  von der Diözese Mainz, zu 50% von der Pfarrei St. Marien durch Grundstücksverkaufe und zu 14% durch Spenden Viernheimer Katholiken und des Kirchenbauvereins St. Hildegard aufgebracht. Die Stadt Viernheim hatte kostenlos den Bauplatz und einen Geldbetrag zu Verfügung gestellt. Der Bischof von Mainz Dr. Hermann Volk konsekriert die Kirche am 12. März 1966.

Nach der Weihe der Kirche musste die Gemeinde erst Schulden abtragen, bauliche Nachbesserungen an der Kirche vornehmen und für die Einrichtung der Sakristeien und angebauten Gemeinderäume sorgen. Die jahrelangen Wartezeiten erlaubten aber Ideen zur weiteren Ausgestaltung der Kirche ausreifen zu lassen. Dr. Lochner und Joseph Ziegler waren inzwischen verstorben und konnten keine Anregungen mehr beitragen. Der Viernheimer Maler Ludwig Reischert hatte zur Weihe der Kirche das Altarkreuz gestaltet aus einem vorhandenen Eisenrahmen und dem Corpus eines durch Verkehrsunfall zerstörten Feldkreuzes. Er brachte dann auch noch den Vorschlag, dem Kirchenraum aus Beton, Glas und Stahl durch Kupfer Wärme zu geben und entwarf das Emporengeländer. Die Goldschmiede Ludwig Wuchsa führte 1972 diese Arbeit aus und schuf 1978 den Tabernakel aus Kupfer, Gold und Bergkristall, 1979 dann den Lesepult aus gleichen Materialien und das Kreuz über der Kirchenfassade.

Glanzstück der Kirche wurde sowohl musikalisch wie optisch die 1976/77 von der Firma Gebr. Oberlinger in Windesheim gebaute Orgel mit 22 Registern und 1842 Pfeifen. Das Eichenholzgehäuse, von der Herstellerfirma selbst als ihr schönstes Werke bezeichnet, bezieht optisch geschickt den Leiter- und Rohrschacht an der Rückwand der Kirche mit ein und löste damit ein schwieriges gestalterisches Problem der Kirche. Domkapellmeister Hain gab der Orgel, am Weihetag der Kirche, dem 12. 3. 1977 die kirchliche Weihe. Der Verwaltungsrat der Pfarrei hatte die Orgel nur als Teilebau mit 10 Registern geplant, aber eine große Begeisterung der Gemeinde ermöglichte dann die Nachbestellung des ganzen Werkes. 1966 hatte der Pfarrer von St. Marien Dr. Nikolaus Hattemer († 1970) der von ihm erbauten Kirche zur Weihe ein kleines Orgelpositiv mit 7 Registern geschenkt.