Schmuckband Kreuzgang

"Jesus predigt nicht die Liebe, er lebt sie"

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest der Geburt des Herrn im Dom zu Mainz, 25. Dezember 2022

Bischof Peter-Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Bischof Peter-Kohlgraf
Datum:
Di. 3. Jan. 2023
Von:
Helena Doetsch

Mit diesen Worten ist die Predigt von Bischof Kohlgraf vom 1. Weihnachtstag auf der Bistumsseite überschrieben. Sie finden hier den Text der Predigt und auch den entsprechenden Link auf die Bistumsseite:

Um Jesus geht es, er ist das kurze und prägnante Wort. Er trifft die Wirklichkeit der Welt, er hat die Botschaft für mein Leben, besser: er ist selbst die Botschaft, das Wort.

„Auf der Suche nach dem treffenden Wort“ – so lautete der Titel unseres aktuellen Podcast mit der Schriftstellerin und Mainzer Stadtschreiberin Dörte Hansen. Wir leben in einer Welt vieler Worte, umso wichtiger sind treffende Worte. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. (…) In ihm war Leben (…) Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1). Dies haben wir im heutigen Weihnachtsevangelium gehört. Gott schenkt uns ein treffendes Wort. Ein treffendes Wort ist genau, richtig und passend zugleich. Es bringt etwas auf den Punkt. Manchmal hat man den Eindruck, lange Antworten drücken sich vor einer punktgenauen Antwort. So spricht Gott nicht. Sein Wort ist kurz, prägnant, treffend. Er redet nicht um ein Thema herum. Das Wort Gottes ist keine schöne Theorie, es ist eine Person. Er spricht zu uns in seinem Sohn. Er spricht uns an „wie Freunde“, sagt das II. Vatikanische Konzil.

Der Ton sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft als ganzer ist kein freundschaftlicher. Im Hinblick auf den innerkirchlichen Umgang ist das nicht nur betrüblich, sondern noch problematischer: oft geht es nur mehr um das Rechthaben-Wollen, um einen Kampf der Worte. Und am Ende machen sie Jesus selbst unhörbar. Das eine Wort, Jesus Christus, wird dabei nur selten beachtet oder auch für die eigene Politik benutzt. Immer wieder spielen sich eher zweitrangige Themen an die erste Stelle. Auch ich als Bischof erlebe, dass man mich mit einzelnen Zitaten aus dem Katechismus oder der Bibel konfrontiert, um mir meine Fehlerhaftigkeit vorzuhalten. Dabei wird der Kern der Botschaft vergessen, das eigentliche Wort, um das oder um den es geht. Es geht um Leben in Fülle, um Licht, um die freundschaftliche Zuwendung Gottes in Jesus Christus zu allen Menschen. Auch viele innerkirchliche Debatten könnten eigentlich mit derselben Heftigkeit geführt werden, wenn es Gott nicht gäbe. Immer wieder dreht man sich um eigene Ideen. Dabei ist es höchste Zeit, an Gott zu denken, wie ein Buch von Kardinal Karl Lehmann heißt (erschienen 2000). Und es geht nicht um irgendeinen nebulösen, unsagbaren Gott, sondern um einen Gott, der selbst sein Wort geschenkt hat, eine Person, einen Bruder der Menschen, einen Freund der Menschen, Jesus Christus.

Um solch ein eindeutiges, kurzes, prägnantes Wort geht es in unserem christlichen Glauben. Gott hat viele Möglichkeiten, zum Menschen zu sprechen, aber er gibt uns ein Wort, das im Rahmen der unendlichen Weltgeschichte so kurz, so unscheinbar ist, aber doch alles enthält, was Gott zu sagen hat. Millionen Jahre Weltgeschichte, und doch ist in den dreiunddreißig Lebensjahren Jesu alles enthalten, was Gott uns sagen will. Er ist ein Gott mit uns. Er will bei uns sein, trägt unsere Krankheiten und Leiden, und Freuden und Hoffnungen und will Licht in das Dunkel unserer Welt bringen.

