Ökumenischer Gottesdienst:300 Jahre Wegkreuz
Jubiläum
In Viernheim haben wir aus christlicher Tradition viele Wegkreuze sowohl im Stadtbild als auch in Feld und Flur. Ein besonderes Wegkreuz wurde 1724 von Jacob Caspar Leigam und seiner Frau, Margareta Leigam aus Dankbarkeit für eine Gebetserhörung gestiftet. Wir feiern daher dieses Jahr das 300-jährige Jubiläum dieses Kreuzes.
Aus diesem Anlass findet am Samstag, den 21. September um 17.00 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst an diesem Wegkreuz am alten Weinheimer Weg statt. Der Gottesdienst wird musikalisch vom Posaunenchor begleitet.
Herzliche Einladung an alle Viernheimer
Hintergründe
Die Stiftung des Wegkreuzes
Am alten Weinheimer Weg, auf Höhe des neuen Stadtteils Bannholzgraben steht ein altes Wegkreuz. Es wird „Der Herrgott“ genannt. Am Fuße des Kreuzes ist ein kleines Medaillon angebracht, das den Anlass der Stiftung dieses Kreuzes erklärt. Die Inschrift lautet:
ANNO 1724 . ZU EHREN DES BITREN LEIDEN . HAT MICH ERHÖRET JACOB CASPAR LEIGAM . UND MARGARETHA LEIGAM
Wer waren diese Jacob Caspar Leigam und Margareta Leigam? Was haben sie mit Viernheim zu tun und was war das für eine Zeit um 1724, in Europa, in Deutschland, im Erzbistum und Kurfürstentum Mainz und in Viernheim?
Jacob Caspar Leigam und Margareta Leigam
Jacob Caspar Leigam (oder auch Jakob Kaspar Leykam) wurde um 1660 in Kandel bei Germersheim geboren. Seine Eltern waren dort Bierbrauer und Wirte. Jakob Kaspar lebte bis 1732, er ist in Mainz verstorben. Beruflich war er Kurfürstlicher Roßarzt, Kurfürstlicher Wagenmeister und Kurfürstlicher Oberwagenmeister. Er stand also in Diensten des Kurfürsten von Mainz. Er heiratete am 3. August 1685 Anna Margaretha Schreiber. Sie lebte von 1669 – 1724. Das Paar hatte 14 Kinder.
Wie kamen nun diese beiden Menschen in Beziehung zu Viernheim?
Hier kommt nun der Fautenhof ins Spiel: Der Fautenhof befand sich damals am alten Weinheimer Weg, etwa gegenüber dem alten Steinkreuz („Der Herrgott“). Seine Geschichte beginnt im November 1708:
Zu dieser Zeit gehörte Viernheim staatlich/territorial zum Kurfürstentum Mainz und geistlich zum Erzbistum Mainz. Landesherr und geistlicher Herr Viernheims war um diese Zeit Kurfürst und Erzbischof Lothar Franz von Schönborn (regiert 1695-1729). Um diese Zeit (1708) erteilte nun die Kurfürstliche Hofkammer in Mainz dem Keller in Bensheim (= Amtsbezirk, vergleichbar mit einem heutigen Kreis) den Auftrag, gemeinsam mit dem Hofwagenmeister Jacob Kaspar Leykam aus Mainz die Schilpertshecke hier in Viernheim anzusehen und zu berichten, ob man diese Hecke im finanziellen Interesse des Mainzer Kurstaates roden und als Ackerfläche nutzen könnte. Nach längeren Verhandlungen schlug der zuständige Forstmeister aus Lorsch, Wolf Georg von Zweyfelden in einem Gutachten vor, eine andere Lösung zu wählen. Demnach sollte die Schilpertshecke nur zum Teil gerodet werden (reicher Wildbestand), dafür sollte das Bannholz am Weinheimer Weg gerodet werden. Diese Lösung wurde verfolgt. Dieses neue Gut, der Fautenhof, umfasste 73 Morgen in der Schilpertshecke und 217 Morgen im Bannholz.
