Mainz. Jeder einzelne sei dazu aufgerufen, Europa ein menschliches Gesicht zu geben. Das hat der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf in seiner Predigt beim Gottesdienst mit den Mitgliedern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) am Freitagabend, 10. Mai, im Mainzer Dom betont.
„Wenn der Papst einmal den Traum von einem Europa formuliert, das Mutter ist, die Leben weitergibt, für Gebrechliche, Hilfesuchende, Familien und viele andere Bedürftige, dann meint er kein abstraktes Europa, sondern die Menschen, die diesem Kontinent ein Gesicht geben, jeden und jede einzelne, die Gruppen und alle, die Verantwortung tragen. Was vielleicht hochtrabend klingt, wird schnell konkret: sobald ich persönlich menschlich handeln und menschlich sprechen soll. Diejenigen, die Europa nach den beiden Weltkriegen geprägt haben, wussten auch um die politische Dimension der Menschlichkeit als einer Identität Europas, eines Europas mit Seele.“ Die Vollversammlung des ZdK findet in diesem Jahr von Freitag, 10., bis Samstag, 11. Mai, in Mainz statt.
Es sei heute „notwendiger als je zuvor, den Menschen nicht nur als Bürger oder wirtschaftliches Subjekt zu sehen, sondern als Person, als mit Würde ausgestattetes Ebenbild Gottes: und zwar jeden Menschen, geboren oder ungeboren, jung oder alt, gesund oder krank, arm oder reich“. Weiter sagte Kohlgraf: „Tatsächlich ist Menschlichkeit eine der Identitäten Europas. Der Mensch, und zwar der einzelne Mensch, steht im Zentrum dieser Menschlichkeit: die Würde jeder Person. Damit verbindet sich die Rede von den Menschenrechten, mit denen sich auch die Kirche nicht immer leicht tat.“ Er erinnerte daran, dass die Kirche erst im Zweiten Vatikanischen Konzil die Religionsfreiheit anerkannt habe und die Anerkennung der Menschenrechte „im letzten nicht der Theologie, sondern dem säkular-weltlichen Recht“ verdanke. „Kirche hat in diesem zentralen Punkt durchaus von der freien Welt gelernt. Für uns als Kirche sind die Menschenrechte nicht verhandelbar, im Besonderen nicht das Recht auf Leben, gerade auch im Hinblick auf die Ungeborenen.“
Zwar schwinde der Einfluss der Kirchen und des Christentums, „dennoch dürfen wir nicht aufhören, mit vielen anderen, denen die Identität der Menschlichkeit wichtig ist, zusammen zu arbeiten. Das Evangelium bleibt unser Angebot, das hilft, der Freiheit ein Gewissen zu geben, und den Wert des Füreinander-Daseins zu leben.“ Ebenso gehöre aber auch die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz zur Identität Europas, sagte der Bischof: „Der Mensch wird arm, wenn er den Himmel vergisst, daran hat die Theologie, daran hat die Kirche zu erinnern. Auch das ist eine der Identitäten Europas, die vielleicht zunehmend vergessen wird. An Gott zu erinnern, bleibt die Kernaufgabe der Kirche und jedes einzelnen Glaubenden.“
Kohlgraf betonte, dass zahlreiche Heilige wie Augustinus, Thomas von Aquin, Elisabeth von Thüringen, Franz von Assisi und Ignatius von Loyola zur Identität Europas gehörten. Diese Heiligen machten auch deutlich, dass Theologie „keine abstrakte Wissenschaft“ sei: „Solche Menschen geben auch heute Europa eine Seele. Es ist eine der Hauptsorgen auch in den Fragen der Pastoral heute, wie getaufte Menschen ihre Identität als Christin oder Christ entdecken und froh leben können. Das ist offenbar nicht nur eine Frage für die Zukunft der Kirche, sondern auch eine Frage nach der Seele Europas. Es wäre meine Hoffnung, dass viele Menschen das Friedensprojekt Europa aus dem Glauben mitgestalten, und mithelfen, durch den Glauben ein seelenvolles Europa mitzugestalten.“ Konzelebrant war unter anderen der Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, der geistlicher Assistent des ZdK ist. Die musikalische Gestaltung hatte der Mainzer Domorganist, Professor Daniel Beckmann, übernommen.