Die Menschen in Syrien und im Libanon nicht vergessen

Im Interview schildert Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz seine Eindrücke

Weihbischof Udo Markus Bentz bei seinem Besuch der universität in Beirut im Februar 2020. (c) Bistum Mainz
Datum:
Fr. 27. März 2020
Von:
sh (MBN)

Mainz. Die Corona-Krise trifft auch das katholische Hilfswerk MISEREOR und die diesjährige Fastenaktion „Gib Frieden!“. Der fünfte Fastensonntag ist traditionell der MISEREOR-Sonntag. Die Kollekte in den katholischen Gottesdiensten geht an das Hilfswerk. In diesem Jahr ist dies so aber nicht möglich, weil keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden dürfen. MISEREOR bittet daher eindringlich darum, die Fastenaktion durch eine direkte Spende zu unterstützen. „Lassen Sie uns in dieser Zeit der Sorge die Menschen in Syrien und den Libanon nicht vergessen. Sie haben alles verloren, was ein Leben in Sicherheit und Würde ausmacht“, heißt es auf der Internetseite von MISEREOR.

Wie dramatisch die Situation vor Ort ist - und sich durch die Ausbreitung des Corona-Virus noch einmal verstärken wird - davon konnte sich der Mainzer Weihbischof und Generalvikar, Dr. Udo Markus Bentz, der Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz ist, persönlich ein Bild machen. Im Gespräch mit Dr. Sven Herget, Leiter der Abteilung Katholische Rundfunkarbeit im Bistum Mainz, berichtet der Weihbischof von seinen Eindrücken. Bentz war im Februar im Rahmen des „Middle East Council of Churches“ (MECC) im Libanon zu Besuch. Der MECC, der Kirchenrat der nahöstlichen Region, ist die wichtigste Plattform für Austausch und Kooperation der Christen in der mehrheitlich muslimischen Weltgegend.

Sven Herget: Sie waren im Februar im Libanon. Wie ist die Situation vor Ort?

Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz: Die Situation im Libanon war in den Tagen, an denen ich dort war, ruhig, aber angespannt. Die ökonomische Situation vieler Menschen ist sehr prekär. Der Staat steht kurz vor dem Bankrott. Mir haben Menschen erzählt, dass viele schon länger keine Gehälter mehr ausgezahlt bekommen haben. Gleichzeitig steigen aber die Preise. Das sorgt für Unruhe und Anspannung. Die Menschen im Libanon möchten, dass sich etwas verändert. Es besteht aber auch die Gefahr, dass diese Situation eskaliert und davor haben viele Angst.

Herget: Wie ist die Situation für die Christen im Land?

Bentz: Viele junge Christen verlassen das Land und das schon seit Jahren. Die Christen fürchten, dass ihnen dadurch dauerhaft die Möglichkeit genommen wird, sich politisch einzubringen und ihre Gesellschaft mitzugestalten. Denn der Libanon hat ein besonderes politisches System, nämlich ein austariertes Proporzsystem. Dieses regelt die politische Beteiligung von religiösen Gruppierungen. Die aktuelle Instabilität im Land kann dazu führen, dass dieses Proporzsystem zusammenbricht oder infrage gestellt wird.

Herget: Welche Rolle spielen die Kirchen vor Ort?

Bentz: Für mich war beindruckend, dass sich die Kirchen gemeinsam für die Menschen im Libanon stark machen, und sie bei ihren Demonstrationen gegen die Korruption im System unterstützen. Sie stehen an der Seite der Menschen. Studenten haben mir gesagt: „Wir sind sehr dankbar für die klaren Worte unserer Kirchen. Wir fühlen uns von der Kirche verstanden.“ Die junge Generation setzt große Hoffnung in die Kirchen.

Herget: Haben Sie Beispiele kennengelernt, bei denen Sie erleben konnten, dass es gut ist, dass sich die Kirchen in der Region engagieren?

Bentz: Ja, bei meinem Besuch in der kirchlichen Notre Dame-Universität habe ich drei Studenten getroffen, die das deutsche Hilfswerk „Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst“ mit Stipendien unterstützt. Sie kommen aus dem Libanon, aus Syrien und dem Irak. Alle drei haben mir berichtet, dass sie eigentlich in ihrem Heimatland leben wollen und mit ihrer Qualifikation dazu beitragen möchten, dass ihre Heimat eine Zukunft hat. Ich bin sehr froh, dass es dieses Stipendienwerk gibt, und wir so gezielt junge Menschen fördern können, die dann beim Aufbau der Zivilgesellschaften helfen.

Ein zweites Beispiel: Caritas International hat stark die Flüchtlingssituation im Land im Blick. Wir müssen bedenken, dass im Libanon vier Millionen Menschen und zwei Millionen Flüchtlinge leben. Das ist eine extreme Herausforderung für die Gesellschaft. Es besteht zudem die Sorge, dass die Situation im Nachbarland Syrien diese Flüchtlingssituation noch verschärft.

Herget: MISEREOR nimmt mit seiner Fastenaktion „Gib Frieden!“ die gesamte Region in den Blick. Warum ist das jetzt besonders wichtig?

Bentz: Die gesamte Region ist im Krisenmodus und das seit vielen Jahren. Gleichzeitig ist sie aus dem Blick geraten und die Menschen haben oft das Gefühl, sie werden von der Weltöffentlichkeit vergessen. Deswegen sollen und müssen wir als Kirche für die gesamte Region immer auch Anwalt für die Menschen sein. Und zwar nicht nur für die Christen. Denn auch darauf ist zu achten: Unsere Hilfsmaßnahmen müssen so eingesetzt werden, dass sie eine Spaltung zwischen den Religionsgruppen im Orient nicht vertiefen oder neue Spannungen aufkommen lassen. Unsere Maßnahmen müssen zwischen Muslimen und Christen versöhnend wirken. Auch die Rückmeldung der muslimischen Seite ist da sehr ermutigend. Muslime nehmen wahr, dass Christen beispielsweise im Nahen Osten eine wichtige Rolle spielen, um Extremismus zu vermeiden. Das Engagement der Kirchen im Bereich Gesundheits- und Bildungswesen ist hier unverzichtbar.

Herget: Wie können wir in Deutschland die Arbeit von MISEREOR unterstützen?

Bentz: Natürlich ist es gerade in der jetzigen Situation besonders wichtig, die MISEREOR-Fastenaktion finanziell zu unterstützen. MISEREOR hat die Möglichkeit, mit diesen Mitteln vor Ort Großartiges zu ermöglichen. Es gibt aber auch eine Solidarität in einem spirituell-geistlichen Sinn: Für mich bedeutet das, für die Christen im Mittleren Nahen Osten zu beten. Und das nicht nur einfach als eine fromme Übung, sondern als tatsächlich gelebte Solidarität. Ich bin überzeugt, dass so ein Gebet nicht wirkungslos ist. Und es ist notwendig, mit politischen Entscheidungsträgern im Gespräch zu sein, um unsere Maßnahmen in eine grundsätzliche politische Strategie einzubinden. Ich habe bei den Gesprächen gemerkt, dass immer wieder gefragt wird, wo Europa in diesen Konflikt ist. Es gibt große Erwartungen an Europa, etwas zum Frieden in dieser Region beizutragen. Die Menschen im Libanon hoffen darauf, dass Europa einen wirklichen Friedensbeitrag leisten kann. Wie auch immer der aussieht.

Hinweis: Sie können die MISEREOR-Fastenaktion 2020 durch eine direkte Spende unterstützen.

Spendenkonto:

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BIC: GENODED1PAX (Pax-Bank Aachen)

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