Unterdessen hatten die Viernheimer, wie Karl Müller in seiner Viernheimer Sippen- und Heimatgeschichte (Mai 1938) berichtet „in sichere Erfahrung gebracht“, dass das neue Gut Jacob Kaspar Leykam in Erbpacht gegeben werden sollte. Die Viernheimer Gemeinde machte daraufhin eine Eingabe an die Kurfürstliche Verwaltung in Mainz, bei der Vergabe dieses neuen Gutes auf Viernheimer Gemarkung berücksichtigt zu werden. Die Begründung:
- Die Einwohner der Gemeinde hätten an diesem Gebiet alte Weiderechte
- Durch „das leidige Kriegswesen“, die Durchmärsche und Quartierleistungen für die Kriegsparteyen, werden die Einwohner der Gemeinde stark belastet
- Durch die Zunahme der Bevölkerung steigert sich ständig der Bedarf an Ackerfläche
Die Gemeinde Viernheim bittet daher darum, das Gelände bei gleichem Gebot übernehmen zu dürfen.
Die Kurfürstliche Hofkammer ordnete daraufhin an, das Ackergelände für den neuen Fautenhof (Schilpertshecke und Bannholz) öffentlich zu versteigern. Die Versteigerung fand am 25.2.1710 statt. Erschienen waren nur die Gemeinde Viernheim und Leykam. Leykam bot 2400 Gulden, die Gemeinde Viernheim 2300 Gulden. Damit kamen Jakob Kaspar Leykam und seine Ehefrau Margaretha in den Besitz dieses Ackergeländes, das dann aber nur als Erblehen übertragen wurde.
Folgende Auflagen mussten die Leykams erfüllen:
- Sie mussten die Ausrodung des Gehölzes innerhalb 2-3 Jahren vornehmen und das Bannholz durch tiefe und breite Gräben (der Bannholzgraben war jedoch schon vorhanden) zu entwässern und brauchbar zu machen.
- Beginnend 1714 jährlich 75 Malter Korn und 75 Malter Hafer als Erbpacht an die Kurfürstliche Kammer zu entrichten. Dafür waren die Leykams von allen übrigen Steuern und Lasten, insbesondere von dem Zehnten, befreit.
Am alten Weinheimer Weg errichteten die Leykams daraufhin den Fautenhof. Zu dem Gutshof gehörten ein aus Stein erbautes Wohnhaus, 2 Tagelöhnerhäuschen, 2 Scheunen und Stallungen für Pferde, Rinder und Schweine.
Die Leykams bewohnten und bewirtschafteten den Gutshof jedoch nicht selbst. Sie verpachteten ihn.
Als erster Pächter wird um 1715 Daniel Ackermann, der 1706 aus dem Gebiet des Klosters Fulda gekommen war, genannt. Die Pachtsumme bestand aus den 150 Malter Frucht, die an den Mainzer Kurstaat abgeführt werden mussten und der Pachtsumme an die Leykams. Diese betrug z.B. 1778 840 Gulden.
Von 1721-27 war dies J. Nikolaus Brechtel. Weitere Pächter folgten. Ab 1761 wurde der Hof von Jakob Georgi aus Westhofen bewirtschaftet bis zum Verkauf des Fautenhofes. Am 16. Juni 1800 wurde in Frankfurt der Kaufvertrag hierfür abgeschlossen. Der Fautenhof wurde aufgeteilt und unter 11 Käufer verteilt. Die Kaufsumme betrug 30.000 Gulden.
Nach mündlicher Überlieferung soll damals das heutige Haus Weinheimer Str. 57 oder 67 ? (Schreinermeister Kühlwein) erbaut worden sein, wozu ein Teil des abgebrochenen Baumaterials des Fautenhofes verwendet worden sein soll. Im Hof dieses Hauses befinden sich noch 2 alte Grenzsteine mit dem Wappen der Leykams, die aus dem Fautenhof stammen sollen.
Doch zurück zu unserem Kreuz „Der Herrgott“. Laut Inschrift ließen die Leykams das Kreuz dafür errichten, dass Gott ein Bittgebet von Ihnen erhört habe. Damit hören die Gewißheiten auf. Was der Hintergrund und Inhalt des Bittgebetes gewesen ist und warum sie dieses Kreuz am Viernheimer Fautenhof errichten ließen, wissen wir nicht. Auf jeden Fall hat sich dieses historische und christliche Denkmal bis heute erhalten.
