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Predigt Pfarrer Dr. Givens am 12.01.2025:Anfänger*innen der Ewigkeit

Anfänger*innen der Ewigkeit
Es ist kein Zufall, dass unser Taufbrunnen nicht ebenerdig, sondern tiefergelegen steht. Da geht es ein ganzes Stück herunter, nicht weil das bequemer wäre, wenn man Kinder getauft, sondern weil Jesus an der tiefsten Stelle, an die wir Menschen gelangen können auf Erden, getauft worden ist.
Datum:
12. Jan. 2025
Von:
Pfr. Dr. Ronald A. Givens

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn.

Ab und zu sieht man das auch bei uns, aber sehr viel seltener als in Frankreich:

Hinten auf dem Fahrzeug einen Aufkleber, auf dem ein großes A ist. Alle, die jemanden mit diesem Aufkleber sehen, mit diesem A, wissen: Da fährt ein Anfänger, eine Anfängerin. Nach 2 Jahren sind diese jungen Franzosen glücklich, wenn sie endlich dieses A abkratzen können und keine Anfängerin und kein Anfänger mehr sind, sondern erfahrene Autofahrer.

In der Taufe im Jordan beginnt auch für Jesus ein Anfang, aber im Gegensatz zu den Fahranfängern möchte Jesus Anfänger bleibe, ein ganzes Leben lang. Er stellt sich da in den Jordan, weil er überzeugt ist: Gott kann mit mir etwas anfangen. Ich möchte ein Anfänger sein! Ich möchte etwas ganz Neues anfangen!

Es ist kein Zufall, dass unser Taufbrunnen nicht ebenerdig, sondern tiefergelegen steht. Da geht es ein ganzes Stück herunter, nicht weil das bequemer wäre, wenn man Kinder getauft, sondern weil Jesus an der tiefsten Stelle, an die wir Menschen gelangen können auf Erden, getauft worden ist: Im Jordangraben, weit, weit unter dem Meeresspiegel.

Wir haben einen heruntergekommenen Gott, und darum ist auch der Taufbrunnen tiefergelegt. Gott steigt ganz tief hinab, er erspart sich nicht den Anfang, den wir alle genommen haben, um Mensch zu werden: Nicht die Empfängnis, nicht das Sein im Bauch der Mutter, er erspart sich nicht die Geburt und auch nicht die Windeln.

Gott ist ein Anfänger, und er lernt in Jesus, was es bedeutet, Mensch zu sein. Als er dann, noch tiefer hinuntergetaucht, aus dem Jordan herauskommt, was sieht er da?

Er sieht all diejenigen, zu denen er sich zuvor dazugestellt hat, er sieht all die, die gekommen sind und sagen: „Ich brauch einen neuen Anfang für mein Leben, ich möchte so nicht mehr weitermachen.“ Da stehen die, die Begriffen haben: ,Ich habe zu lange auf Kosten von anderen gelebt, ich möchte anfangen das zu beenden.‘ ,Ich habe viel zu lange ein Leben geführt, das an meinem Leben und an dem Leben der Menschen, die mir wichtig sind, vorbeigeht.‘ ,Ich möchte anfangen, ein neues Leben zu führen.‘

All diese Menschen kommen zu Johannes in den Jordangraben und sind unsicher, ob Gott mit ihnen noch etwas anfangen kann; ob er ihnen das vergeben kann, was sie hinter sich lassen möchten, weil sie begriffen haben: „So möchte ich nicht mehr leben, so kann es nicht mehr weitergehen, ich möchte einen neuen Anfang setzen!“

Darum stellt sich Jesus in die Reihe dieser Anfänger und sagt, indem er da steht, mit all denen die zu Johannes kommen: „Gott kann sehr wohl mit denen etwas anfangen, die begriffen haben: ,Ich muss neu anfangen, ich kann nicht mehr so weitermachen wie bisher, ich möchte etwas in meinem Leben verändern!‘“

Gott stellt sich auf die Seite derer, die unsicher sind, ob er mit ihnen noch etwas anfangen kann. Es ist das ganze Programm, das Jesus zeigt, dort am Jordan: Er wird immer wieder an der Seite derer stehen, die in ihrem Herzen spüren: ,Es muss anders werden.‘ ,Ich möchte anders sein, ich kann anders sein!‘ ,Ich brauche nur jemanden, der mir diesen Anfang zutraut!‘

Immer wieder ist es Jesus, der Anfänger bleibt. Der niemals von sich sagt: „Ich weiß schon alles, ich kenne schon alles.“

Immer wieder, in allen Begegnungen, fragt er Menschen: „Was soll ich dir tun? Was möchtest du, was wir gemeinsam anfangen, wofür brauchst du meine Kraft?“

Und das kennen Sie als Eltern alle ganz genau: Sie bleiben ein ganzes Leben lang Anfänger und Anfängerinnen. Da denkt man, man hat sein Kind gerade begriffen, dann kommt ein ganz neuer Anfang daher, eine neue Herausforderung.

