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Predigtreihe zur Europawahl:Deutsch-Französische Aussöhnung

Deutsch-Französische Aussöhnung
Die Deutsch-Französische Aussöhnung als Wegbereiter der Europäischen Union
Datum:
29. Mai 2024
Von:
Herbert Kohl

Die Europäische Union - 79 Jahre Frieden

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

waren sie schon mal in Frankreich? Das ist wohl eher eine rhetorische Frage, wer wäre noch nicht in Frankreich gewesen…. Paris, die Hauptstadt der Liebe, die Stadt ungezählter Museen und Sehenswürdigkeiten, das Meer an der Cote d’Azur oder die hohen Wellen am Atlantik. Frankreich ist unsere gute Stube und wir sind gerne und oft dort.

Aber das war nicht immer so….

Das reale Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen war in der Geschichte sehr vielschichtig, so dass sich Spannungen und Kriege mit kultureller Befruchtung und politischen Allianzen abwechselten und vermischten.  

Noch im Mittelalter war das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen von guter Nachbarschaft geprägt. Man betrieb Handel und Kriege gegeneinander gab es nur selten. Das hat sich aber spätestens nach dem westfälischen Frieden 1648 grundlegend verändert und sogar zu dem Begriff „Erbfeind“ geführt. Mit dem Begriff Erbfeind wird allgemein ein über mehrere Generationen hinweg verhasster Gegner bezeichnet, also ein von den Vorfahren „vererbter“ Feind.

Wie kam es dazu?

Obwohl der 30jährige Krieg erstmals in zähen und langwierigen Verhandlungen in Münster beendet werden konnte, wurde schon damals die Keimzelle der Feindschaft gelegt. Das Elsass war im Westfälischen Frieden teilweise unter französische Oberhoheit geraten, in weiteren Konflikten hatte Frankreich die gesamte Region im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts teils durch Eroberung und teils durch Tauschgeschäft unter ihre Kontrolle gebracht. Das war die Keimzelle jahrzehntelanger Spannungen, die letztendlich 1870 zum Krieg führten.

Gründe für die 23 kriegerischen Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich in den letzten 500 Jahren waren zumeist Besitzansprüche auf Ländereien, z.B. Elsass-Lothringen, Angst vom Gegner dominiert zu werden, Geld, Einfluss. So kam es auch zum deutsch – französischen Krieg von 1870/71 als Kampf um die Vormachtstellung in Europa zwischen Frankreich und einem deutschen Staatenbund unter Führung Preußens.

190.000 Tote waren am Ende zu beklagen. So viel Blut wurde vergossen

Im Frieden von Frankfurt vom 10. Mai 1871 musste Frankreich das Elsass und Teile von Lothringen an Deutschland abtreten und eine Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Franc zahlen. Schon wieder wurde die Keimzelle künftiger Konflikte gelegt.

In späteren Auseinandersetzungen wurde stets das Bild einer einheitlichen deutschen Nation beschworen, die es geschichtlich so nie gegeben hat. Das heutige Deutschland war im Mittelalter ein bunter Flickenteppich von Fürstentümern und Herrschaftsgebieten.

Darum auch wurde der völkische Deutsche beschworen, der fleißig und heldenhaft, den anderen Nationen überlegen war. Es sollte eine Identität gestiftet werden, mit dem klaren Ziel Macht und Herrschaft zu etablieren.

Durch die industrielle Revolution hat sich auch der Charakter der Kriegführung grundlegend geändert und trat endgültig in das Zeitalter des industrialisierten Volkskriegs ein. Nun standen sich Heere von mehreren hunderttausend Mann gegenüber. Der Einsatz von Eisenbahnen, Industrie und moderner Waffentechnik wie weitreichender Artillerie bestimmte den Verlauf der Feldzüge.

So kam es wie es kommen musste. 34 Jahre nach dem Deutsch-Französischen Krieg kam es zum Ausbruch des 1. Weltkrieges.

Die tieferen Ursachen dieses Weltkrieges waren lang andauernde Streitigkeiten zwischen den großen europäischen Mächten. Großbritannien, Frankreich, das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Russland wollten ihre Macht vergrößern. Sie kämpften um mehr wirtschaftlichen Einfluss auf den Weltmärkten.