Die Leykams
Der Fautenhof blieb bis zum Verkauf 1800 im Besitz der Familie Leykam. Die Nachkommen unseres Jakob Kaspar Leykam wurden 1788 in den Freiherrnstand erhoben (Franz Georg Freiherr von Leykam) und standen in Darmstadt, Regensburg und Wien in großherzoglichen und kaiserlichen Diensten. Eine Antonia, Freiin von Leykam wurde 1827 zweite Gemahlin Lothar’s Fürst von Metternichl.
Geschichte um 1724
Wenn wir uns das historische Umfeld dieser Zeit ansehen, gibt sich uns folgendes Bild:
- Deutscher Kaiser war um diese Zeit Karl VI (regiert 1711-1740). Er war Erzherzog von Österreich.
- 1724 war ein „Papstjahr“: Auf Papst Innozenz XIII folgte Benedikt XIII
- 1717 besiegte Prinz Eigen (16.8.) die Türken bei Belgrad
Der Pfälzische Erbfolgekrieg
1688-1697. Hintergrund ist die Forderung König Ludwig XIV von Frankreich nach dem Erbe für seine Schwägerin elisabetz Charlotte von der Pfalz. Er forderte Teile der Kurpfalz. Weil dies von der Kurpfalz abgelehnt wurde, kam es zum Krieg. Die Franzosen zerstörten das Heidelberger Schloss (1693)
Lampertheim wurde 1688 geplündert. 1689 Worms den Flammen preisgegeben und 1691 Sandhofen gebrandschatzt. Und Viernheim? Hier berichtet uns Professor Nikolaus Adler in seinem Artikel „Die religiösen und kirchlichen Verhältnisse bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts“ (Viernheim Vergangenheit und Gegenwart): Von 1674 bis zu seinem Tode 1701 war Johannes Christian Beringer Pfarrer an unserer Marienkirche. Zum ersten Mal hören wir, dass ihm ein Kaplan (Johann Georg Wolf) zur Seite stand, den er aber selbst unterhalten und besolden musste.
Beringers Pfarrjahre fielen zu einem guten Teil in Kriegszeiten. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg, besonders von 1691 bis 1694, musste er wie seine Pfarrkinder aus Viernheim flüchten. Kelche und 500 Gulden aus des Pfarrers persönlichem Besitz,, die zur Sicherheit von den Franzosen in der Lorscher Kirche vergraben worden waren, wurden dort gestohlen. Die Pfarrbücher konnten nicht mehr geführt werden. Aufgrund von Notizzetteln des Pfarrers wurde später eine Anzahl der Amtshandlungen nachgetragen. Der Krieg machte auch die von Beringer geplante Kirchenerweiterung unmöglich. Kurz vor Kriegsausbruch war es ihm noch gelungen, wiederum eine erste, wenn auch kleine Glocke anzuschaffen. Nach Kriegsende gemühte er sich um eine „große glockh“. Er starb nach einem heiligmäßigen Leben am 10. Juni 1701 und wurde, wie er genau vorhergesagt hatte, am Antoniustag begraben als „ecclesaie huiatis singularis benefactor“ (einzigartiger Wohltäter der hiesigen Kirche).
Der spanische Erbfolgekrieg
Der spanische Erbfolgekrieg war ein zwischen 1701 und 1714 ausgetragener dynastischer Erbfolgekrieg zwischen Habsburg und Bourbon (Frankreich) um die Nachfolge Karls II, des letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron.
