„Dass die Familie auch in einer solchen Situation hält, war eine sehr grundlegende Erfahrung für mich." Zusammen mit dem Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, war Kasper Gast bei der Akademiesoirée „Leben - Heimat - Sinnerfahrung", die von der Bistumsakademie Erbacher Hof veranstaltet wurde.
Kurienkardinal Kasper ist seit 1999 im Vatikan Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen; zuvor war er zehn Jahre lang Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Kasper hatte im Jahr 2006 anlässlich seines 70. Geburtstages beim Festakt in Mainz die Laudatio auf Kardinal Lehmann gehalten. Zu Beginn hatte Kasper mit einem Wort des Philosophen Ernst Bloch definiert, was für ihn Heimat sei: „Heimat ist, was jedem in der Kindheit leuchtet und doch immer Zukunft ist."
Lehmann ging auf die „heimatbildende Funktion" der Kirche ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Kirche am Ort für viele Menschen, die ihre Heimat oder Angehörige verloren hatten, eine Heimat geworden. „Es ist für mich eine wichtige Aufgabe von Kirche, den Menschen eine solche Heimat zu ermöglichen." Inzwischen mache er die Erfahrung, „dass je älter ich werde, mir Heimat immer wichtiger wird", sagte Lehmann. „Ich glaube, dass es für den Menschen elementar wichtig ist, dass er sich die Heimat bewahrt, selbst wenn man nicht mehr dort wohnt." Für ihn sei der Heimatbegriff mehrschichtig, erläuterte der Mainzer Bischof. Zwar lebe er mittlerweile bereits seit 30 Jahren in Mainz, aber „Mainz habe ich mir als Heimat erworben", während die Orte seiner Jugend seine „Urheimat" seien.
Auch die Missbrauchsdebatte der vergangenen Monate wurde an diesem Abend thematisiert. Kardinal Kasper sagte dazu: „Es ist für die Kirche viel Vertrauen verloren gegangen. Die Hauptaufgabe scheint mir zu sein, dieses Vertrauen zurück zu gewinnen." Dies könne nur durch persönliche Begegnungen und Offenheit geschehen. Weiter sagte er: „Ich bin optimistisch, dass die Kirche dieses Vertrauen wieder gewinnen wird. Die Kirche wird diese Krise meistern, aber ich habe Zweifel, ob die Gesellschaft diese Krise meistern wird." Kardinal Lehmann brachte die Sorge zum Ausdruck, dass in der Seelsorge die „integere Unbefangenheit" im Umgang mit Kindern und Jugendlichen verloren gehen könnte, die für Erziehung notwendig sei.
Professor Dr. Peter Reifenberg hatte die rund 350 Gäste im Ketteler-Saal des Erbacher Hofes zu Beginn des Abends begrüßt. Die Soirée war einer der Höhepunkte im Jahresprogramm der Bistumsakademie, das unter der Überschrift „Sinn und Heimat" steht. Den musikalischen Rahmen gestalteten Agnes Langer und Professorin Anne Shih (beide Violine). Die Moderation hatte Anke Hlauschka-Bornschein vom SWR (Südwestrundfunk) übernommen, zusammen mit dem Chefredakteur der Freiburger Herder-Korrespondenz, Ulrich Ruh, und der Mainzer Philosophieprofessorin Karen Joisten.