Erster Weltkrieg: 17 Millionen Tote, darunter 7 Millionen Zivilisten. So viel Blut vergossen.

Wieder kam es zu hohen Reparationszahlungen. Zwischen 1919 und 1932 zahlte das Deutsche Reich 25 Milliarden Goldmark an die Siegermächte. Das war damals eine enorm große Summe. Für das Deutsche Reich führten die Reparationszahlungen zu großen Problemen. Die Wirtschaft konnte sich nicht erholen, die Arbeitslosigkeit stieg, viele Menschen lebten in Armut. Die Saat für den nächsten Krieg war gelegt. Es war zwar kein Krieg mehr, aber Friede und Versöhnung waren meilenweit entfernt.

Die Nationalsozialisten sind nun in genau diese Bresche gesprungen wie es heute die AfD tut, mit ihren Hetzreden vom Bevölkerungsaustausch und davon das uns Geflüchtete nur auf der Tasche liegen. Hitler hat 1933 die Macht ergriffen und durch seinen Propagandaminister Joseph Goebbels das ganze Volk aufgehetzt. Der zweite Weltkrieg.

75 Millionen Todesopfer – So viel Blut vergossen

Nach Kriegsende waren Reparationen in Form von Geldleistungen nicht mehr möglich, denn Deutschland war zerbombt und lag am Boden. Daher haben die Sieger alles, was nützlich war demontiert und beschlagnahmt. Normalerweise wäre nach dem Gesetz von Rache und Vergeltung der 3. Weltkrieg nur eine Frage der Zeit. Daher stellt sich die Frage wie gelang die Aussöhnung? Durch wen? Wodurch?

Deutsch-französische Aussöhnung nach 1945

Deutschland und Frankreich werden nach 1945 zu engen Partnern. Nur eine tiefgreifende Veränderung in der Denk- und Verhaltensweise sowie den strukturellen Grundbedingungen der beiden Bevölkerungen kann nach 1945 dauerhaft zu einem Frieden führen.

Voraussetzung für eine Annäherung von Deutschen und Franzosen sind die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Kontakte, die bereits unmittelbar nach dem Krieg einsetzen. Die Städte Ludwigsburg und Montbéliard begründen 1950 die erste von heute rund 2.200 deutsch-französischen Städtepartnerschaften. Die jeweiligen Kulturinstitute fördern im Nachbarland das Erlernen der anderen Sprache. In vielen Initiativen der Anfangszeit sind Christen engagiert. Austausch und Projekte auf wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene vervollständigen das Bild.

Ein erster wichtiger Schritt zur Versöhnung: Der Elysée-Vertrag.

Am 22. Januar 1963 unterzeichnen Bundeskanzler Adenauer und Staatspräsident de Gaulle im Elysée-Palast den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Der Vertrag schreibt unter anderem regelmäßige Konsultationen zwischen den Regierungen und einen verstärkten Jugendaustausch fest. Er ist ein weithin sichtbares Zeichen der deutsch-französischen Annäherung auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene.

Ein wichtiger Schritt zur Versöhnung.

Robert Schuman kämpfte im Zweiten Weltkrieg aufseiten des französischen Widerstands und wurde von den Nazis gefangen genommen und inhaftiert. Er verfasste die sog. Schumann-Erklärung, die Europa den Weg bahnen und weitere Kriege verhindern sollte. Darin einigten sich die Regierungen Deutschlands und Frankreichs darauf, ihre Kohle-und Stahlproduktion zusammenzulegen. Auf diese Weise wollten sie einen weiteren Krieg zwischen den Erzrivalen Frankreich und Deutschland nach dem Wortlaut der Schuman-Erklärung „nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich“ machen.

Sie gingen zu Recht davon aus, dass ein Zusammenschluss ihrer wirtschaftlichen Interessen eine Erhöhung des Lebensstandards zur Folge haben würde. Der erste Schritt zu einem geeinten Europa war getan.

Ein wichtiger Schritt zur Versöhnung.

Warum dieser ausführliche historische Rückblick? Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten. Wir stehen vor grundlegenden Umwälzungen weltweit, aber auch in Europa. Ein Blick in die eigene Geschichte hilft uns zu verstehen und Fehler nicht zu wiederholen.

Das gilt auch für die biblischen Texte, die wir heute gehört haben.