Bei dieser Auseinandersetzung marschierten im Juni 1704 englische und holländische Truppen durchs Rhein-Neckar-Land und im Juli 1707 hatten die Franzosen Heidelberg und Mannheim besetzt. Um diese Zeit war Franz Michael Fleischmann Pfarrer hier in Viernheim an der Marienkirche (1703-1722). Hierüber berichtet Kaplan Veit (Aus Viernheims Vergangenheit):
Bedauerlicherweise litt unsere Gemeinde während der Amtszeit ihres tüchtigen Seelsorgers und trotz der inneren kirchlich-religiösen Blüte äußerlich geradezu Entsetzliches. Die Mord- und Brandzüge der „Gallier“ (Franzosen) wie sie das Taufbuch bezeichnet, durch deutsche Gebiete, die furchtbaren, unerschwinglichen Kriegssteuern oder Brandschatzungen seitens der „welchen“ Unterdrücker, lasteten unerträglich auf den Schultern der rheinischen Bewohner. Auch die Ried-Dörfer, darunter Viernheim, blieben von der allgemeinen Landplage nicht verschont. Das Joch wurde zeitweise so drückend, dass z.B. im Jahre 1707 der größte Teil von Viernheims Ortsbürgern mit Weib und Kind die Auswanderung vorzog und sich in dem dichten Wald bei Dieburg festsetzte, um vorerst den Blutschindereien der Verfolger zu entrinnen und bessere Zeiten abzuwarten. Kurze Zeit darauf konnten sie wieder unbehelligt in die liebe Stätte ihrer Heimat abziehen doch lag die Mehrzahl der Gebäulichkeiten Viernheims in Trümmern.
Für die letzten vier Kriegsjahre dieses Erbstreites gibt es ab 1711 eine Reihe Kriegskostenbelege in der gemeindeabrechnung. Hier eine kleine Auswahl (zitiert nach Hans Knapp Vom Kurpfalzdorf zur Hessenstadt):
1711 „Item vor die keyserl. Armee so im Frühjahr aus denen Spanischen Niederlanden alhir am Ober Rhein herauf kommen und bey Groß Rohrheim gestanden und dann ferner vor die Postirung so alhir herumgestanden, an Kornstroh hergeben in allem 281 Gebundt, erträgt das Hundert zu vier Gulden gerechnet… 11 fl 15 Xr“ mit der Unterschrift von Johann Lorentz Reißenbach, schultheiß daselbsten. U.a. sind noch notiert: eine Weinfuhr in die Festung „felbeßburg“ (Phillipsburg), Wein als „Servies“ für einen Leutnant, Verzehr von Offizieren bei der Erkundung von Wachtplätzen.
1712 Alß die Württemberg und die Darmstatt Reuter dahir 2 nacht im quartir gelegen; aus einer Jacob brechtel Anno 1705 aufgestellten „Specification“: Billettmachen mit den Offizieren (das Schreiben von Quartieranweisungen); genannt werden ein Lüneburger Oberstleutnant, brandenburgische Offiziere;; ein Obertsleutnant der Brandenburger; ein Serive (Trinkgeld) für Offziere die zunächst Quartier machen wollten, aber wohl wegen des „Service“ weiterzogen; die „ Chur Mayntz Infanterie auf dem feld gangen“. Jacob Brechtel erhielt für seine Forderungen aus dem Jahre 1705 anno 1710 anstelle der berechneten 90 nur 49 Gulden.
1713 Die Liste „Außgab geld KriegsAmbts und Quartier cösten“ weist folgende Angaben auf: je ein „Fendrich“ (Fähnrich) von den Pfälzer und von den Württembergischen Dragonern; zwei Reiter vom Nassauischen Regiment, die „Postirungsholz“ bekamen; Holzlieferung ins „Campement“ (Lager) Bensheim der Württemberger; 2 Wagenmeister der Kaiserlichen mit 30 Pferden; ein Obrist von Nassau mit 30 Husaren; ein Husarenoffizier „so zum general von nassau geritten“; ein General der Brandenburger; ein Regimentsstab der Hatzfeldischen mit drei Kompagnien; zwei kaiserliche Battaillone; Holz auf den „Holländer blatz“ nach Lampertheim geführt; Fourage für die Münsteraner mit dem Grafen von der Lip; „Teutschherren 2 Tag dahir gestanden“; 10 Pfund Rindfleisch für einen kaiserlichen Obristen; 2 Battaillone Kaiserliche „hier gelegen“.
1714 Husaren einen Trunk gegeben; beim Billettenmachen mit den Münster’schen Offizieren verzehret worden; Verzehr von Offizieren der Kaiserlich-Starnbergischen; vier kaiserliche Soldaten einige Deserteure gesucht; „denen Offizieren einige junge Hahnen verehret“; den von der Musterung gekommenen Landmilitzen zwei Gulden für Wein gegeben.
