Der Entwurf überzeugt die Jury durch sein deutungsoffenes Konzept, das in der plastischen Gebrochenheit des Spiegels Raum für urchristliche Themen wie die Ebenbildlichkeit vs. Sündenfall sowie für moderne Fragestellungen wie Selbstverwirklichung vs. Narzissmus bietet. In seiner Ganzheit kann ein inkarnatorisches Prinzip entdeckt werden. Die moderne wertige Gestaltung entspricht der Bedeutung des Kirchenbaus, dessen neogotischen Formgebung sehr gut aufgegriffen und ergänzt wird. Die wartungsarme, dauerhafte und zugleich interaktive Gestaltung überzeugt für ein Kunstwerk, das auch zukünftige Generationen anregen kann. Die Jury sieht im Spiegelrelief den Entwurf mit der größten Tiefe. Im Unterschied zu den übrigen Entwürfen nimmt bei eingehender Beschäftigung mit dem Kunstwerk der Facettenreichtum zu. Es inspiriert zu immer neuen Fragestellungen ohne zu erschöpfen und durch vorschnelle Deutungsangebote langweilig zu werden. Das Werk lädt ein, Gott in der eigenen Gebrochenheit und jener der Welt um uns herum immer wieder neu zu begegnen.
Die Installation eines Spiegels an einer Kirche ist ungewöhnlich und wird manchen Betrachter irritieren. Der Spiegel bietet dem Betrachter nicht direkt eine Botschaft auf den ersten Blick. Er regt zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung ein.
Indem der Spiegel dem Betrachter die Welt des Betrachters entgegenwirft, thematisiert er automatisch das Verhältnis des Betrachters zu seiner Umwelt. Für einige Menschen (kirchennahe) mag dies die Frage nach der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott oder nach der Welt als von Gott durchwirkte Schöpfung sein, für andere die Frage nach dem eigenen Stand im Leben, dem wahrnehmen, erleben, ausschöpfen der Lebensmöglichkeiten. Zugleich zeigt sich der Spiegel dem Betrachter als „gebrochener Spiegel“, womit der Sündenfall, die Fehler (in) der Kirche (z.B. Missbrauch), sowie die Gebrochenheit und Unperfektheit der Welt aufgegriffen wird (Negation des „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land?“).
Der Spiegel ist aber nicht einfach nur zertrümmert, sondern die Spiegelfragmente sind räumlich angeordnet. Hierdurch wird in die Gebrochenheit die gesamte Umwelt mit in den Blick genommen und einbezogen. Ein Blick allein auf das eigene Selbst ist nicht möglich. Der narzisstische Überhöhung des Ichs, ob beim Turmbau zu Babel oder eine individualistische Selbstoptimierung, wird eine Absage erteilt. Der plastisch gebrochene Spiegel knüpft damit gut an die Namenspatronen der Kirche an. Die Heilige Elisabeth wählt in der Auseinandersetzung mit sich selbst, ihrer Umwelt und mit Gott die Hinwendung zu den Nächsten.
In dieser Gesamtheit verwirklicht der Spiegel ein gleichsam inkarnatorisches Prinzip (Erscheinen Gottes in der Welt). In Jesus von Nazareth wurden die Erwartungen der Menschen zunächst enttäuscht. Ein Messias, der Leben, Gesundheit, Wohlstand und Freiheit bringt, war mit einer starken Königsgestalt verbunden. Ein Junge aus armen Verhältnissen, der als junger Mann ohne festen Wohnsitz herumzieht, sich mit jedem abgibt und dann verhaftet und gekreuzigt wird, irritierte. Auch der Spiegel verweist scheinbar nicht direkt auf Gott. Doch ähnlich wie bei der Menschwerdung Gottes kann im Spiegelrelief die Begegnung mit dem nur Gewöhnlichen, im eigenen Abbild, mit den Mittmenschen, der Umwelt und dem Gebrochensein, zur Begegnung mit Gott selbst werden.
Wenn der Betrachter vom Spiegel zurücktritt, wird trotz der Gebrochenheit in der Gesamtheit eine versöhnende/erlösende Schönheit deutlich. Durch die Höhe der Nische wird der Blick nach oben gelenkt. Am Tag ist ein helles Erscheinungsbild zu erwarten, bei dem Himmel (teilweise entspricht auch die Formgebung der einer Sonne) und Erde einander begegnen/durchweben. Die Laterne wird den Spiegel bei Nacht vermutlich in unterschiedlichen Grau-/Orangetönen schimmern und flackern lassen.
Das Spiegelrelief fügt sich gut in das Gesamtensemble des Kirchbaus ein. Es bezieht die gesamte Kirchennische ein, sowohl die Wandfläche als auch die räumliche Tiefe. Für den Betrachter ergibt sich aus jeder Perspektive ein neuer Eindruck. Das Relief weckt die Neugierde sich unterschiedlich vor dem Spiegel zu platzieren und mit einer Veränderung der Wahrnehmung des Kunstwerks „zu spielen“.
Im Gesamtkonzept der Kirche spielt das Thema Licht eine Rolle. Wird im figürlichen Elisabethfenster das Leben der Heiligen dargestellt und in die 90er übertragen, taucht das Schöpfungsfenster die Kirche je nach Tag in ganz unterschiedliches Licht und lässt die Betrachter in eine Auseinandersetzung mit ihrem Leben eintauchen. Das Spieglrelief bezieht nun den Betrachter und seine Umwelt durch die Licht-Spiegelungen direkt in das Kunstwerk mit ein. Damit strahlt die Botschaft der Kirche nicht nur nach außen, sondern die Menschen und das Viertel werden gleichsam in die Kirchennische hineingeholt.
Die verwendeten Materialien eines robusten Glasspiegels versprechen eine wartungsarme, dauerhafte Installation, die zugleich interaktiv ist.
Der Entwurf setzt die Entfernung des Gitters voraus.
Eine metallene Einlassung in den Gehweg, die in einer gefalteten Sitzstufe vor dem Podest mündet, ist zu prüfen. Sie würde die Aufmerksamkeit auf die Nische erhöhen, neue Perspektiven ermöglichen und zum Verweilen einladen.
Anlässlich des 120. Jubiläums waren waren Studierende der Hochschule Darmstadt/Fachbereich Gestaltung ab September 2024 im Rahmen eines Künstler:innen-Wettbewerbes zur Erarbeitung von Entwürfen eingeladen. Im Rahmen von zwei Seminaren mit Frau Prof. Jenny 8 del Corte Hirschfeld beschäftigten sich Studierende mit dem Kirchbau und erarbeiteten Entwürfe.
Ein Zwischenstand wurde der Gemeinde beim Pfarrfest präsentiert. Final wurden sieben Entwürfe eingereicht. Nach Begutachtung durch die eingesetzte Jury wurde eine Reduktion auf fünf Entwürfe vorgenommen, die der Gemeinde beim 120. Jubiläum vorgestellt wurden. In den kommenden Wochen hatten die Gemeindemitglieder die Möglichkeit, Rückmeldungen zu den finalen Entwürfen einzureichen und ihr Votum zu einem Stimmungsbild abzugeben, wovon zahlreich Gebrauch gemacht wurde.