Hat je ein Gott es ebenso versucht, zu einer Nation zu kommen
und sie sich mitten aus einer anderen herauszuholen unter Prüfungen, unter Zeichen, Wundern und Krieg, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm und unter großen Schrecken, wie alles, was der Herr, euer Gott, in Ägypten mit euch getan hat, vor deinen Augen?

Auch hier wird noch das Bild eines auserwählten Volkes beschworen. Das gelingt rechtsnationalen Israelis bis heute. Aber nicht nur in Israel – auch in Deutschland wird wieder davon fabuliert welch großartiges Volk wir Deutschen seien und wie andere Nationen uns unterdrücken wollen, denken wir nur an den angeblichen Bevölkerungsaustausch.

Im neuen Testament steht in der heutigen Leseordnung:

Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, sodass ihr immer noch Furcht haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selber bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; Erben Gottes und Miterben Christi.

Hier zeichnet Paulus schon ein ganz anderes Bild: Wir alle sind Kinder Gottes durch den heiligen Geist.

Jesus selbst spricht im Evangelium heute zu uns:

Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Damit ist nicht Zwangsmissionierung gemeint, sondern es drückt den universalen Heilswillen Gottes aus. Der Heilige Geist ist nicht beschränkt auf Juden oder Christen, sondern wird allen Menschen geschenkt, die dem Gebot der Liebe und Versöhnung folgen.

Wenn wir das als Christen ernst nehmen, dann können wir gar nicht mehr zurück ins völkische, nationalistische Zeitalter, wo Macht und Geltungsstreben der Völker nie aufhören. Die Deutsch-Französische Freundschaft ist ein wunderbares Bild dafür, wie Versöhnung gelingt und wie aus Erb-Feinden Erb-Freunde werden.

Schöne Geschichten, von früher…. Ohne Relevanz für mein heutiges Leben. Oder etwa doch?

Ich habe vor wenigen Wochen eine junge Frau in Viernheim beerdigt, die Opfer eines Gewaltverbrechens war. Die Trauer und die Verzweiflung der Angehörigen waren laut und mit Händen zu greifen. Auf dem Weg zu Grab gingen mir Gedanken nach Vergeltung und Bestrafung durch den Sinn: Hoffentlich findet die Kripo den oder die Täter. Hoffentlich erhält er seine verdiente Strafe. Und wenn nicht, Gott, dann ist es an dir. Du wirst doch….. Weiter traute ich mich nicht zu denken.

Nach den Gebeten am Grab trat nun ein Sohn ans Grab und ergriff mit zitternder Stimme das Wort. Er dankte seiner Mutter von Herzen für die vielfältige Liebe, die er von ihr erfahren hatte. Und dann wandte er sich an die Trauergemeinde und beschwor sie alle: Lasst das Andenken an meine Mutter nicht von Gedanken an Gewalt und Rache verdunkeln. Lasst ihre Liebe siegen.  So waren sinngemäß seine Worte. Das hat mich tief beeindruckt. Wie viel mehr hätte der Sohn das Recht nach Vergeltung und Bestrafung zu rufen. Aber er hat der Liebe und der Vergebung das Wort gesprochen. Wie viel Gutes hat diese Mutter in ihre Kinder hineingelegt. Sie war sehr gläubig und hat regelmäßig den Gottesdienst besucht. Sie hat diesen Geist Gottes zutiefst verinnerlicht. Den Geist der Liebe und der Versöhnung.

Wenn wir auf die Geschichte Deutschlands und Frankreichs zurückblicken, wenn wir Pfingsten ernst nehmen und nicht nur als Worthülse, dann können wir nicht mehr zurück in dumpfen Nationalismus, der sich über die anderen Völker erhebt.

Was wir brauchen, ist eine neue Form des Miteinanders auf der Welt, in Europa, in Deutschland und in Viernheim. Bis hinein in unsere Familien.

Am 9. Juni ist Europawahl. Unterstützen Sie dieses Friedensprojekt mit ihrer Stimme, damit Frieden, Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Toleranz und Respekt allen Menschen gilt, die in der EU leben. Gehen Sie wählen und unterstützen Sie die Europäische Union, die ein einzigartiges Friedensprojekt ist.

Herbert Kohl, Gemeindereferent