Und selbst wenn diese Kinder Jugendliche und junge Erwachsene geworden sind, dann gibt es immer und immer wieder einen neuen Anfang mit ihnen, weil sie sich verändern, weil Freunde ins Leben treten, weil das Leben sich verändert.

 Solange wir Anfänger bleiben und fähig sind zu reagieren, so lange haben wir ein Gespür dafür, was Andere brauchen. Jesus taucht aus dem Wasser auf und sieht all diese Menschen, die neu anfangen wollen, die für sich begriffen haben: „Da ist etwas in meinem Leben, das möchte ich so nicht mehr weiterleben.“

Jesus ist klug genug, um zu wissen: Die Menschen, die da stehen und mit ihrem gebrochenen Leben zu Johannes gekommen sind, sind nicht anders als ich. Wir sind alle gleich. Wir haben alle die gleichen Sehnsüchte. Wir sind alle zu den gleichen Abgründen fähig. Wir sind alle liebesbedürftig und liebesfähig. Wir alle haben die Macht, tief mit Worten zu verletzen und hoch mit Worten emporzuheben. Wir sind alle gleich in der Finsternis, die wir bringen können, und im Licht, das wir schenken können.

Der einzige Unterschied zwischen uns allen ist der, dass jede und jeder von uns die große Freiheit hat, mit dem Licht und mit der Dunkelheit, mit dem Zerstörenden und mit dem Aufbauenden, auf seine Art und Weise umzugehen. Darum stellt sich Jesus in diese Reihe und sagt: „Ich will versuchen, euch mit meinem Leben vorzulegen, wie es gehen könnte - mit den Begierden und mit dem Heiligen, mit dem Dunklen und mit dem Hellen zu leben. Ich stelle mich zu euch, damit ihr zu euch steht. Damit ihr fähig werdet, mit all dem, was in euch ist, jeden Tag aufs Neue darum zu bitten: ,Mach mich zu einem Anfänger, zu einer Anfängerin, die fähig ist mit all den Guten und mit all dem Starken, das in uns ist, das Dunkle und das Böse im Zaum zu halten.‘“

Jesus stellt sich zu diesen Menschen, und Jesus stellt sich all diesen Menschen, um deutlich zu machen: Wir sind alle gleich, und wir alle haben Verantwortung dafür, dass in jedem und jeder das Beste zum Vorschein kommt. Wir sind einander gegeben, um uns gegenseitig beizustehen, damit keiner und keine den Mut verliert, neu anzufangen, wenn es notwendig geworden ist. Wir müssen uns nicht vor denen fürchten, die sagen: „Ich bin eine Anfänger, ich bin ein Anfänger!“ Wir müssen uns vor denen fürchten, die fertig sind. Die alles wissen und können. Wir müssen uns vor denen fürchten, die keine Anfänger mehr sind.

Jesus geht an die tiefste Stelle, um deutlich zu machen, dass Gott zu denen steht, die neu anfangen. Er ermutigt, indem er selbst einen Neuanfang für sein Leben setzt und für all diejenigen, die begriffen haben: Ich möchte Anfängerin oder Anfänger sein.

Aber der Taufbrunnen ist noch aus einem anderen Grund tiefer gelegt, weil in der Stunde, in der niemand mehr mit uns etwas anfangen kann, in der Stunde unseres Todes, wo wir Menschen nichts mehr miteinander anfangen können, Gott sagt: „Ich kann mit dir jetzt etwas anfangen. Ich fange mit dir die Ewigkeit an.“

In der Stunde unseres Todes werden wir die größten Anfänger und Anfängerinnen, die Anfänger und Anfängerinnen der Ewigkeit.

Uns wird in der Taufe versprochen, dass am Ende unseres Lebens ein unglaublicher Anfang steht, eine Fülle von Leben, und uns wird in der Taufe zugetraut, dass wir ein ganzes Leben lang Anfänger und Anfängerinnen bleiben, wenn wir spüren: „Ich möchte etwas verändern.“

 Wir müssen wie Jesus Ausschau halten, zu wem ich mich stellen möchte, zu wem ich mich stellen muss, bei wem ich bleiben muss, damit er oder sie nicht den Mut verliert, um einen Neuanfang zu machen.

Wir sind Geburtshelferinnen und Geburtshelfer des Anfangs.

Amen.