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Predigt Pfarrer Givens 10. Juli 2024:Der ungläubige Thomas

Die Wunden des Karfreitag
Die Wunden des Karfreitags gehören zur Auferstehung!
Datum:
11. Juli 2024
Von:
Pfarrer Dr. Ronald A. Givens

Thomas als Vorbild der Politik

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

was wäre das für eine Auferstehung ohne die Wunden des Karfreitags? Für Thomas war das keine Auferstehung, die für ihn glaubwürdig ist. Für Thomas ist wichtig, dass auch der Karfreitag, dieses Trauma, dieser furchtbare Moment, als alles zusammenbricht, als er sieht, wie brutal Menschen mit Menschen umgehen können, dass auch der Karfreitag eine Antwort von Gott bekommt.

Denn das kennen wir alle. Wie armselig wäre unser Glaube, wenn es nicht eine Antwort gibt auf die vielen Momente des Lebens und vor allen Dingen die vielen Momente der Krankheit und des Sterbens, wo Gott uns einmal erklärt, warum es diese Wunden gibt, warum es diese Zeit gibt, warum es diesen furchtbaren Moment in unserem Leben gegeben hat. Jesus wird für Thomas erst dann glaubwürdig, als er nachspüren kann, ja, diese Wunden sind da, sie sind geheilt. Aber sie sind da, sie gehören zum Leben Jesu dazu.

Wie glaubwürdig ist eine Politik, die die Verwundungen der Geschichte nicht mehr sehen möchte? Wenn Gauland erklärt, der Nationalsozialismus war ein Mückenschiss in der deutschen Geschichte, dann ist es genau das, die Wunden nicht zu sehen. Wenn eine Kirche nicht sehen möchte, dass Hunderttausende austreten und ihr den Rücken zukehren, dass der Papst in Rom viel zu alt ist mit all denen, die ihn beraten, um diese Kirche in die Zukunft zu führen, dann ist das ein Wegschauen von den Wunden und den Verwundungen.

Wenn wir fatalistisch hinschauen, wie Europa zerstört wird, wie sich die zusammentun, die sagen, der Krieg, die beiden Weltkriege, das ist vergessen. Wir pochen wieder auf das Nationale, das, was zweimal Europa in die furchtbare Katastrophe der Verwundung und des Todes hineingeführt hat. Wenn diese Wunden, die einmal alles hier geprägt haben, was zum Frieden geführt hat, jetzt nicht mehr gesehen werden, dann ist alles, was da passiert, nicht glaubwürdig.

Thomas braucht das Fühlen und das Sehen der Geschichte Jesu. Thomas ist nicht geschichtsvergessen. Er weiß, was der Karfreitag bedeutet, er hat erlebt, wieviel Leid der Karfreitag bringt.

Und es ist nahezu unbegreiflich, dass wir im Moment negieren, auf welche Katastrophen wir zusteuern. Dass eine Kirche sehenden Auges es hinnimmt, dass Hunderttausende sagen: wir gehen. Dass Politiker der Opposition und der Regierung sehenden Auges hinnehmen, dass die Feinde der Demokratie ein Bundesland nach dem anderen an sich reißen, und das, was hier wiedervereinigt worden ist, was solange die Wunde der Teilung und der Trennung hatte, den Wölfen preisgegeben wird. Dass die Regierungschefs schweigend zuschauen, was in Frankreich passiert, wie sich die rechten Feinde Österreichs, Ungarns und der Slowakei zusammentun, um Europa zu zerstören.

Europa ohne die Wunden der beiden Weltkriege, die das Nationale, das übergroße Ich gebracht haben, ist kein lebenswertes Europa. Eine Kirche, die nicht hinschaut, warum so viele davonlaufen und wer auch dafür Verantwortung trägt, wird keine lebensfähige Kirche sein. Eine Bundesrepublik Deutschland, in der eine Ampelregierung und eine Opposition nicht verstehen, wie gefährlich, wie brandgefährlich wir im Herbst auf die Zerstörung der Bundesrepublik hinzulaufen, die nicht sehen, welche Wunden wir schon einmal hatten in diesem Land, ist keine lebensfähige Bundesrepublik.

Wir alle tragen im Moment Verantwortung dafür, dass wir die Wunden beim Namen nennen, dass die Wunden befühlt werden, dass wir all denen widersprechen, die sagen, wir wursteln uns da jetzt irgendwie noch durch. Das hat man am Abend des Ersten Weltkrieges geglaubt. Das hat man geglaubt, als Hitler und sein Gefolge salonfähig geworden sind. Das werden wir mit bösem Erwachen hoffentlich nicht glauben, wenn Putin, wenn Trump, wenn die Feinde Europas, wenn die AFD uns wieder ins Unglück stürzen. Dann werden wir merken, man kann sich nicht durchwursteln. Man muss die Wunden befühlen, man muss sie beim Namen nennen. Und man darf nur dem trauen, der die Wunden nicht leugnet, sondern eine Antwort auf die Wunden gefunden hat.

Jesus geht mit dem Karfreitag offen um. Und er findet eine Antwort darauf: die Antwort der Auferstehung, die Antwort der Nächstenliebe und die Antwort der Barmherzigkeit. Wo diese Antworten nicht zu finden sind, da ist nicht zu trauen.

Amen.