Bleiben wir noch bei Pfarrer Fleischmann. Er trat 1703 seinen Dienst in der Viernheimer Marienpfarrei an. Kaplan Veit berichtet uns über diesen Mann: Bereits ein Jahr später wurde er, wie alle Pfarrer des Dekanates Bensheim aufgefordert, 30 Fragen über Pfarrei, Kirche Kommunion usw., die ihm von Mainzer geistlichen Visitatoren gestellt worden, eingehend zu beantworten. Gewissenhaft entledigte sich Pfarrer Fleischmann dieser Pflicht und hob unter anderem besonders hervor:
- Pfarrbücher sind keine vorhanden.
- Mangels eines Chores reicht die Kirche kaum für das Volk
- Reliquien befinden sich keine hier.
- Die Pfarrkirche hat nur einen Altar und drei kürzlich erfolgte Stiftungen (Jahresgedächtnisse).
- Von dem Zehnten erhält der Pfarrer 1/3, macht 100 Malter Frucht, 33 Gulden Tabakzehnten und 10 Lämmer.
- Viernheim hat keine Filialen
- Viernheims Seelenzahl beläuft sich auf 500,
- Kommunikanten sind es jährlich 400, mehr oder weniger
- Das Kirchengebot der Osterkommunion wird streng beobachtet.
- Die Schule in Viernheim ist gestiftet; die Zahl der gegenwärtig schulpflichtigen Jugend beträgt an 47. Als Schulmeister fungiert eben Sebastian Helferig.
- Des Schulmeister jährliches Gehalt setzt sich wie folgt zusammen: a)Für Unterrichtung der Jugend erhält er an Geld 10 Gulden und 6 Malter Korn von der Kirche; für Gesang und Schlagen der Orgel (=Orgelspiel) empfängt er 6 Malter Speltz ebenfalls von der Kirche. b)An gestifteten Gütern besitzt er gleich einem Ortsbürger Almentäcker (5 ½ Morgen Aecker und 3 ½ Wiesen), dazu eine sehr vernachlässigte Wohnung. c)Außerdem von jedem Pflug 2 garben frucht, von denen aber, die keinen Pflug haben – 4 Kreuzer; ferner von jedem Pflug wegen 4 und 8 uhr leuthens von Martini biß uf Cathedrea Petri – 1 selb Brod, dazu von der Gemeind weg der uhr 1 gulden 1 Malter Korn. d)“Endlich bekommt der Schulmeister von jedem schulkind 15 Kreuzer und holz zum erwärmen der Schuhl“.
Finanziell ging es der Marienpfarrei damals nicht gut. Unter dem 5. März 1708 sandte er ein „lamentablen“ Bericht nach Mainz mit der Bitte, den Ertrag des Klingelbeutels für die Kirche verwenden zu dürfen. Ohnehin, schreibt er, ist die Kirche schwer belastet durch „Anschaffung deren Paramenten, Wachs, Salirung des Schulmeisters u.a.“.
Weiter schreibt Kaplan Veit über diesen Seelsorger:
Um das religiöse Leben seiner Gemeinde noch mehr in Blüte zu bringen und Gottes Segen auf dieselbe herabzuziehen, beförderte Pfarrer Fleischmann, der ein hervorragender Verehrer des allerheiligsten Altarsakramentes war, die Einführung und kanonische Errichtung der sakramentalischen Bruderschaft. Letztere wurde nämlich durch besonderes Reskript des Erzbischofs Damian Hartard von der Leyen in dem ausgedehnten Gebiet des Mainzer Eruzstiftes allgemein angeordnet und gewünscht. Auch für die materielle Lebensfähigkeit der Bruderschaft sorgte Fleischmann in ausgiebigem Maße, indem er dieselbe aus seinem Privat-Vermögen reichlich bedachte und ein monatliches Seelenamt zum Troste verstorbener Bruderschaftsmitglieder stiftete, weshalb eine eigene Bruderschaftsrechnung jährlich gestellt wurde. Die Feier des „großen Gebetes“ vollzog sich damals vom 29. August nachmittags 2 Uhr bis zum 31. August morgens 7 Uhr.
