Aus dem Leben von Dom Hélder Pessôa Câmara - Teil 3

Datum:
Sa. 29. Juni 2024
Von:
Andrea Keber

„Wie kann es angehen, dass wir alle den Eucharistischen Christus in unserer Mitte verehren und den Christus übersehen, der buchstäblich am Rande lebt, in den Armen, in den Favelas von Rio de Janeiro?“ Ab diesem Moment stellte er seine Arbeitskraft, sein Tun und sein Charisma in den Dienst der Armen …

Schritt für Schritt löste sich Câmara von der Vorstellung, Armut könnte dadurch überwunden werden, in dem man den Armen mildtätig beisteht. Er wurde Sprecher einer Gruppe junger Bischöfe die Ideen entwickelten, wo und wofür sich die Kirche engagieren müsse:

  • für eine Landreform,
  • bei der Basiserziehung, die mit der Alphabetisierung erreichen könnte, den Armen Selbstbewusstsein und eine Stimme zu geben und
  • in der Ermutigung der entstehenden ersten Basisgemeinden.

Es war die Grundhaltung Câmaras, die immer wieder zu Konflikten mit seinem Kardinal führte. Deutlich wurde dies beim Fest des Hl. Vinzenz von Paul, der in Brasilien wegen seiner selbstaufopfernden Caritas hoch verehrt wird. Beim Festgottesdienst predigte Câmara und fasste seine Gedanken zur Lösung der sozialen Probleme wie folgt zusammen: „Was würde die Nächstenliebe des heutigen Vinzenz von Paul manifestieren? Die Nächstenliebe des heutigen Vinzenz von Paul wäre, Gerechtigkeit zu üben“. Die unterschiedlichen Auffassungen des Kardinals und Dom Helder Câmaras zeigten
immer deutlicher, dass es zunehmend schwieriger werden würde, gemeinsam weiterzuarbeiten.

Es war die Zeit des II. Vatikani-schen Konzils, bei dem Câmara als einer der profiliertesten Sprecher der Kirche der Dritten Welt galt. Unermüdlich brachte er die Anliegen und Probleme der „Dritten Welt“ vor: „Und was müssen wir nun tun? Wollen wir unsere ganze Zeit damit verbringen, innere Probleme der Kirche zu erörtern, während zwei Drittel der Menschheit den Hungertod sterben? Was müssen wir über die Probleme der Unterentwicklung sagen? Wird das Konzil seine Zuständigkeit für die großen Probleme der Menschheit erklären? ….
Bereits 1963 richtete er einen offenen Brief an seine Mitbischöfe, in dem er sie beschwor, den äußeren Reichtum abzulegen, um die Distanz zwischen ihnen und den arbeitenden Menschen zu verringern. Am 16. November 1965 mündete dies in den Katakombenpakt, den 40 Bischöfe der ganzen Welt in den Domitilla-Katakomben eingingen.
Eineinhalb Jahre zuvor - am 12. März 1964 - wurde Dom Helder zum Erzbischof von Olinda und Recife ernannt. Als neuer Erzbischof lebte er selbstverständlich nicht in dem ihm eigentlich zustehenden Palais, sondern in einer kleinen Wohnung in einem Sakristeianbau der Innenstadtkirche. Unterwegs war der „kleine Mann in Priesterkleidung und mit großer Aktentasche“ meistens zu Fuß, denn die meisten Menschen in Brasilien konnten sich ja auch kein Auto leisten. Wichtig war ihm auch, dass seine Tür immer offenstand – offen für alle Menschen.

Kurz nach seiner Bischofsweihe wurde Brasilien durch einen Militärputsch in eine bis 1985 dauernde Diktatur gestürzt, die Dom Helder veranlassten, sich erst recht für die Rechte der Armen und die Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen. Dies brachte ihm zwar in vielen Ländern der Erde Bewunderung und Respekt ein … in seiner Heimat jedoch wurde er zum Feindbild der Herrschenden und Reichen. Auch wenn ihm offen Hass und Feindschaft entgegenschlugen, sah er seine Aufgabe darin, überall das Wort für Gerechtigkeit zu ergreifen und mit allen Mitteln dahin zu wirken, dass die Kirche dem Evangelium entsprechend glaubwürdig bleibt. Aus seiner Sicht konnte und wollte er nicht still bleiben.
Aufgrund einer international viel beachteten Rede 1970 im Pariser Sportpalast, bei der er das Foltern von politischen Gegnern in seiner Heimat anprangerte, wurde er nach seiner Rückkehr nach Brasilien von der Regierung quasi „mundtot“ gemacht. Der Presse wurde verboten, über seine Ansprachen oder Äußerungen zu berichten. Es war ihm nicht mehr möglich, sich öffentlich gegen Verleumdungen oder Anschuldigungen zu verteidigen. Selbst sein Name durfte nicht mehr erwähnt werden.
Und es gab Morddrohungen … da Dom Helder selbst durch seine Prominenz geschützt war, gerieten seine Mitarbeiter ins Visier. Sein Freund, Padre Antonio Henrique Pereira Neto, wurde im Mai 1969 „stellvertretend“ vom Militärregime ermordet.

Am 2. April 1985 trat Dom Helder im Alter von 76 Jahren vom Amt des Erzbischofs zurück. Sein Nachfolger war beauftragt, die Pastoral seines Vorgängers zu korrigieren und ging daran, sein Werk zunichtezumachen. Einrichtungen wurden geschlossen, Mitarbeiter abgeschoben. Für den „Bischof der Armen“ war es schwer diese Entwicklung mit ansehen zu müssen.

Dom Helder Câmara starb am 27. August 1999 in Recife und bleibt als wegweisender Prophet und einer der profiliertesten Vertreter der Befreiungstheologie in Erinnerung.

Quellen:
Dom Hélder Câmara oder der unglaubliche Traum (Mary Hall)
Dom Hélder Câmara – Die Bekehrungen eines Bischofs (aufgezeichnet von José de Broucker)
Dom Hélder Câmara – Prophet und Wegbegleiter (Adveniat/Sonderausgabe Blickpunkt Lateinamerika)
Dom Hélder Câmara – Ein Vorbild? (Festrede Dr. Max Weber anlässlich der Eröffnung des Camarahauses am 20.10.1974)
Bilder: Adveniat