Nicht nur kurz sollte ein Wort sein. Es muss auch etwas aussagen. Es muss verständlich sein. Man kann natürlich auch kurz sprechen und wenig sagen. Gottes Wort in Jesus Christus ist nicht nur kurz, sondern es antwortet auf die wichtigsten Fragen des Menschen: Wer bin ich? Wohin bin ich unterwegs, wer hilft mir zu leben? Was muss ich tun? Darauf gibt Gott keine theoretischen Antworten, sondern Jesus lebt es vor. Sein ganzes Handeln erinnert uns daran, dass wir nicht nur Kinder Gottes heißen, sondern es in Wahrheit sind. Dass wir Gott unendlich wertvoll sind, und zwar jeder Mensch. Dass Gott und sein Reich meine Zukunft sind, trotz Schuld und Versagen. Er zeigt, dass ich Gutes tun soll in der Freiheit der Kinder Gottes – nicht aus Angst oder weil ich mir seine Liebe verdienen müsste. Er zeigt mir in seinem ganzen Tun: Gott ist an meiner Seite, gerade wenn ich arm, schwach, sündig bin, wenn ich meine Sterblichkeit und Schwäche erfahre. Das Wort Gottes hat uns viel, ja eigentlich alles zu sagen. Jesus Christus, das lebendige Wort Gottes, fasst alles, was zu tun ist, in dem einen Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen. Heute ist es besonders wichtig, daran zu erinnern: Es geht nicht um Beliebigkeit, sondern um die Frage: Wie können wir als Christinnen und Christen glaubwürdig dieses Liebesgebot leben und verwirklichen? Erst dann beginnt das Evangelium von der Menschwerdung neu zu strahlen. Und Weihnachten feiere ich nicht ohne den Blick auf das Ostergeheimnis. Ich sehe in dem Kind und dem Auferstandenen auch das Ziel meines Lebens. Das ist der Kern unserer Botschaft, von dem im alltäglichen Getümmel so selten die Rede ist.

Das Wort, das andere überzeugt, muss nicht nur kurz und aussagekräftig sein, es muss auch glaubwürdig sein. Einem Prediger, der Wasser predigt und Wein trinkt, wird man auf Dauer nicht zuhören. Jesus predigt nicht die Liebe, er lebt sie. Angefangen von der Geburt in Bethlehem, bis zum Tod am Kreuz. Er verlangt nicht von anderen einen radikalen, am anderen Menschen orientierten Lebensstil, er lebt ihn. Wer also ihm wirklich nachfolgen will, kann nur an Jesus Maß nehmen. Wir ringen in der Kirche um Glaubwürdigkeit. Ohne das Maßnehmen an der Glaubwürdigkeit Jesu, des einen Wortes Gottes, wird es uns nicht gelingen, glaubwürdig zu sein.

Schließlich kann ein Wort nur ankommen, wenn der Hörer und die Hörerin spüren: Sie sind persönlich gemeint. Da redet nicht jemand über ihren Kopf hinweg. Das ist das eigentlich Faszinierende, wenn man sich mit Jesus beschäftigt. Dass er eine unheimliche Gabe hatte, den einzelnen Menschen zu sehen, seine Not, seine Bedürfnisse. Viele glaubende Menschen haben erfahren: Das galt nicht nur für die Menschen vor 2000 Jahren in Galiläa, sondern Jesus blickt auch heute mich persönlich an, wie die Menschen damals, er sieht mein Leid, meine Fragen, meine Sorgen und trägt sie mit. Schließlich: Das eine Wort Gottes ist ein gewaltloses Wort. Es ist nicht harmlos, aber ohne Gewalt. Das ist in diesen Kriegszeiten keine Nebensächlichkeit. Es ist viel diskutiert worden über Krieg, Verteidigung, über Hilfe für ein bedrängtes Volk, dem die Vernichtung droht. Und auch Christinnen und Christen sind ernüchterter geworden in der Einschätzung des Selbstverteidigungsrechts eines angegriffenen Volkes. Aber ich meine auch, wir haben uns auffallend schnell an Gewalt in Tat und Wort gewöhnt. Das gilt auch für das alltägliche Miteinander. Und ich gestehe: Unsere Kirche gibt oft kein gutes Bild ab in der Nachfolge des gewaltlosen Jesus, der sicher kein weicher Charakter war. Unrecht deutlich zu benennen verstößt gerade nicht gegen das Liebesgebot. Für viele Menschen ist die Kirche in ihrer konkreten Gestalt kein glaubwürdiges Zeugnis einer gewaltfreien Menschheit. Das gilt für bestimmte Gruppen, das gilt für viele von der Kirche Enttäuschte, das gilt, wenn wir heute um ein neues synodales Miteinander ringen.

Johannes erinnert an Jesus, die Mitte unseres Glaubens. Lassen wir ihn immer wieder und immer mehr zu Wort kommen. Entdecken wir seine unerschöpflichen Reichtümer, mit denen wir nie an ein Ende kommen. Um Jesus geht es, er ist das kurze und prägnante Wort. Er trifft die Wirklichkeit der Welt, er hat die Botschaft für mein Leben, besser: er ist selbst die Botschaft, das Wort. Er ist glaubwürdig, und wir sollten ihm nacheifern, selbst glaubwürdiges Wort in Tat und Reden zu werden. Lernen wir ihn immer besser kennen, indem wir seine Freundschaft annehmen und erwidern. Er kommt gerade nicht in eine heile Welt, aber er will sie heilen. Wir dürfen uns in seinen Dienst nehmen lassen. Ich habe von ihm noch viel zu lernen.

Predigt Bischof Kohlgraf am 25.12.2022