Sichtlich ruhte der Segen Gottes auf den Seelsorgearbeiten des eifrigen Priesters. Einerseits verstand es der wackere Priester, das Vertrauen seiner Pfarrangehörigen voll und ganz zu gewinnen und andererseits war gerade sein Tugendbeispiel und priesterliches Leben der Angelpunkt zahlreicher Bekehrungen in und um Viernheim. Nicht weniger als 30 offizielle Uebertritte zum katholischen Glauben von Personen die teilweise zugezogen, teilweise einheimisch waren, fanden unter seiner Leitung statt.
An der Außenwand der Marienkirche erinnert noch heute eine Steintafel an das Wirken von Pfarrer Fleischmann. Es nennt die Jahreszahl 1722 = das Todesjahr dieses Pfarrers. Auch dieses „Denkmal“ ist über 300 Jahre alt. Auf Pfarrer Fleischmann folgte Pfarrer Josef Amadeius Bretzingheimer (1722-1739). Über sein Wirken berichtet uns Prof. Nikolaus Adler (Die religiösen und kirchlichen Verhältnisse bis zur Mitte des 19. Jahrh.):
Pfarrer Bretzigheimer hatte bereits zwei Jahre unter der Leitung seines Vorgängers in der Viernheimer Seelsorge gearbeitet. Unter ihm versuchte die Gemeinde 1724 den Allmendeanteil des Pfarrers zu kürzen. 1725 wurde die Pfründe des Katharinenaltars (6 ½ Morgen), die mit der Verpflichtung belastet war, alle 14 Tage eine hl. Messe für den (unbekannten) Stifter zu feiern, dem Pfarrgut inkorpiert.
Der Kirchturn wurde 1726 vorläufig und 1732 gründlich auf Kosten der Zivilgemeinde renoviert. Außerdem betrieb der Pfarrer die Kirchenerweiterung durch Erbauung eines Chores. Am 29. Juni 1731 konnte er den Grundstein dazu legen, noch im gleichen Jahr wurde der Bau vollendet. Die Ortsgemeinde bezahlte die neuen Kirchenbänke. Wegen der Größe der Pfarrei (1226 Seelen aus 198 Familien) hielt auch dieser Pfarrer sich einen Kaplan, Johann Georg Boxheimer, der vom Boxheimer Hof stammte und am 15. Mai 1718 in der Viernheimer Marienkirche seine Primiz feierte.
Gemeinde Viernheim
Als Schultheiß (= Bürgermeister) fungierte von 1714-1727 Joh. Leonhard Winkler.
Erzbistum/Kurfürstentum Mainz
Abschließend wollen wir noch einen Blick auf das Kurfürstentum und Erzbistum Mainz werfen. 1722 wurde das Große Gebet endgültig eingeführt, „zu Vergrößerung Göttlicher Ehr, zum heylsamen Trost zeitlich und ewiger Benediction dero getreuen Unterthanen zu allgemeiner Wohlfahrt des ganzen lieben Vaterlands“.
Nach den verheerenden Kriegen beherrschten Krankheiten und Seuchen das verarmte Land.
1710 erließ der Mainzer Kurfürst eine „Churfürstliche Mayntzische Verordnung. Wie es zur Versorgung deren allhiesigen Allmosens- und Erbarmungs-würdigen Armen-Leuthen, und bergegen in Ausschaffung des liederlichen Bettel-Volcks fürters solle gehalten werden“. Es waren offensichtlich schwierige wirtschaftliche Verhältnisse im damaligen Kurfürstentum Mainz. Vielleicht noch ein kurzer Blick zu den rechtlichen Verhältnissen im damaligen Kurfürstentum Mainz. Das Landrecht (Vergleichbar mit unserem Bürgerlichen Gesetzbuch) trat 1755 in Kraft. Vorher galt eine Übergangslösung, das sog. „Rheingauer Landbrauch und Rheingauer Landrecht nach der Ordnung des Nicolaus Itzstein.“ Es orientierte sich am Gewohnheitsrecht und galt ab etwa 1683.
Für das kirchliche Recht war die Kirchenordnung von 1687 maßgebend. Wir hoffen, dass wir einen kleinen Überblick über die Situation für die Viernheimer Einwohner in der Zeit um 1724 geben konnten.