Schon früh – im Alter von etwa acht Jahren – stand für den jungen Hélder fest: „Ich möchte Priester werden!“. Mit dem Segen der Eltern, die ihn trotz knapper finanzieller Ressourcen so gut wie möglich unter-stützten, trat er am 2. September 1923 im Alter von erst 14 Jahren ins Seminar ein.
In dieser Zeit gab es das kleine Seminar und danach das große, manchmal ein Vorseminar und gelegentlich ein Ferienseminar. Kurzum – von frühester Kindheit an bis zur Priesterweihe wurde der künftige Priester beschützt, beschützt und nochmals beschützt. Kontakt zur Außenwelt gab es wenig bis gar nicht. „Es ist seltsam: wir Seminaristen hielten es damals für durchaus normal, uns für den Dienst am Volk vorzubereiten, indem wir uns jahrelang, elf, zwölf, dreizehn Jahre vom Volk fernhielten.“
Dom Hélder war ein begeisterter und begabter Schüler.
Aber es gibt auch Probleme: Manches Verbot und manche Entscheidung seiner Lehrer erscheinen ihm unlogisch und er ist nicht bereit, sie kritiklos hinzunehmen ... In Rio verbreitete eine Professorin theologische Irrtümer, und Câmara schreibt mit Billigung seines Rektors unter einem Decknamen die Entgegnung. Bald geht es in der Tageszeitung hin und her, die ganze Stadt nimmt Anteil. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung wird Câmara zum Generalvikar gerufen. "Sind die Berichte von dir? Câmara, in Erwartung, vom Generalvikar höchstes Lob als Verteidiger des Glaubens zu erfahren, antwortet
voller Stolz: Ja, mein Vater". Die Antwort des Generalvikars ist niederschmetternd: "Dann wisse, dass dies dein letzter Bericht war".
Alles Bitten Héders nützt nichts, der Generalvikar bleibt bei seiner Meinung. In Câmara bricht innerlich der Sturm los, denn zu allem Überfluss ist die Professorin eine Schwägerin des Generalvikars. Er eilt aus dem Zimmer. In der ersten Erregung kommt ihm der Gedanke, den Weg zum Priestertum aufzugeben, ja selbst sein Glaube gerät in Gefahr. Doch dann geht er in die Kapelle und nimmt sich vor, nicht eher wegzugehen, bis er ruhig geworden ist. Nach zwei Stunden legt sich der innere Sturm, es fällt ihm ein Schrifttext ein: "Martha, du machst dir Sorgen und Unruhe um viele Dinge: eines aber nur tut not: Maria hat gewählt. Und er begreift, dass das, was ihm als Verteidigung der Wahrheit zu sein schien, eigentlich Hochmut war. om Hélder sprach über diese Erzählung als die erste große Demütigung seines Lebens: „Gott schickt uns jeden Tag ein paar kleine Erniedrigungen und während unseres ganzen Lebens ein paar große“.
Noch im Seminar trat Câmara freiwillig in die Liga der Arbeitsmissionare ein und half auf diese Weise mit, ihre geistliche und soziale Lehre zu verbreiten. Als Schwachpunkt in der Seminarausbildung bezeichnete er, dass wenig oder kein Wert auf den sozialen Aspekt gelegt wurde. Kein einziger Professor sei von den großen Problemen der Menschheit bewegt gewesen.
Mit 22 Jahren wurde Câmara zum Priester geweiht. Als geschickter Organisator, der gleichzeitig mutig und unermüdlich war, betraute ihn der Bischof zunächst mit dem Aufbau katholischer Organisationen. Er war in leitender Stellung des brasilianischen Bildungsministeriums tätig, förderte die sozialen Wochen, auf denen Laien, Ordensleute, Priester und Bischöfe über die Probleme seines Landes und die Aufgabe der Kirche diskutierten.
1952 – Dom Hélder war bereits Weihbischof – wurde er erster Generalsekretär der brasilianischen Bischofskonferenz, für deren Gründung sich Câmara nachdrücklich eingesetzt hatte. Drei Jahre später organisierte er dann in Rio den „Eucharistischen Kongress“– eine Großveranstaltung, die maßgeblichen Einfluss auf sein künftiges Leben und Wirken hatte. Kardinal Pierre-Marie Gerlier (Lyon) stellte ihm die Frage: „Wie kann es angehen, dass wir alle den Eucharistischen Christus in unserer Mitte verehren und den Christus übersehen, der buchstäblich am Rande lebt, in den Armen, in den Favelas von Rio de Janeiro?“ Ab diesem Moment stellte er seine Arbeitskraft, sein Tun und sein Charisma in den Dienst der Armen: "Mit welchen Worten gebietet Jesus uns, die Mitmenschen zu lieben? Er sagt: Wir sollen den Nächsten lieben. Das ist das Problem. Wir lassen uns leicht rühren, wenn wir von einem Unglück in einem fernen Land hören, wo Tausende obdachlos geworden sind. Schwierig, ja hart ist es, den zu lieben, der in unserer Nähe wohnt: den Nachbarn, den Arbeitskollegen oder das Gemeindemitglied.“ (Dom Hélder Câmara)
Quellen:
Dom Hélder Câmara oder der unglaubliche Traum (Mary Hall)
Dom Hélder Câmara – Die Bekehrungen eines Bischofs (aufgezeichnet von José de Broucker)
1Dom Hélder Câmara – Ein Vorbild? (Festrede Dr. Max Weber anlässlich der Eröffnung des Camarahau-ses am 20.10.1974)