Mainz. Unter der Überschrift „Erfahren. Verstehen. Vorsorgen.“ hat das Bistum Mainz ein unabhängiges Aufklärungsprojekt auf den Weg gebracht. Der Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber ist mit seinem Team beauftragt worden, Fälle von sexueller Gewalt im Bistum Mainz zu untersuchen. Im Projektzeitraum von etwa zwei Jahren werden Fälle sexueller Gewalt im Bistum Mainz seit dem Jahr 1945 in den Blick genommen. Weber hat mit seinem Team bereits ein ähnliches Projekt für die Regensburger Domspatzen durchgeführt. Das Projekt wurde am Freitag, 7. Juni, vor Journalisten im Erbacher Hof in Mainz vorgestellt.
Drei wesentliche Fragen soll das Aufklärungsprojekt angehen: „Gibt es Rahmenbedingungen im Bistum, die sexuelle Gewalt befördert oder nicht verhindert haben?“, „Wie wurde mit Fällen sexueller Gewalt umgegangen, nachdem sie bekannt geworden waren?“ und „Gab es im Bistum seit dem Zweiten Weltkrieg weitere, bislang unbekannte Fälle von sexueller Gewalt?“ Mit Ulrich Weber steht während des Projektes ein vom Bistum Mainz unabhängiger Ansprechpartner zur Verfügung, bei dem Betroffene von sexueller Gewalt oder Menschen, die von solchen Fällen wissen, anonym Gehör finden können.
Für die Kontaktaufnahme hat Weber unter der Adresse www.uw-recht.org eine eigene Internetseite freigeschaltet. Nach ausführlichen Gesprächen mit möglichst vielen aussagewilligen Beteiligten und intensivem Studium aller verfügbaren Akten und Unterlagen aus den Jahren 1945 bis heute wird Weber einen anonymisierten Abschlussbericht vorlegen und eine Bewertung der Vorgänge abgeben.
„Es ist notwendig, die Taten sexueller Gewalt umfassend aufzuklären, und zu untersuchen, welche systemischen Bedingungen diese Taten möglicherweise begünstigt haben“, sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. „Eine solche umfassende Aufklärung des Geschehenen ist Voraussetzung für weitere Maßnahmen der Aufarbeitung, die wir im Bistum Mainz anstreben. Ehrliche Aufklärung braucht zusätzlich zu allen internen Bemühungen den Blick von außen.“ Kohlgraf verwies darauf, dass das Bistum Mainz bereits Anfang des Jahres durch die Übergabe einer Liste mit 199 Sachverhalten an die Generalstaatsanwaltschaften in Koblenz und Frankfurt einen Schritt zur Aufklärung gegangen sei.
Er habe den Eindruck gewonnen, „dass bei vielen Menschen in unserem Bistum Wissen über Fälle sexueller Gewalt vorhanden ist sowie darüber, wie Verantwortungsträger damit umgingen, wenn sie davon erfuhren“, sagte Kohlgraf. Und weiter: „Dieses verborgene Wissen ans Licht zu bringen und auszuwerten, ist uns ein großes Anliegen, das wir als Bistum mit diesem Projekt verfolgen. Ich bitte daher nachdrücklich alle, die zur Aufklärung beitragen können, den Kontakt mit Herrn Weber zu suchen. Diese Bitte richte ich insbesondere an die Betroffenen von sexueller Gewalt, aber ebenso an Menschen in deren Umfeld, wie Angehörige, Freunde oder Lehrer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums. Alle Gespräche mit Herrn Weber und seinen Mitarbeitern sind vertraulich und bleiben im Schutz der Anonymität.“
Weihbischof und Generalvikar Dr. Udo Markus Bentz betonte die Unabhängigkeit des Projektes. „Wichtig ist uns, dass Herr Weber wirklich unabhängig arbeitet. Es ist sein Projekt, in dessen Verlauf wir ganz bewusst auf Einflussnahme verzichten. Bei der Prüfung dieses Projektes im Vorfeld haben die Verantwortlichen im Bistum Mainz große Sorgfalt walten lassen. Wir haben sensibel darauf geachtet, dass die Rechte des Einzelnen bei der Informationsgewinnung als ein sehr hohes Gut im Blick sind.“
Weber bediene sich mit seinem Team „klar überprüfbarer wissenschaftlicher Methoden und Kriterien“. Und weiter: „Am Ende wird die Veröffentlichung seiner Arbeitsergebnisse stehen. Ich bin überzeugt, dass wir mit diesen Ergebnissen im Sinne der Aufarbeitung im Bistum Mainz einen großen Schritt vorankommen.“ Der Titel des Projektes mache die drei Zielsetzungen deutlich: „Wissen heben, Zusammenhänge in der Vergangenheit erkennen und verstehen und aus diesen Erkenntnissen heraus Vorsorge treffen.“
Bentz wies außerdem darauf hin, dass sich das Bistum Mainz nicht erst seit der MHG-Studie intensiv mit dem Thema Aufklärung auseinandersetze: „Wir suchen nach guten Wegen, wie angemessen und nachhaltig Aufklärung und Aufarbeitung geschehen kann. Dazu gehören zum Beispiel auch die Einrichtung eines Aufarbeitungsgremiums und eines ständigen Beraterstabes, die kontinuierlich an diesen Fragen arbeiten. Leitend ist für uns dabei die Frage: Wie können Menschen Gerechtigkeit erfahren, denen durch Personen, die im und für das Bistum Mainz gearbeitet haben, unermessliches Leid zugefügt wurde?“
Die Präventionsbeauftragte des Bistums Mainz, Dr. Elisabeth Eicher, hob hervor, dass das Aufklärungsprojekt „ein wichtiger Beitrag ist, um die Reichweite und Wirksamkeit von Prävention im Bistum Mainz zu verbessern. Erst wenn wir verstehen, was und warum was geschehen ist, können wir wirksam Vorsorge betreiben.“ Das Projekt solle „Hinweise auf die Kultur in der Organisation geben und Veränderungspotenzial aufdecken“. Und weiter: „Die Ergebnisse des Projektes werden aufgegriffen und in die Weiterentwicklung der Schutzkonzepte und der Präventionsarbeit kirchlicher Träger im Bistum Mainz einfließen.“
Hinweis: www.uw-recht.org