Bei einer Podiumsdiskussion in der Turnhalle der Marienschule sagte er am Mittwochabend, 14. Oktober: „Wenn die verschiedenen Religionen hier in unserem Land zusammenleben, dann wäre es schädlich für die Gesellschaft, wenn wir uns wenig kennen, und deshalb müssen wir versuchen, uns besser kennenzulernen." Der Dialog an der Marienschule sei ein Prozess, dessen Entwicklung abgewartet werden müsse, und der sich nicht unmittelbar auf die übrigen Schulen des Bistums Mainz übertragen lasse. „Ich bin überzeugt, dass man zu den Menschen, die dieses Konzept hier anpacken, Vertrauen haben kann", sagte Lehmann.
Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, zeigte sich überzeugt davon, dass mit der Öffnung der Marienschule das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen in der Gesellschaft gefördert werde. Es gäbe viele Gemeinsamkeiten in den monotheistischen Religionen. Die Schule biete sich ideal dazu an, diese Gemeinsamkeiten in einem gelebten Miteinander kennenzulernen, sagte Dainow. Zu Beginn hatte er erzählt, dass ihm vor 26 Jahren die Aufnahme seiner Tochter an der Marienschule aufgrund der Religionszugehörigkeit noch verwehrt worden war.
Ömer Özsoy, Professor für Koranexegese an der Goethe-Universität in Frankfurt, verwies ebenso auf die Gemeinsamkeiten der Religionen. Auch das rituelle Gebet im Islam könne nicht ohne seine jüdisch- christlichen Wurzeln verstanden werden, sagte Özsoy. Jetzt gebe es Zeit und Ort, über diese gemeinsamen Wurzeln nachzudenken. Er sei sehr auf die Erfahrungen gespannt, die die muslimischen Schülerinnen an der Marienschule machen werden. Am Ende der Diskussion hatte die Leiterin der Marienschule, Oberstudiendirektorin Marie Luise Trocholepczy, noch einmal auf den Punkt gebracht, um was es der Marienschule mit der Öffnung geht: „Das Ziel des Konzeptes ist es, dass die Schülerinnen selbstbewusst in ihrer Religion sprachfähig bleiben in einer Gesellschaft, in der sie mit vielen Religionen konfrontiert sind." Die Moderation hatte Uta Rasche, Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, übernommen.
Die Marienschule in Offenbach hatte in der vergangenen Woche bekannt gegeben, künftig auch eine begrenzte Anzahl jüdischer und muslimischer Mädchen aufzunehmen. Als erste katholische weiterführende Schule in Deutschland hat die Marienschule in Offenbach ein solches Konzept vorgelegt, mit dem Ziel einer „Profilschärfung durch Öffnung". Im laufenden Schuljahr 2015/2016 sind zunächst vier muslimische Mädchen in der fünften Klassenstufe an die Schule gekommen. Die Marienschule ist eine kooperative Gesamtschule für Mädchen in Trägerschaft des Bistums Mainz, die aktuell von rund 900 Schülerinnen besucht wird; davon sind rund ein Drittel evangelisch und zwei Drittel katholisch.
Die Dezernentin für Schulen und Hochschulen im Bistum Mainz, Ordinariatsdirektorin Dr. Gertrud Pollak, hatte bei der Vorstellung des Konzeptes betont: „Das bedeutet aber nicht, dass die Marienschule das eigene christliche Profil aufgibt. Vielmehr wird es darum gehen, im alltäglichen Miteinander von christlichen, jüdischen und muslimischen Schülerinnen die religiöse Identität der anderen kennenzulernen und zu achten. Auf diese Weise sollen die Schülerinnen ihre eigene religiöse Identität bewahren, stärken und vertiefen."
Im Schulalltag werde sich die Öffnung unter anderem in eigenen Gebetsräumen für die nichtchristlichen Schülerinnen zeigen sowie durch Berücksichtigung von religiösen Speisevorschriften in der Mensa. Das hatte Trocholepczy bei der Vorstellung des Konzeptes deutlich gemacht. Beim täglichen gemeinsamen Morgengebet werden die nichtchristlichen Schülerinnen anwesend sein, aber nicht mitbeten. Trocholepczy wies darauf hin, dass die Öffnung in diesem Jahr in der fünften Klasse beginnt und es keine Aufnahme in den höheren Klassen gibt. Längerfristig sei an maximal fünf jüdische und muslimische Schülerinnen pro Klasse gedacht. Nach fünf Jahren werde das neue Konzept evaluiert.