© Eakrin | stock.adobe.com
7. März 2023
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Zu allererst möchte auch ich mich bei den vielen Betroffenen von sexualisierter Gewalt bedanken, die den Mut hatten, von ihrer Geschichte zu erzählen. Ohne sie gäbe es diese Studie nicht. Ich bin durch meine tägliche Arbeit mit vielen Inhalten, die in die Studie Eingang gefunden haben, vertraut. Die Erlebnisse von Betroffenen jedoch in dieser Dichte und Brutalität lesen zu müssen, hat mich bestürzt.
Wir haben schonungslos erfahren und erkennen an: Da ist in zweifacher Weise Unrecht geschehen, das zum Himmel schreit. Durch den Missbrauch, den Betroffene erleben mussten und durch die Art und Weise, in der damit umgegangen wurde. Ich kann nur erahnen, wie sehr die Erinnerung und die Schilderung der Vorgänge für viele Betroffene nach wie vor mit schwersten Belastungen verbunden sind. Es bleibt der Missbrauch und der Umgang damit als furchtbares Verbrechen Einzelner, aber zugleich auch als Versagen der Institution.
Bei der Aufarbeitung dieses Verbrechens wird es unumgänglich sein, dass wir in der Kirche mehr und mehr lernen, uns auf Augenhöhe zu begegnen. Kein Mensch gehört auf ein Podest: kein Priester, keine Amtsträgerin, kein Mitarbeiter, kein Bischof. Die Überhöhung von Menschen hat wesentlich dazu beigetragen, dass Missbrauch in diesem Ausmaß möglich war – das haben die Autoren der Studie in der systemischen Auswertung überzeugend dargelegt.
Die EVV-Studie zeigt klar und deutlich, wo unsere weiteren Aufgaben im Bereich von Intervention, Aufarbeitung und Prävention liegen. Dafür habe ich als Bevollmächtigte des Generalvikars Verantwortung übernommen und trage diese gemeinsam mit dem Bischof und dem Generalvikar. Und ich bin mir der besonderen Aufgabe bewusst, dass ich als nicht-geweihte Person, als Frau in der Bistumsleitung, eine Perspektive einbringe, die den bisherigen rein innerklerikalen Umgang mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs durchbricht.
Wie können und müssen wir nun weitergehen, wie weiterarbeiten mit den Ergebnissen der Studie?
Governance ist ein entscheidendes Thema, wenn wir das, was in der Vergangenheit geschehen ist, in Zukunft verhindern wollen. Wir müssen größte Sorgfalt darauf verwenden, in den Bereichen von Organisation, Führung und Kontrolle unserer Institution nachhaltige Konzepte zu entwickeln. Oder unsere schon bestehenden Konzepte in der Intervention und in der Prävention aber auch darüber hinaus immer wieder zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Der Bischof hat es gesagt: Wir fangen nicht bei null an und zugleich sind wir noch lange nicht am Ende. Wir dürfen nie an ein Ende kommen.
Und – das hat die Studie auch gezeigt – wir haben einige Dilemmata zu berücksichtigen und auszuhalten, die ich aus meinem alltäglichen Tun sehr gut kenne, und für die es keine einfachen Lösungen gibt. Und wir sind uns bewusst, dass diese Dilemmata immer auch Kritik auslösen.
Wir wollen mit Betroffenen in einem zuverlässigen Kontakt bleiben. Unsere Aufgabe dabei ist: Wie gelingt es uns, in der Spannung zwischen individuellem Bedarf und der Notwendigkeit von Standardisierung, dem bzw. der Einzelnen gerecht zu werden? Wie können wir Betroffenen, die das wollen, in angemessener Weise eine spirituelle Hilfestellung geben, gerade wenn doch der Missbrauch Menschen ihre geistliche Heimat geraubt hat?
In unseren Koordinationsstellen Intervention, Aufarbeitung und Prävention haben wir dazu unser Personal verstärkt und die Ressourcen nahezu verdoppelt. Dennoch bleiben die Aufgaben gewaltig.
Wir haben unsere Meldewege klar und transparent beschrieben. Bis heute arbeiten wir daran, dass diese auch konsequent und richtig angewendet werden, was vor Ort immer wieder auch mal eine Herausforderung ist. Im Umgang mit Meldungen von jeglicher Form sexualisierter Gewalt ist kein Spielraum für Toleranz, auch wenn mancher uns deshalb Rigorismus vorwirft. Wir müssen trotzdem vorläufig aus präventiven Gesichtspunkten Maßnahmen ergreifen, ohne dabei die Unschuldsvermutung in Frage zu stellen. Wir erleben auch, dass dies nicht immer ausreichend differenziert wahrgenommen wird.
Zugleich haben wir Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn ihnen gegenüber ein Vorwurf geäußert wird; und wir entwickeln Maßnahmen, mit denen wir auch dieser Situation gerecht werden können. Die Studie zeigt uns die Notwendigkeit, diese Bemühungen auf allen Ebenen weiterzuführen. Das heißt: Im Umgang mit Beschuldigten und Tätern werden wir noch mehr konzeptionell sichern, wie wir Verantwortungsträger in den Pfarreien und Einrichtungen aber auch in anderen Diözesen, in Ordensgemeinschaften oder im Ausland in die Lage versetzen, beispielsweise die Kontrolle von Auflagen zu gewährleisten.
Vor allem aber müssen wir mit den Gemeinden, mit den Gremien und Gruppen in unseren Pfarreien und Einrichtungen noch stärker ins Gespräch kommen. Aufarbeitung muss auch vor Ort möglich werden. Wir müssen eine Erinnerungskultur schaffen, die nicht überdeckt, sondern sichtbar macht, was Menschen an verschiedenen Orten und durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Kirche erleiden mussten. Wir haben es an vielen Orten mit hochgradig irritierten Systemen zu tun, weil nach einem Missbrauch, der sehr lange zurückliegen kann, zwei Wahrheiten vorherrschen. Die, die von dem Missbrauch wissen, weil sie ihn selbst erlebt haben, oder weil sie Zeuge oder Zeugin wurden. Und die, die sagen: Das kann nicht sein, das kann und will ich mir nicht vorstellen.
Und das, was Herr Weber und Herr Baumeister in der Studie eindrucksvoll mit zahlreichen Zitaten aus ihren Gesprächen belegen, das erlebe ich noch heute. Es findet an manchen Orten immer noch eine unerträgliche Solidarisierung mit möglicherweise Beschuldigten und gegen möglicherweise Betroffene statt.
Ja, wir müssen darüber reden, im Gespräch bleiben, Verantwortliche in den Pfarreien sprachfähig machen, denn Missbrauch hat eine zerstörerische Kraft. Und damit werden wir die Gemeinden nicht alleine lassen. Ich bin überzeugt: Am Ende ist das Gespräch die wirksamste Prävention - neben allen Maßnahmen, wie zum Beispiel die Institutionellen Schutzkonzepte, die auf der Ebene unserer Pfarreien und Pastoralräume gerade erarbeitet werden. Wir müssen gerade dort noch mehr für die Sensibilisierung und die Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch sorgen, damit Kinder, Jugendliche und Erwachsene an den Orten, an denen Kirche handelt, sicher sind, damit sie Schutz und geistliche Heimat finden und ihr Vertrauen nicht enttäuscht wird. Eine Kultur der Achtsamkeit, mit Blick auf die eigenen Grenzen und die anderer, muss noch mehr zur unerlässlichen Voraussetzung unseres Handelns werden.
Ein Anrufer bei unserer Hotline, am letzten Wochenende hat angemerkt: „Ich treffe in meiner Pfarrei auf allen Ebenen auf Verharmlosung und Leugnung. Ich wünsche mir, dass die Bistumsleitung alle Möglichkeiten ausschöpft, um auf die Pfarreien einzuwirken, offen mit dem Thema sexualisierte Gewalt umzugehen. Das muss an den untersten Ebenen ankommen.“
Eine besonders deutliche Erkenntnis der Studie ist auch: Wir müssen uns vor allem hinsichtlich der systemischen Beobachtungen und Ergebnisse in all den bisherigen Aufarbeitungsstudien noch viel mehr im überdiözesanen und gesellschaftlichen Dialog vernetzen.
Diesem Anliegen sehe ich mich in gemeinsamer Verantwortung mit dem Generalvikar und dem Bischof verpflichtet, und ich werde möglichst umfassend nicht nur unsere Unabhängige Aufarbeitungskommission, sondern auch Betroffene von sexualisierter Gewalt in die Schritte unseres Handelns einbeziehen. Dafür stehe ich ein.
Zum Schluss möchte ich Sie noch auf zwei Dinge hinweisen:
Unsere Telefonhotline, an die sich Menschen mit ihren Fragen und Anliegen zur EVV-Studie wenden können, ist bis zum 17. März unter 06131/253-522 erreichbar – bis zum 10. März von 8:00 bis 20:00 Uhr, in der Woche vom 11. bis 17. März von 10:00 bis 18:00 Uhr. Eine E-Mail in diesen Anliegen können Sie senden an: kontakt@bistum-mainz.de .
Außerdem werden Bischof Kohlgraf und ich in 5 Dialogveranstaltungen auch in den Regionen des Bistums zum Gespräch zur Verfügung stehen:
13. März in Offenbach um 19:30 Uhr
16. März in Mainz um 19:30 Uhr
23. März online um 19:30 Uhr
24. März in Gießen um 19:30 Uhr
27. März in Bürstadt um 19:30 Uhr
Anmelden können Sie sich jeweils über unsere Homepage:
bistummainz.de/gegen-sexualisierte-gewalt